Konjunkturforscher haben jetzt Hochsaison – Wie schnell kommt Russland aus der Rezession?
Konjunkturexperten haben im Herbst immer viel zu tun. Schließlich müssen die Pläne für den Staatshaushalt für das kommende Jahr fertiggestellt und Szenarien für die nächsten Jahre entwickelt werden. Und auf internationaler Ebene steht in der ersten Oktober-Woche die gemeinsame Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank an.
Kurzzusammenfassung:
• 2016 sinkt das Bruttoinlandsprodukt erneut, aber deutlich schwächer als 2015
• 2017 kann wohl nicht viel mehr als der Rückgang von 2016 ausgeglichen werden
• Die Prognosen von Wirtschaftsministerium und Zentralbank sind besonders vorsichtig; sie gehen von bei 40 Dollar stagnierenden Ölpreisen aus
• Der private Verbrauch wird die Konjunkturerholung hauptsächlich tragen
• Die Rezessionsverluste 2015/2016 sind wohl erst in drei Jahren wettgemacht
Prognosen zur russischen Wirtschaft
Die deutschen Forschungsinstitute sind in diesem Jahr vorgeprescht und haben sich schon Ende September mit ihrer „Gemeinschaftsdiagnose“ zur Entwicklung der deutschen und internationalen Konjunktur zu Wort gemeldet. Zur russischen Wirtschaft finden sich darin zwar neben einigen Prognosedaten zur Entwicklung von Produktion und Preisen nur wenige Randbemerkungen. Detaillierter haben sich zu Russland das Berliner Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Kieler Institut für Weltwirtschaft aber schon im Rahmen ihrer am 8. September veröffentlichten Berichten geäußert.
Wie das russische Wirtschaftsministerium die aktuellen Konjunkturperspektiven einschätzt, wurde bisher zwar noch nicht offiziell veröffentlicht. Die Presse hat seit Ende August aber über die Szenarien ausführlich berichtet. Und die russische Zentralbank legte ihre Einschätzungen in ihren neuen Leitlinien zur Geldpolitik Mitte September vor. Zeit für einen Vergleich dieser Prognosen mit der Sicht internationaler Analysten.
2016 sinkt Bruttoinlandsprodukt bei scharfem Rückgang von privatem Verbrauch und Investitionen noch etwas
Übereinstimmend erwarten die Experten in Russland und im Ausland, dass die Produktion der russischen Wirtschaft 2016 weiter zurückgehen wird. Das Tempo der Rezession schwächt sich aber deutlich ab. Bis auf wenige Ausnahmen liegen die Prognosen zwischen minus 0,5 Prozent und minus 1 Prozent.
Im ersten Halbjahr 2016 war das Bruttoinlandsprodukt nach ersten Berechnungen des Statistikamtes Rosstat noch 0,9 Prozent niedriger als vor einem Jahr. Das Wirtschaftsministerium schätzt, dass der Rückgang in den ersten acht Monaten 0,7 Prozent betrug. Dabei sanken die Investitionen im ersten Halbjahr im Vorjahresvergleich weiter um 4,3 Prozent. Die hartnäckige Investitionsschwäche wird auch im anhaltenden Rückgang der Bauproduktion deutlich, für die bereits Rosstat-Daten für die ersten acht Monate vorliegen (- 4,6 Prozent). Dass die gesamte Industrieproduktion im Zeitraum Januar bis August dennoch etwas höher war als im Vorjahr (+ 0,4 Prozent) ist hauptsächlich der gesteigerten Produktion im Sektor Bergbau/Förderung von Rohstoffen (+ 2,4 Prozent) zuzuschreiben. Die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe sank hingegen erneut (- 0,8 Prozent).
Scharf getroffen von der Rezession ist insbesondere der private Verbrauch. Bei einem Rückgang der verfügbaren Einkommen um real 5,8 Prozent war der Einzelhandelsumsatz preisbereinigt 5,7 Prozent niedriger als in den ersten acht Monaten 2015. Die Danske Bank erwartet in ihrer neuen Prognose, dass der private Verbrauch im laufenden Jahr um 4,5 Prozent eingeschränkt wird (bei einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,6 Prozent). 2015 war der private Verbrauch bereits um rund 10 Prozent gesunken. Der „Emerging Markets Briefer“ der Danske Bank enthält auch Abbildungen zur aktuellen Entwicklung von Kennziffern zu Produktion und Verbrauch.
Wirtschaftsministerium senkte Wachstumsprognose, IWF hob sie an
Die Konjunkturprognosen für das laufende Jahr haben sich seit dem Frühjahr natürlich einander genähert. Die russische Regierung ist jetzt etwas pessimistischer. Ging das Wirtschaftsministerium im April/Mai noch davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr fast das Vorjahresergebnis erreichen kann (- 0,2 Prozent), erwartet es jetzt wie die Danske Bank einen Rückgang um 0,6 Prozent. Gleichzeitig haben ausländische Beobachter ihre Prognosen für dieses Jahr meist deutlich angehoben. So rechnet zum Beispiel der IWF jetzt nur noch mit einem Produktionsrückgang um 0,8 Prozent. Im April war er noch von minus 1,8 Prozent ausgegangen.
Auch deutsche Institute sehen Russlands Konjunktur jetzt optimistischer
In ihrer im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums am 29. September vorgelegten „Gemeinschaftsdiagnose“ rechnen die beteiligten deutschen Konjunkturforschungsinstitute wie der IWF damit, dass die Produktion der russischen Wirtschaft 2016 um 0,8 Prozent sinkt. Auch ihre Prognose für 2017 deckt sich mit der Einschätzung des IWF: Das Wachstum dürfte 1,1 Prozent erreichen. Alle deutschen Institute schätzen die Entwicklung in Russland jetzt etwas günstiger ein als im Frühjahr. Sie rechnen 2016 aber noch mit einem weiteren Produktionsrückgang. Die Anfang September veröffentlichten Prognosen von IfW Kiel, DIW Berlin und RWI Essen entsprechen mit – 0,8 Prozent bzw. – 0,7 Prozent weitgehend dem Durchschnitt der Erwartungen bei Analysten-Umfragen wie zum Beispiel von FocusEconomics. Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle, IWH, ist etwas optimistischer und hält einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,4 Prozent für möglich.
Prognosen gesamtwirtschaftliche Produktion in Russland September/Oktober 2016
Schätzung des Bruttoinlandsprodukts, real gegenüber dem Vorjahr, angegeben in Prozent (Stand: 5. Oktober 2016).Institut | Datum | 2016 | 2017 | 2018 |
---|---|---|---|---|
IWF | 2016/10/04 | -0.8 | 1.1 | |
FocusEconomics-Poll | 2016/10/04 | -0.6 | 1.3 | 1.6 |
Danske Bank, Kopenhagen | 2016/09/30 | -0.6 | 1.2 | |
Commerzbank, Frankfurt | 2016/09/30 | -1.0 | 1.3 | |
Berenberg Bank, Hamburg | 2016/09/30 | -0.8 | 0.6 | |
Gemeinschaftsdiagnose dt. Institute | 2016/09/29 | -0.8 | 1.1 | 1.7 |
Bank of Finland, BOFIT, Helsinki | 2016/09/29 | -1.0 | 1.0 | 1.5 |
RBI/Raiffeisen Research, Wien | 2016/09/28 | -0.5 | 1.0 | 1.5 |
Konsensus laut RBI/Raiffeisen | 2016/09/28 | -0.6 | 1.2 | 1.7 |
Russische Zentralbank, Moskau | 2016/09/16 | -0.3 bis -0.7 | 0.5 bis 1.0 | 1.5 bis 2.0 |
S&P | 2016/09/16 | -1.0 | 1.4 | 1.7 |
Economist Intelligence Unit, London | 2016/09/14 | -0.8 | 0.7 | 1.2 |
Deka Bank, Frankfurt | 2016/09/13 | -0.8 | 1.1 | |
OPEC | 2016/09/12 | -0.8 | 0.7 | |
Moody's | 2016/09/12 | -1.0 | 1.5 | |
ACRA, Moskau | 2016/09/12 | -1.5 | -0.1 | 0.5 |
Economist-Poll | 2016/09/10 | -0.5 | 1.4 | |
Institut für Weltwirtschaft, Kiel | 2016/09/08 | -0.8 | 1.3 | 2.0 |
Rabobank, Rotterdam | 2016/09/08 | -1.5 | 0.5 | |
DIW, Berlin | 2016/09/08 | -0.8 | 1.2 | 1.9 |
RWI, Essen | 2016/09/08 | -0.7 | 1.2 | 1.8 |
Finanzministerium, Basisszenario | 2016/09/05 | -0.6 | 0.6 | 1.7 |
Allianz, München | 2016/09/02 | -0.6 | 1.5 | |
IWH, Halle | 2016/09/01 | -0.4 | 1.5 | 2.0 |
Nordea, Stockholm | 2016/09/01 | -1.0 | 1.1 | 1.3 |
Wirtschaftsministerium, Basisszenario | 2016/08/30 | -0.6 | 0.6 | 1.7 |
SEB, Stockholm | 2016/08/30 | -0.4 | 1.0 | 1.5 |
Vorsichtige Prognosen von Regierung und Zentralbank für 2017
2017 trauen die Institute in Berlin und Halle der russischen Wirtschaft jetzt etwas mehr Dynamik zu als im Juni. Sie verbreiten mit Prognosen zwischen 1,2 und 1,5 Prozent sogar mehr Wachstumsoptimismus als die russische Zentralbank (+ 0,5 Prozent bis + 1 Prozent) und das besonders zurückhaltende Wirtschaftsministerium (+ 0,6 Prozent).
Zentralbank und Wirtschaftsministerium sind bei ihren Annahmen für die Entwicklung der Ölpreise allerdings auch besonders vorsichtig. Sie rechnen nicht wie die meisten internationalen Experten mit einem langsam steigenden Ölpreis, sondern nehmen im Basisszenario einen bei 40 Dollar je Barrel stagnierenden Preis an. Im Durchschnitt der ersten acht Monate 2016 kostete Urals laut Wirtschaftsministerium 39,2 Dollar/Barrel (rund – 29 % gegenüber Jan.-Aug. 2015).
2018 halten die deutschen Institute es für möglich, dass sich das Wirtschaftswachstum auf bis zu 2 Prozent beschleunigt. Damit rechnen auch die Zentralbank (+ 1,5 Prozent bis + 2 Prozent) und das Ministerium (+ 1,7 Prozent).
Prognose des Forschungsinstituts der finnischen Zentralbank: Stark geschrumpfter privater Verbrauch wird jetzt Wachstumsträger
BOFIT, das Forschungsinstitut der Bank of Finland, schätzt die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion ähnlich wie das russische Wirtschaftsministerium ein. Nach einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 1 % im laufenden Jahr rechnet es 2017 mit einer Erholung um 1 %, die sich 2018 leicht beschleunigen dürfte (+ 1,5 %).
Der private Verbrauch, der 2015 und 2016 als Folge von Rubel-Absturz und Inflationsschub besonders stark zurückging, wird laut BOFIT ab 2017 zur wichtigsten Stütze für die insgesamt schwache Erholung. Ein BOFIT-Chart lässt Trends der Verwendung des Bruttoinlandsprodukts von 2015 bis 2018 erkennen:
- 2015 ergab sich der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3,7 % insbesondere durch deutlich niedrigere private Verbrauchsausgaben Die Außenwirtschaft stützte hingegen das Wachstum, da die Importe sehr viel stärker sanken als die Exporte.
- 2016 halten der sinkende private und öffentliche Verbrauch sowie die Abnahme der Investitionen in der Rezession. Von ihnen kommen negative Wachstumsbeiträge. Positive Beiträge aus der Aufstockung der Lager und vom Außenbeitrag aus Ausfuhr und Einfuhr können sie nicht ausgleichen.
- 2017 setzt das Wachstum des privaten Verbrauchs langsam ein. Die Investitionen stagnieren aber noch annähernd. Der Staatsverbrauch sinkt sogar weiter. Die schwache Erholung der gesamtwirtschaftlichen Produktion um rund 1 % wird hauptsächlich vom privaten Verbrauch getragen.
- 2018 bleibt dies so. Das Wachstum beschleunigt sich leicht auf 1,5 %, weil der Staatsverbrauch nicht mehr weiter sinkt. Wichtigster Wachstumsträger ist wie 2017 der private Verbrauch.
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Reuters: IMF improves Russia outlook, warns of bleak long-term picture; 04.10.2016
Russisches Wirtschaftsministerium: Russlands Wirtschaft Januar bis August 2016; russisch; 03.10.16
Danske Bank: Emerging Markets Briefer; 30.09.2016
TASS: МВФ вновь улучшил свой прогноз по динамике ВВП России; 30.09.2016
Bank of Finland, BOFIT: BOFIT Forecast for Russia 2016–2018; 29.09.2016
Rupert Hargreaves: Russia is preparing for $40 oil for a long time; valuewalk.com; 29.09.2016
Central Bank of Russia: Monetary Policy Guidelines for 2017-2019, draft; 28.09.2016
Raiffeisen Bank International: Central & Eastern European Strategy; 28.09.2016
Carsten Pallas (HSH Nordbank): Russland: Talsohle scheint erreicht; in: Rententrends, 27.09.2016
BOFIT: Consumption continued to fall in Russia in August; production picked up slightly; 23.09.2016
Vedomosti: Ministry of Economic Development has specified scenario for Russia in 2016-19; 22.09.16
Peter Netreba: Путину рассчитали стагнацию; Putin calculated stagnation;gazeta.ru, 22.09.2016
Nikola Stephan (Deka Bank): Russland: Wirtschaftliche Erholung schreitet langsam voran; 14.09.2016
Gaidar Institute: Monthly Review: Russian Economy: Trends and Perspectives; 20.09.2016
Gaidar Institute: Monitoring of Russia’s Economic Outlook; Russian Industry in 1H 2016; 08.09.2016
World Bank: Russia Monthly Economic Developments; 13.09.2016
Dmitry Kulikov (ACRA): Russian Economy: No Knock Out to Recession Yet; 12.09.2016
Ricardo Aceves (FocusEconomics): Russia Economic Outlook – Recession nears end; 09.09.2016
DIW Berlin: Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung im Herbst 2016; 08.09.2016
Institut für Weltwirtschaft Kiel: Weltkonjunktur im Herbst 2016; 08.09.2016
Allianz: BRIC Forecasts: Russland: Kennzahlen und Prognosen; 02.09.2016
Dmitry Fedenkov (Nordea): Russia: Growth is coming; Nordea Economic Outlook, 01.09.2016
SEB: Nordic Outlook; Russia: Downward pressure has eased; 30.08.2016
Klaus Dormann: Russlands Konjunktur im Sommer 2016; Ostexperte.de, 26.08.2016
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