Russlands Konjunktur-Erholung schwächt sich wieder ab

Russlands Konjunktur-Erholung schwächt sich wieder ab

EU, WIIW und EBRD erwarten auch künftig Wachstum von 1,5 bis 2 Prozent

Am Freitag erschien der monatliche Konjunkturbericht des russischen Wirtschaftsministeriums („Bild der Wirtschaft“). Mitte Oktober hatte das russische Statistikamt Rosstat bereits erste Angaben zur Entwicklung wichtiger Konjunkturdaten in den ersten neun Monaten 2018 veröffentlicht (Tabelle in Englisch). Seit Anfang November legten unter anderem die Londoner Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) und die EU-Kommission neue Prognosen für die Entwicklung der russischen Wirtschaft bis 2020 vor.

Wie sieht die aktuelle konjunkturelle Lage der russischen Wirtschaft im Herbst 2018 aus und welche Perspektiven zeichnen sich für die nächsten beiden Jahre ab?

Wirtschaftsministerium: Nur 1,3 Prozent Wachstum im dritten Quartal

Das Ministerium schätzt, dass das reale Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal nur noch 1,3 Prozent höher war als vor einem Jahr. Im zweiten Quartal hatte die Wachstumsrate noch 1,9 Prozent betragen.

In den ersten drei Quartalen dürfte die gesamtwirtschaftliche Produktion laut Wirtschaftsministerium 1,6 Prozent höher gewesen sein als im Vorjahr. Im gesamten Jahr 2017 war die Wirtschaft kaum schwächer um 1,5 Prozent gewachsen.

Als Ursache für die Abschwächung des Wachstums im dritten Quartal verweist das Ministerium auf den deutlichen Produktionsrückgang der Landwirtschaft. Im dritten Quartal war ihre Erzeugung 6,1 Prozent niedriger als vor einem Jahr, in den ersten drei Quartalen unterschritt sie das Vorjahresniveau um 3,3 Prozent. Nach Berechnungen des Wirtschaftsministeriums drückte das Minus in der Landwirtschaft die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate im dritten Quartal um 0,5 Prozentpunkte und in den ersten drei Quartalen um 0,2 Prozentpunkte.

Zum schwächeren Wachstum im Sommer trugen aber auch weite Teile der übrigen Wirtschaft bei. Auch die Bauproduktion sank (3. Quartal 2018/3. Quartal 2017: – 0,4 Prozent). Schwächer als im zweiten Quartal war der Produktionsanstieg in der Industrie (+ 2,9 Prozent), im Transportgewerbe (+ 2,9 Prozent) und im Einzelhandel (+ 2,6 Prozent). Wachstumsimpulse kamen vom Anstieg der Ölproduktion.

Privater Verbrauch und Investitionen sind schwächer gestiegen

Das Ministerium geht auf der Basis der Entwicklung des Einzelhandels davon aus, dass sich das Wachstum der Nachfrage der privaten Verbraucher im dritten Quartal abgeschwächt hat, obwohl die Arbeitslosenquote im September auf ein historisches Tief sank. Zudem dürfte der Anstieg der Brutto-Anlageinvestitionen nach seinen Schätzungen nur noch 1,8 bis 2,3 Prozent erreicht haben (nach +2,8 Prozent im zweiten Quartal). Saisonbereinigt rechnet das Ministerium mit einem Rückgang der Investitionen vom zweiten zum dritten Quartal.

Zentralbank bleibt bei Wachstumsprognose für 2018: 1,5 bis 2 Prozent

Auch die russische Zentralbank hat Anfang November einen Bericht zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in den ersten drei Quartalen vorgelegt. Trotz der Abschwächung der Konjunktur in vielen Sektoren bleibt sie dabei, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr ein Wachstum von 1,5 bis 2 Prozent erreichen dürfte.

In dieser Spanne liegen auch die neuen Prognosen der EU-Kommission (1,7 Prozent), des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche, WIIW (1,7 Prozent) und der Londoner Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, EBRD (1,5 Prozent), die halbjährlich im Herbst und im Frühjahr veröffentlicht werden.

Wachstumsprognosen Russland 2018 bis 2020

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent (Stand: 13. November 2018)
InstitutDatum201820192020
Commerzbank, Frankfurt09.11.182,01,3
EU Kommission08.11.181,71,61,8
Sachverständigenrat08.11.182,01,8
Helaba, Frankfurt08.11.181,81,7
WIIW, Wien07.11.181,71,61,8
EBRD, London01.11.181,51,5
FocusEconomics Consensus Forecast30.10.181,81,61,7
Berenberg Bank, Hamburg29.10.181,91,81,7
Russische Zentralbank;
Basisszenario
26.10.181,5 bis 2,0
Urals 72 $/b
1,2 bis 1,7
Urals 63 $/b
1,8 bis 2,3
Urals 55 $/b
ACRA, Analytical Credit Rating Agency25.10.181,61,41,5
Euler Hermes/Allianz24.10.181,61,5
Moody's23.10.181,71,7
RIA Rating19.10.181,5
BNP Paribas, Paris18.10.181,71,7
DekaBank, Frankfurt17.10.181,81,5
Economist Intelligence Unit17.10.181,71,81,6
Weltbank; Country Snapshot11.10.181,61,31,7
OPEC, Wien11.10.181,61,7
Internationaler Währungsfonds09.10.181,71,81,8
Economist-Umfrage04.10.181,61,5
BOFIT, Bank of Finland04.10.181,81,61,5
Danske Bank, Kopenhagen03.10.181,61,31,4
Alfa Bank, Moskau03.10.181,30,8
ABN AMRO, Amsterdam02.10.181,82,01,5
Chris Weafer, Macro Advisory01.10.181,71,42,0
Russisches Wirtschaftsministerium;
Haushaltsvorlage, Basisszenario
01.10.181,8
Urals 69,6 $/b
1,3
Urals 63,4 $/b
2,0
Urals 59,7 $/b
Gemeinschaftsdiagnose dt. Institute27.09.181,71,71,7
Fitch Ratings25.09.182,01,51,9
OECD, Interim Economic Outlook20.09.181,81,5

Kein kräftiger Aufschwung bis 2020

EU-Kommission, WIIW und EBRD beurteilen nicht nur die konjunkturelle Entwicklung Russlands im laufenden Jahr ziemlich einmütig. Sie sind sich auch einig, dass sich das Wachstum ohne strukturelle Reformen nicht fühlbar beschleunigen wird. Nach einer leichten Abschwächung des Produktionsanstiegs auf 1,6 Prozent im nächsten Jahr halten die EU-Kommission und das WIIW 2020 nur ein Anziehen des Wachstums auf 1,8 Prozent für erreichbar. Vom Research-Unternehmen FocusEconomics befragte Analysten sind noch etwas skeptischer (2020: + 1,7 Prozent).

Die russische Regierung geht hingegen davon aus, dass sich das Wachstum 2020 auf 2 Prozent beschleunigt (Zentralbank-Prognose: 1,8 bis 2,3 Prozent). Ab 2021 soll es dank wirtschaftspolitischer Reformen der Regierung über 3 Prozent steigen.

EU-Kommission sieht trotz Fortschritten viele wirtschaftspolitische Mängel

Die EU-Kommission erkennt in ihrer Herbst-Prognose zwar an, dass Russland bei der Umsetzung struktueller Reformen Fortschritte macht. Viele wirtschaftspolitische Herausforderungen seien aber noch nicht in Angriff genommen. Trotz der Anhebung des Renteneintrittsalters und der Ankündigung höherer Investitionen in Infrastruktur und Human-Kapital seien die Aussichten für eine signifikante Beschleunigung des Wachstums auf lange Sicht „trübe“. Als Hindernisse für ein kräftiges Wachstum nennt die Kommission unter anderem:

  • die Abnahme der Zahl der Erwerbstätigen bei einer rasch alternden Bevölkerung
  • zunehmende Eingriffe des Staates in die Wirtschaft mit einer starken Konzentration der Unternehmen in vielen Wirtschaftsbereichen
  • die Wirtschaftspolitik, die auf eine Abkoppelung von der Weltwirtschaft zielt

Privater Verbrauch wächst schwächer, Investitonen ziehen aber bis 2020 an

Die leichte Abschwächung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums von 1,7 Prozent in diesem auf 1,6 Prozent im nächsten Jahr (rote Linie in der folgenden Abbildung aus dem Bericht der EU-Kommission) begründet die EU-Kommission vor allem mit einem weiteren Rückgang des Wachstums des privaten Verbrauchs (hellblauer Teil der Säulen). Nachdem er 2018 noch um 2,1 Prozent steigen dürfte, wird er 2019 voraussichtlich nur noch um 1,6 Prozent zunehmen. Hintergrund dafür sind vor allem die höheren Verbrauchssteuern und niedrigere Anhebungen der Renten und Arbeitseinkommen. 2020 soll der Anstieg des privaten Verbrauchs wieder 2 Prozent erreichen.

Real GDP Growth Russia

Quelle: EU-Commission: European Economic Forecast, Autumn 2018: Russian Federation; 08.11.2018

EU-Kommission erwartet expansivere russische Haushaltspolitik

Das 2018 stark gedrückte Wachstum der Brutto-Anlageinvestitionen (+ 1,5 Prozent) soll sich nach den Erwartungen der Kommission hingegen spürbar und kontinuierlich erholen. 2019 soll es 2 Prozent erreichen und 2020 weiter auf 2,7 Prozent steigen. Dafür düften ab Mitte 2019 vor allem deutlich höhere öffentliche Infrastruktur-Investitionen sorgen. Den Unternehmen dürften auch höhere Investitionskredite gewährt werden, obwohl die Unsicherheit über die Verhängung von Sanktionen das Investitionsklima belastet.

In der Finanzpolitik der russischen Regierung erwartet die EU-Kommission somit einige Veränderungen. Während bisher das günstigere außenwirtschaftliche Umfeld genutzt wurde, um finanzielle Reserven aufzufüllen und die Widerstandsfähigkeit gegen makro-ökonomische Schocks zu stärken, hält die EU-Kommission es jetzt für wahrscheinlicher, dass Mehreinahmen durch den Anstieg der Ölpreise für eine Ausweitung der öffentlichen Ausgaben genutzt werden. Im gesamtstaatlichen Haushalt wird sich nach den Erwartungen der Kommission trotz dieser expansiveren Politik aber 2019 und 2020 ein ähnlich hoher Überschuss ergeben wie in diesem Jahr (1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts).

EU sieht die Trends bei Verbrauch und Investitionen wie die Zentralbank

Die EU-Kommission sieht bei der Entwicklung von privatem Verbrauch und Anlageinvestitionen damit ähnliche Trends wie die russische Zentralbank, die ihre Szenarien kürzlich in ihren Ende Oktober veröffentlichten Leitlinien der Geldpolitik aktualisierte. 2020 erwartet die EU-Kommission allerdings merklich niedrigere Zuwächse als die Zentralbank und die russische Regierung.

Hinsichtlich der Wachstumsrate des Verbrauchs der privaten Haushalte rechnet die Zentralbank in ihrem Basisszenario damit, dass sie sich von 2,5 bis 3,0 Prozent im laufenden Jahr auf 1,0 bis 1,5 Prozent im Jahr 2019 halbiert. Im Jahr 2020 soll der Anstieg des privaten Verbrauchs dann wieder 2,0 bis 2,5 Prozent erreichen (EU-Kommission: + 2,0 Prozent).

Bei den Brutto-Anlageinvestitionen geht die Zentralbank – wie die Kommission – hingegen von einem kontinuierlich anziehenden Wachstum aus. Nachdem in diesem Jahr nur ein Anstieg um 1,5 bis 2,0 Prozent erreicht wird, soll sich das Wachstum der Investitionen 2019 auf 1,8 bis 2,3 Prozent und 2020 auf 3,0 bis 3,5 Prozent beschleunigen (EU-Kommission: + 2,7 Prozent).

Inflationsziel von 4 Prozent wird erst 2020 wieder erreicht

Auch bei der Einschätzung der Inflationsentwicklung decken sich die Prognosen von  EU-Kommission und Zentralbank weitgehend. Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer, einer Abschwächung des Rubel-Kurses und steigenden Inflationserwartungen erwartet die Kommission im Jahresdurchschnitt 2019 eine vorübergehende Beschleunigung des Anstiegs der Verbraucherpreise auf 5 Prozent (nach einem Rückgang auf 3 Prozent in diesem Jahr). Sie rechnet aber damit, dass die Zentralbank 2020 ihr Inflationsziel von 4 Prozent wieder erreicht.

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: Pavel L Photo and Video / Shutterstock.com

Quellen und Lesetipps zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik

Konjunkturberichte und -prognosen:

Russisches Statistikamt Rosstat zur Konjunktur:

„Main Economic and Social Indicators“; monatliche Tabelle wichtiger Wirtschaftsdaten in Englisch;  Abbildungen mit Kurzkommentar am Schluss der Monatsberichte des Analytical Center of the Russian Government: Current trends in the Russian Economy; October: Dynamics and structure of investments in fixed capital;Veröffentlichungstermine des Berichts in Russisch: Main Economic and Social Indicators;

Weitere Veröffentlichungstermine von Wirtschaftsdaten; darunter:

Russische Regierung zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik:

Russische Zentralbank zu Konjunktur und Geldpolitik sowie Presseberichte zur Geldpolitik:

Russischer Rechnungshof zur Finanz- und Wirtschaftspolitik

Studien, Kommentare und Presseberichte zur Wirtschafts- und Finanzpolitik:

Artikel von Klaus Dormann in Ostexperte.de: