Russlands Wirtschaft: Gedämpfte Erwartungen für 2019

Russlands Wirtschaftswachstum: Gedämpfte Erwartungen für 2019

Nach Regierung und Zentralbank senken auch viele Analysten ihre Prognosen

Bereits Ende Juni hatte es Presseberichte gegeben, das russische Wirtschaftsministerium werde hauptsächlich wegen der Erhöhung der Mehrwertsteuer seine Prognosen für das Wachstum der russischen Wirtschaft beträchtlich senken. Zunächst war von einer Abwärts-Revision für das Jahr 2019 von 2,2 Prozent auf 1,4 Prozent die Rede. Anfang September teilte das Ministerium in seinem Bericht „Bild der Wirtschaft – August 2018“ zu seiner neuen „Prognose der sozio-ökonomischen Entwicklung bis 2024“ dann mit, es gehe von einem Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Wachstums von 1,8 Prozent im laufenden Jahr auf 1,3 Prozent im Jahr 2019 aus.

Am 01. Oktober hat das Wirtschaftsministerium nun einen fast 100 Seiten starken Bericht zu seinen Prognosen bis 2024 veröffentlicht. Er bietet neben einem Überblick über die aktuelle gesamtwirtschaftliche Entwicklung im laufenden Jahr unter anderem auch detaillierte Hinweise zur Entwicklung in den Sektoren Industrie, Transport, Kommunikation, Landwirtschaft und Fischerei, Die Prognosen des Wirtschaftsministeriums dienen als Grundlage für die Planung des Staatshaushalts für die Jahre 2019 bis 2021, die jetzt im Parlament beraten wird.

Seine Wachstumsprognose für 2019 hat das Ministerium nicht erneut geändert. Die Regierung geht von einem Rückgang des Wirtschaftswachstums auf 1,3 Prozent aus.

Basis-Szenario des Wirtschaftsministeriums 2017 bis 2021

Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent (Stand: Oktober 2018)
 20172018201920202021
Ölpreis Urals, $/barrel5369,663,459,757,9
Rubel/Dollar (Jahresdurchschnitt)58,361,663,963,864,0
BIP, real +1,5+1,8+1,3+2,0+3,1
Industrieproduktion+2,1+3,0+2,4+2,7+3,1
Reallöhne+2,9+6,9+1,4+1,9+2,5
Einzelhandelsumsatz, real+1,3+2,9+1,7+2,0+2,6
Verbraucherpreise (Dez./Dez.)+2,5+3,4+4,3+3,8+4,0

Quellen: Wirtschaftsministerium: Prognose der sozio-ökonomischen Entwicklung der Russischen Föderation bis 2024; 01.10.2018; und für Rubel-Kurs: Wirtschaftsministerium: Bild der Wirtschaft – August 2018; 05.09.2018

Mitte September nahm auch die russische Zentralbank im „Monetary Policy Report“ ihre Wachstumserwartungen für 2019 von 1,5 bis 2 Prozent auf 1,2 bis 1,7 Prozent zurück. Die meisten Analysten blieben hingegen lange bei höheren Prognosen. Inzwischen rechnen auch sie fast alle mit einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums in Russland.

Analysten-Umfragen zeigen sinkende Erwartungen

Bei der Anfang Oktober veröffentlichten Umfrage des Research-Unternehmens „FocusEconomics“ gingen die Analysten im Durchschnitt davon aus, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft im nächsten Jahr von 1,8 Prozent auf 1,6 Prozent verringert. In der jüngsten Umfrage des Londoner Wirtschaftsmagazins „The Economist“ schwächte sich die durchschnittliche Prognose für 2019 auf 1,5 Prozent ab. Das russische Büro der Nachrichtenagentur Reuters hatte bei überwiegend russischen Analysten bereits Anfang September sogar einen Rückgang der Erwartungen auf 1,4 Prozent ermittelt.

Mehr oder weniger schnell folgen viele Analysten also der Abwärts-Revision des Wirtschaftsministeriums. Anfang Oktober senkte zum Beispiel auch die Danske Bank in ihrem vierteljährlichen „Emerging Markets Briefer“ ihre Wachstumserwartung für 2019 auf 1,3 Prozent. Natalia Orlova, in der russischen Presse häufig zitierte Chef-Volkswirtin der Alfa Bank, der größten russischen Privatbank, blieb Anfang Oktober mit ihren neuen Prognosen am unteren Rand des Spektrums. Sie rechnet nach einer Abschwächung des Wachstums auf 1,3 Prozent in diesem Jahr im nächsten Jahr nur noch mit einem Produktionsanstieg um 0,8 Prozent.

Wachstumsprognosen Russland 2018 bis 2020

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent (Stand: Oktober 2018)
InstitutDatum201820192020
Economist-Umfrage04.10.181,61,5
BOFIT, Bank of Finland04.10.181,81,61,5
Helaba, Frankfurt04.10.181,81,7
Danske Bank, Kopenhagen03.10.181,61,31,4
Alfa Bank, Moskau03.10.181,30,8
Berenberg Bank, Hamburg02.10.181,91,81,7
FocusEconomics Consensus Forecast02.10.181,81,61,6
ABN AMRO, Amsterdam02.10.181,82,01,5
Chris Weafer, Macro Advisory01.10.181,71,42,0
Commerzbank, Frankfurt28.09.181,81,3
Gemeinschaftsdiagnose dt. Institute27.09.181,71,71,7
Fitch Ratings25.09.182,01,51,9
RIA Rating24.09.181,7
OECD, Interim Economic Outlook20.09.181,81,5
Economist Intelligence Unit19.09.181,71,81,6
Russische Zentralbank;
Basisszenario
14.09.181,5 bis 2,0
Urals 69 $/b
1,2 bis 1,7
Urals 60 $/b
1,8 bis 2,3
Urals 55 $/b
Internationaler Währungsfonds12.09.181,71,51,5
DekaBank, Frankfurt12.09.181,81,5
OPEC, Wien12.09.181,61,7
Institut für Weltwirtschaft, Kiel06.09.181,91,61,5
DIW, Berlin06.09.181,61,82,0
ifo Institut, München06.09.181,91,51,5
IWH, Halle06.09.181,41,81,8
RWI, Essen05.09.181,71,81,8
Russisches Wirtschaftsministerium;
Basisszenario
05.09.181,8
Urals 69,6 $/b
1,3
Urals 63,4 $/b
2,0
Urals 59,7 $/b
Reuters-Umfrage05.09.181,71,4
Nordea Markets, Kopenhagen05.09.181,81,21,5
CMASF, Moskau05.09.181,51,52,3
Eurasian Development Bank31.08.181,81,81,9
SEB, Stockholm28.08.181,71,72,0
Higher School of Economics-Umfrage19.08.181,71,51,6

Auch BOFIT erwartet 2019 weniger Wachstum

Das „Institute for Economies in Transition“ der finnischen Zentralbank (BOFIT) veröffentlichte Anfang Oktober seine neue halbjährliche Wachstumsprognose. Sie nimmt eine mittlere Position im Prognose-Spektrum ein und entspricht den durchschnittlichen Erwartungen bei der Umfrage von „Focus Economics“. Auch die finnischen Konjunkturforscher rechnen für 2019 mit einer Abschwächung des Wachstums von 1,8 auf 1,6 Prozent (schwarze Linie „GDP growth“ in der folgenden Abbildung)

Russisches BIP-Wachstum
Quelle: BOFIT (Bank of Finland): BOFIT Forecast for Russia; 04.10.2019

BOFIT: Alle Nachfrageaggregate wachsen 2019 langsamer

BOFIT sieht bei der Entwicklung von Konsum, Investitionen, Außenhandel, Preisen und Staatshaushalt folgende Trends:

Privater Konsum (rot): Weiterhin ziemlich träge Erholung; Erhöhung der Mehrwertsteuer treibt Preise, kostet Kaufkraft.

Investitionen (grün): Weiterhin langsame Erholung trotz veraltetem Kapitalstock und rekordhoher Kapazitätsauslastung. Mit der Fertigstellung einiger teilweise staatlich finanzierten Großprojekte ließ das Wachstum der Investitionen im ersten Halbjahr nach. Neue ausländische Sanktionen oder ihre Androhung haben die Unternehmen verunsichert. Die Implementierung der von Präsident Putin in den Mai-Dekreten geforderten Investitionsprojekte wird wohl erst Mitte 2019 beginnen.

Staatsverbrauch (violett): Die höhere Inflation dämpft im nächsten Jahr auch das reale Wachstum der staatlichen Ausgaben.

Außenhandel: Das Tempo der Erholung der russischen Importe von ihrem tiefen Einbruch von 2014 bis 2016 ließ im ersten Halbjahr 2018 im Vorjahresvergleich auf rund 6 Prozent nach. Die Rubel-Abwertung verteuerte die Einfuhren. In den nächsten Jahren ist bei einem annahmegemäß ziemlich stabilen real-effektivem Wechselkurs ein Wachstum der Einfuhren um rund 5 Prozent zu erwarten. Das schnelle Wachstum der realen Exporte wird sich voraussichtlich abschwächen.

Wirtschaftswachstum insgesamt: Da es wenig Anzeichen für die Realisierung marktwirtschaftlicher Reformen gibt, wird das Wachstum in den kommenden Jahren schwach bleiben.

Öffentliche Finanzen: Bei einem Urals-Ölpreis von rund 60 Dollar/Barrel wird erwartet, dass der Föderationshaushalt und der konsolidierte staatliche Gesamthaushalt in den nächsten Jahren mit merklichen Überschüssen schließen.

Natalia Orlova (Alfa Bank): Leicht anziehende Investitionen können 2019 Abschwächung des Konsumwachstums nicht ausgleichen

Die Chefvolkswirtin der Alfa Bank, Natalia Orlova, rechnet im nächsten Jahr zwar bei verstärkten öffentlichen Infrastrukturinvestitionen mit einem leichten Anziehen des Wachstums der Investitionen von 2,5 Prozent auf 3 Prozent.

Das Wachstum des privaten Verbrauchs wird sich nach ihrer Einschätzung jedoch von 3 Prozent auf 1,5 Prozent halbieren. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Rentenreform würden die Kaufkraft der Verbraucher schwächen. Das Wachstum der Reallöhne werde sich von rund 6 Prozent auf rund 4 Prozent verringern. Zudem würde die Vergabe der kräftig gestiegenen Konsumentenkredite künftig erschwert.

Für das gesamtwirtschaftliche Wachstum bedeute dies eine Abschwächung von 1,3 Prozent in diesem Jahr auf nur noch 0,8 Prozent im nächsten Jahr. Orlova bleibt mit dieser Erwartung am unteren Rand des Prognose-Spektrums.

Quellen und Lesetipps zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik

Konjunkturprognosen und -berichte:

Konjunkturumfragen; Prognosenvergleiche:

Russisches Wirtschaftsministerium zur Konjunkturentwicklung:

Russische Zentralbank zu Geldpolitik und Konjunktur sowie Presseberichte zur Geldpolitik:

Russisches Statistikamt Rosstat zur Konjunktur:

„Main Economic and Social Indicators“; monatliche Tabelle wichtiger Wirtschaftsdaten in Englisch; Veröffentlichungstermine des Berichts in Russisch: Main Economic and Social Indicators;

Weitere Veröffentlichungstermine von Wirtschaftsdaten:

Weitere Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland:

Artikel von Klaus Dormann in Ostexperte.de:

Veröffentlichungen des Deutsch-Russischen Wirtschaftsclubs Düsseldorf von Klaus Dormann:

Titelbild
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