Ost-Ausschuss: Die Politik der kleinen Schritte

Ost-Ausschuss-Kolumne: Die Politik der kleinen Schritte

Um es ganz deutlich zu sagen: Russland und Deutschland als Teil der Europäischen Union befinden sich nach wie vor in einer krisenhaften Situation. Die beiderseitigen Sanktionen gelten weiter. Der Grund für ihre Einführung ist nicht beseitigt. Aber der Ton der Auseinandersetzung hat sich seit einiger Zeit verändert.

Sicher nicht bei den Herren Kisseljov und Solowjew. Und auch in Europa gibt es nicht wenige, die Russland mit aller nur möglichen Härte begegnen möchten. Ich stelle mir dann immer die Frage, welche finale Konsequenz dieser Kurs vorsieht? Krieg? Isolation? Chaos?

Russischer Mittelstand auf der Grünen Woche

Wie so oft lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Ich komme gerade von der Grünen Woche. Dort gibt es nach Jahren der Abstinenz wieder eine große russische Beteiligung, inklusive Ministerbesuch. Besonders bemerkenswert ist jedoch die Existenz eines Gemeinschaftsstandes. Er gibt kleinen und mittleren russischen Produzenten die Chance, sich dem deutschen und internationalen Publikum zu präsentieren.

Es gibt sie also auch in der russischen Land- und Ernährungswirtschaft: Mittelständler. 200.000 Unternehmen zählt die Branche russlandweit. Allerdings erwirtschaften nur 200 Betriebe 40 Prozent des Gesamtumsatzes. Höchste Zeit also die anderen 99,9 Prozent sichtbar zu machen.

Intensive Außenwirtschaftsförderung

Der Stand wird vom Russischen Exportzentrum (REZ) finanziert und organisiert. Die Institution ist noch keine zwei Jahre alt. Zusammen mit Exiar, einer der deutschen Exportkreditversicherung der Bundesrepublik ähnlichen Absicherung für russische Produzenten, sollen darüber die Ausfuhren jenseits von Öl und Gas und Rüstungsgütern stimuliert werden.

Der russische Staat würde wohl kaum enorme Mittel in die Außenwirtschaftsförderung stecken, mit dem Ziel sich weiter abzuschotten. Erstaunlich ist auch die Vielfalt des Angebotes: Wein aus dem Kuban, Beeren und Pilze aus Sibirien, Tiefkühlkost, Zier- und Nutzpflanzen, Düngemittel, Holzstreu für die Stallhaltung.

Ob die Unternehmen eine Chance auf einem der schwierigsten und am meisten umkämpften und subventionierten Märkte der Welt haben, wird sich Ende der Woche zeigen. Immerhin waren die deutschen Agrareinfuhren 2016 mehr als doppelt so hoch wie vor 15 Jahren. Genug Platz also, um eine Nische zu füllen.

Vertrauen in den Rubel wächst

Szenenwechsel: Unter den Top drei der Risiken gaben die deutschen Unternehmen in den letzten Jahren immer die Volatilität des Rubels an. Die Abwertung der Währung machte Importe deutlich teurer. Vor allem aber die Schwankungsbreite war für die Vertragsgestaltung ein unkalkulierbares Hindernis. Die Risikoaufschläge auf Geschäfte in Rubel waren gigantisch.

Zum Jahresende 2017 zeigt sich ein anderes Bild. Die Risk Reversals deuten auf ein deutliches geringeres Risiko hin. Sie zeigen das Verhältnis von Kauf- und Veräußerungs-Optionen auf. „Dieser Indikator ist besonders interessant, weil er von Staaten nicht wirklich manipuliert werden kann. Er wird vom Markt bestimmt“, so Lutz Karpowitz, Spezialist für Emerging Markets bei der Commerzbank. Im Klartext heißt das, das Vertrauen in den Rubel wächst.

Rubelkurs als Exportmotor

Die Stabilität des Rubelkurses ist eng an die Entwicklung des Ölpreises gekoppelt, und der kennt seit Monaten nur eine Richtung: aufwärts. Die Abhängigkeit der beiden Parameter war in der Vergangenheit so hoch, dass sich die beiden Kurven nahezu perfekt ergänzten. Fiel der Ölpreis, wertete der Rubel ab und umgekehrt. Seit einiger Zeit jedoch verharrt der Rubel auf einem Niveau um etwa 69 Rubel für einen Euro.

Der Staat nutzt die Währung, um Exporte künstlich zu verbilligen, und tatsächlich sind einige russische Anbieter mittlerweile auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig. Diese Politik sorgt auch für einen ausgeglichenen Haushalt und freie Mittel für Infrastrukturprojekte. Unter anderem wurde ein milliardenschweres Programm zur Digitalisierung der Wirtschaft aufgelegt.

Entscheidung in der Lokalisierungspolitik

Aber noch an anderer Stelle wird deutlich, dass man aller offiziellen Rhetorik zum Trotz wirtschaftspolitische Entscheidungen von enormer Tragweite und auch im Sinne ausländischer Investoren trifft. Eine ihrer Kernforderung und auch des Ost-Ausschusses bestand immer darin, im Zuge der Lokalisierung das Label „Made in Russia“ nicht nur für einzelne Produktgruppen sondern für eine Firma als Ganzes zu vergeben.

Der Widerstand gegen diese Forderung von russischer Seite war immens. In zahllosen Sitzungen, Schreiben und Unternehmergesprächen wurde immer wieder wortreich erklärt, dass man dieser Forderung nicht nachgeben könne. Jetzt soll im Zuge der Gesamtanpassung der Lokalisierungsregeln genau das verwirklicht werden. Ob es so kommt, wird der nächste SPIK (Sonderinvestitionsvertrag) zeigen.

Der wirtschaftliche Druck ist groß

Woher kommt dieser Sinneswandel? Einerseits gibt es handfeste ökonomische Gründe. Zu oft wurde die russische Wirtschaft in den letzten zwei Jahrzehnten das Opfer ihrer selbst verschuldeten Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten. Die intensive Förderung anderer Branchen soll das ändern.

Andererseits ist die für 2017 prognostizierte Steigerung des Bruttosozialproduktes zwar nach Jahren der Rezession erfreulich, fällt aber für einen Emerging Market mit unter zwei Prozent immer noch deutlich zu gering aus. Trotz kontinuierlicher Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investoren, zögern Firmen sich wieder verstärkt in Russland zu engagieren. Makroökonomische Daten sind eben kein Ersatz für Vertrauen.

Kampf um das Vermächtnis des Präsidenten

Und nicht zu vergessen: Im März wird in Russland gewählt. Die Frage ist wohl kaum, wer neuer russischer Präsident wird, sondern eher wie sein politisches Vermächtnis aussehen wird. Dazu zählt auch der Zustand der Wirtschaft. Um Russland wirklich zu einem hoch entwickelten Industriestaat zu machen, sind Reformen unumgänglich.

Und Partner, die neben Investments auch für Technologietransfer, Know-how und Expertise stehen. Jetzt zeigt sich, dass mit der Wendung nach China, genau das nicht gelingt. Der südliche Nachbar benutzt Russland zwar als integralen Bestandteil seiner Strategie der zukünftigen Sicherung von Energie und Rohstoffen. Nicht jedoch, um gemeinsam Hochtechnologie zu entwickeln.

USA als „Wandelbeschleuniger“

Der Sinneswandel wird letztlich auch dadurch forciert, dass der ökonomische Druck aus den Vereinigten Staaten massiv wächst. Spätestens Ende Januar wird sich zeigen, welche weiterführenden Konsequenzen die amerikanischen Sanktionen entfalten werden. Da kann ein verlässlicher Partner Europa durchaus hilfreich und ausgleichend sein.


Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand für Russland beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Foto: zVg
Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand
im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.

Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu