Um „mehr als 2 Prozent“ werde die russische Wirtschaft in diesem Jahr wachsen. So zuversichtlich äußerte sich Ministerpräsident Mischustin laut Izvestia in einem Gespräch mit Präsident Putin am 05. Juli. Wirtschaftsminister Reschetnikow hatte schon vorher angekündigt, u.a. beim Internationalen Wirtschaftstreffen in Sankt Petersburg, dass die Regierung ihre bisherige Wachstumsprognose vom April (+ 1,2 Prozent) deutlich anheben werde. Die neuen Konjunktureinschätzungen der Regierung sollen im August veröffentlicht werden. Im Vorfeld verdreifachte das Forschungsinstitut der staatlichen Wneschekonombank (Bank für Außenwirtschaft) am letzten Freitag seine Prognose des Wirtschaftswachstums auf 2,3 Prozent. Mitte April hatte es den diesjährigen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts noch auf lediglich 0,8 Prozent veranschlagt.
Die meisten ausländischen Beobachter sehen Russlands Konjunktur nicht so optimistisch. Bisher erwarten Banken und Forschungsinstitute außerhalb Russlands in diesem Jahr laut Umfragen im Durchschnitt noch eine weitgehende Stagnation der Produktion der russischen Wirtschaft. Aber auch sie haben ihre Prognosen fast alle kräftig angehoben. Beispiele dafür sind das „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche“ und die Frankfurter DekaBank.
Das WIIW erhöht seine Wachstumsprognose für Russland auf 1 Prozent
Das „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche“ sah die Chancen für ein baldiges Ende der Rezession der russischen Wirtschaft vor einem halben Jahr noch sehr skeptisch. Im Januar rechnete das auf die Analyse der Konjunkturentwicklung in Mittel-, Ost- und Südosteuropa spezialisierte Institut wie viele andere Beobachter sogar noch mit einer Verschärfung des Produktionsrückgangs in Russland auf 3 Prozent im Jahr 2023.
Ende April revidierte das WIIW seine Prognose aber bereits kräftig nach oben. In seiner „Frühjahrsprognose“ erwartete es für dieses Jahr eine Stagnation des russischen Bruttoinlandsprodukts. In seiner „Sommerprognose“ rechnet es jetzt für 2023 mit einem Wachstum der russischen Wirtschaft um ein Prozent. In den Jahren 2024 und 2025 dürfte sich der Produktionsanstieg nach Einschätzung des Instituts allerdings kaum weiter beschleunigen und auf jeweils 1,5 Prozent beschränkt bleiben.
FocusEconomics-Umfrage: 2023 stagniert Russlands BIP
Das WIIW sieht die Konjunkturentwicklung in Russland damit etwas günstiger als der Durchschnitt der vom Research-Unternehmen „FocusEconomics“ im Juni erfassten Prognosen ausweist.
Im Januar hatte die Umfrage des in Barcelona ansässigen Unternehmens, die nur wenige Prognosen russischer Institute berücksichtigt, für das Jahr 2023 ebenfalls noch eine Verschärfung der Rezession in Russland auf 3 Prozent erwarten lassen. Das zeigt die blaue Linie in der folgenden Abbildung von FocusEconomics.
FocusEconomics: Entwicklung der BIP-Prognosen für Russland
Prognosen für die Veränderung des BIP gegenüber dem Vorjahr in Prozent
FocusEconomics Consensus Forecast: CIS Plus Countries, July 2023, 04.07.23
Im Juni rechneten die Analysten laut FocusEconomics jetzt im Durchschnitt für dieses Jahr mit einer Stagnation der gesamtwirtschaftlichen Produktion in Russland, während das WIIW seine Prognose auf + 1 Prozent anhob.
Auch die Wachstumsaussichten im Jahr 2024 sieht das WIIW mit 1,5 Prozent etwas günstiger als der Durchschnitt der Teilnehmer der FocusEconomics-Umfrage (orange Linie: + 1,1 Prozent).
Almanas Stanapedis, „Head of Research“ bei FocusEconomics, verweist in seinem Kommentar zu den Umfrageergebnissen allerdings darauf, dass sich die Rahmenbedingungen für die russischen Unternehmen durch die Meuterei der Wagner-Truppen Ende Juni verschlechtert hätten. Die Aussichten auf eine instabilere politische Entwicklung in Russland hätten sich erhöht.
Angesichts der „Rebellion“ der Wagner-Truppen habe der Rubel im Juni gegenüber dem US-Dollar im Vergleich zum Vormonat um 9,3 Prozent abgewertet. Der Rubel-Kurs sei so schwach wie seit 15 Monaten nicht mehr. Niedrigere Ölpreise und ein geringeres Angebot von Devisen durch russische Exporteure hätten den Rubel im Juni auch belastet. Bis zum Jahresende werde sich der Rubel aber wahrscheinlich etwas erholen.
Die vom Londoner Research-Unternehmen „Consensus Economics“ im Juni ermittelten durchschnittlichen Wachstumsprognosen für Russland sind nach Angaben des Forschungsinstituts BOFIT der finnischen Zentralbank etwas höher (2023: + 0,4 Prozent; 2024: + 1,3 Prozent) als die Ergebnisse der Analysten-Umfrage von „FocusEconomics“ 2023: 0,0 Prozent; 2024: + 1,1 Prozent).
Die DekaBank bleibt bei ihrer Wachstumsprognose von 0,9 Prozent für 2023
Die Frankfurter DekaBank hat ihre Prognose für die diesjährige Entwicklung des russischen Bruttoinlandsprodukts bereits Mitte Juni von – 1,3 Prozent auf + 0,9 Prozent angehoben. Auch nach der „Wagner-Revolte“ bleibt sie im Russland-Kapitel ihrer am Freitag veröffentlichten „Emerging Markets Trends“ bei dieser Wachstumsprognose. Die Revolte stelle „keine unmittelbare Gefahr für das Machtregime in Russland“ dar, das nach wie vor solide erscheine. Sie habe aber seine „Sollbruchstellen“ offenbart.
Ein Vergleich der neuen DekaBank-Prognosen vom 07. Juli mit ihren Prognosen vom 12. Mai zeigt, dass die DekaBank die Entwicklung der russischen Wirtschaft kaum anders einschätzt als bisher. Sie rechnet jetzt für 2023 mit einer etwas stärkeren Abwertung des Rubels und einer etwas höheren Inflation.
Nach dem Anstieg des realen Wechselkurses um 36,6 Prozent im Jahr 2022 erwartete die DekaBank bisher für 2023 eine Abwertung des realen Wechselkurses um 18,5 Prozent. Jetzt rechnet sie mit einer Abwertung um 19,9 Prozent.
Der Anstieg der Verbraucherpreise dürfte nach den neuen Prognosen der DekaBank im Jahresdurchschnitt 2023 noch 5,8 Prozent erreichen. Bisher hatte sie mit einem etwas stärkeren Rückgang der Inflationsrate auf 5,5 Prozent gerechnet.
Russische Analysten erwarten immer häufiger mehr als 1 Prozent Wachstum
Bei einer Ende-Juni vom Moskauer Reuters-Büro durchgeführten Umfrage erwarteten die Teilnehmer im Durchschnitt ein Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent im Jahr 2023. Das entspricht der Prognose des russischen Wirtschaftsministeriums vom April.
Die Rating-Abteilung der russischen Nachrichtenagentur RIA, die bisher mit einem Wachstum von höchstens 1 Prozent rechnete, erwartet aufgrund der günstigen Konjunkturentwicklung im Mai jetzt ein Wachstum von ein und zwei Prozent für 2023.
Das Forschungsinstitut der Wneschekonombank hob seine Wachstumsprognose für 2023 vom April (+ 0,8 Prozent) am Freitag sogar auf + 2,3 Prozent an.
BIP-Prognosen 2023 und 2024
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent
Das VEB-Institut verdreifacht seine Wachstumsprognose für 2023
Das Forschungsinstitut der Wneschekonombank hatte bei seiner letzten Prognose Mitte April noch damit gerechnet, dass der Index des saisonbereinigten Bruttoinlandsprodukts im weiteren Jahresverlauf kaum steigen wird (gestrichelte grüne Linie in der folgenden Abbildung). Im Zeitraum März bis Mai stieg die gesamtwirtschaftliche Produktion jedoch deutlich.
Wie die folgende Tabelle in der rechten Spalte zeigt, rechnet das VEB-Institut in seiner neuen Prognose damit, dass sich der saisonbereinigte Anstieg des BIP gegenüber dem Vorquartal im zweiten Quartal auf 1,3 Prozent beschleunigt hat. Im dritten und vierten Quartal erwartet es weitere Zuwächse um 0,5 und 0,3 Prozent. Im Jahresvergleich 2023 gegenüber 2022 dürfte das BIP laut dem VEB-Institut damit voraussichtlich um 2,3 Prozent wachsen.
Index des saisonbereinigten Bruttoinlandsprodukts (2010=100);
Tabelle: Veränderungen gegenüber dem Vorjahr und gegenüber dem Vorquartal in %
Vnesheconombank Institute:Forecast for the Development of the Russian Economy: Improved Estimates for 2023, 07.07.23
Als Gründe für die Anhebung seiner Wachstumsprognose verweist das VEB-Institut darauf, die Produktion im verarbeitenden Gewerbe und die Verbrauchernachfrage würden stärker als erwartet wachsen.
VEB-Institut: Der private Verbrauch wächst 2023 stärker als bisher erwartet
Hinweise zu den erwarteten verstärkten Wachstumsimpulsen des privaten Verbrauchs gibt die folgende Tabelle des VEB-Instituts. Sie zeigt in der vierten Zeile, dass das Institut jetzt 2023 mit einem Anstieg des realen Einzelhandelsumsatzes um 4,9 Prozent rechnet (April-Prognose: + 4,5 Prozent). Seine Prognose für den diesjährigen Anstieg der real verfügbaren Einkommen der Bevölkerung hebt das Institut von +3,1 Prozent auf + 3,5 Prozent an (fünfte Zeile). Die Prognose für den Anstieg der Investitionen (dritte Zeile) ließ es für 2023 und die folgenden Jahre hingegen unverändert. Auch seine Prognosen für die Entwicklung des Ausfuhrpreises von russischem Rohöl behielt es bei (erste Zeile).
Seine Prognose für das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2024 nahm das VEB-Institut gleichzeitig von 2,2 auf 1,9 Prozent zurück (zweite Zeile).
Prognose der wichtigsten Makroindikatoren bis 2026
Vnesheconombank Institute:Forecast for the Development of the Russian Economy: Improved Estimates for 2023, 07.07.23
WIIW: Wachstumstreiber sind der „Rüstungsboom“ und der private Verbrauch
Das „Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche“ hebt die Bedeutung der starken Produktionssteigerungen der russischen „Rüstungsindustrie“ für die Anhebung seiner BIP-Prognose auf 1 Prozent für das Jahr 2023 heraus. Der Russland-Experte des WIIW, Vasiliy Astrov, begründet das voraussichtliche Wachstum der Wirtschaft in einer Pressemitteilung so:
„Die Hauptgründe dafür sind die boomende Rüstungsindustrie und der wieder anziehende Privatkonsum aufgrund steigender Reallöhne“.
Laut offiziellen russischen Zahlen seien die Militärausgaben „enorm“ gestiegen. Das treibe vor allem die Industrieproduktion. WIIW-Direktor Mario Holzner meinte in einem ORF-Interview, je länger der Krieg dauere, desto mehr müsse Russland seine Kriegsindustrie anwerfen. Neue Munition, Uniformen – all das bedeute, dass sich Russlands Bruttoinlandsprodukt „paradoxerweise“ erhöhe.
Zur Erholung des privaten Verbrauchs heißt es in der Pressemitteilung:
„Die privaten Konsumausgaben haben bereits wieder das Niveau von 2021 erreicht. …
Die Nominal- und Reallöhne verzeichneten vor dem Hintergrund angespannter Arbeitsmärkte ein solides Wachstum, wobei die Arbeitslosenquote im April auf ein Allzeittief von 3,3 % sank.“
Die Schwierigkeiten bei Reisen ins Ausland kurbelten zudem den Inlandstourismus in Russland an, stellt das WIIW fest.
In seinem „Country Overview Russia“ zieht das WIIW folgende Bilanz der Konjunkturentwicklung bis zum April 2023 (Die Ende Juni veröffentlichten Mai-Daten konnten offenbar nicht mehr berücksichtigt werden):
„Die Wirtschaft hat sich im Großen und Ganzen an die zahlreichen Schocks des letzten Jahres angepasst, die durch den Krieg, die Sanktionen und den Rückzug vieler ausländischer Unternehmen verursacht wurden. Nach einem Rückgang um 2,1 % im Jahr 2022 und um 1,8 % im ersten Quartal 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitraum kehrte sich das BIP-Wachstum nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums im April ins Positive und erreichte rund 3 % gegenüber dem Vorjahr.“
2024 und 2025 rutscht Russland ans Ende der Wachstumsrangliste
Sofern es keine weiteren „negativen Schocks“ gibt, wird sich Russlands Wirtschaftswachstum nach Einschätzung des WIIW von 1 Prozent im Jahr 2023 auf jeweils 1,5 Prozent in den nächsten beiden Jahren beschleunigen. Im Vergleich mit den anderen Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, das zeigt die Präsentation von WIIW-Direktor Mario Holzner, wächst Russlands Wirtschaft damit 2024 und 2025 aber am schwächsten.
Mario Holzner: Sommerprognosen für die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas: Südosteuropa kommt in Fahrt, während der Rest der Region kämpft, 05.07.2023, auch in Englisch
Von den GUS-Ländern wächst vor allem Kasachstan deutlich stärker als Russland.
Auch in Polen, das 2023 wie Russland nur ein Wirtschaftswachstum von 1 Prozent erreichen dürfte, wird sich laut WIIW das Wachstum 2024 und 2025 merklich stärker beschleunigen (2024: + 2,4 Prozent; 2025: + 3,2 Prozent). Die ungarische Volkswirtschaft, die 2023 voraussichtlich um 0,5 Prozent schrumpfe, werde ebenfalls in den nächsten beiden Jahren stärker wachsen (2024: + 2,0 Prozent; 2025: + 2,5 Prozent) als die russische (jeweils + 1,5 Prozent).
Russland fällt damit 2024 und 2025 ans Ende der Wachstumsrangliste der Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa zurück. Ein Artikel der Salzburger Nachrichten bietet dazu eine übersichtliche Abbildung.
Weitere Prognosen des WIIW für Russlands Wirtschaft
Prognosen bis 2025 erstellte das WIIW nicht nur für Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, sondern auch für die Arbeitslosenquote, den Anstieg der Verbraucherpreise, das Budgetdefizit und den Leistungsbilanzüberschuss. In seinem „Country Overview Russia“ veröffentlichte es folgende Übersicht zur Entwicklung wichtiger Wirtschaftsindikatoren Russlands.
Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, wiiw: Country Overview Russia; 05.07.23
Russlands Haushaltsdefizit steigt nur 2023 über 3 Prozent des BIP
Besonderes Interesse findet derzeit die Entwicklung des russischen Haushaltsdefizits. Weil Russlands Einnahmen aus dem Energiebereich wegen der Sanktionen sinken und gleichzeitig die Rüstungsausgaben steigen, wächst das Defizit. Die WIIW-Präsentation zeigt: 2022 war Russlands gesamtstaatliches Haushaltsdefizit mit 1,4 Prozent des BIP im Vergleich mit den anderen Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa noch eines der niedrigsten. 2023 erwartet das WIIW, dass sich die Defizitquote mehr als verdoppelt und auf 3,5 Prozent des BIP steigt. Die WIIW-Pressemitteilung verweist dazu auf den Einbruch der staatlichen Einnahmen aus dem Energiebereich:
„Allerdings gingen die Warenexporte im ersten Quartal aufgrund niedrigerer Ölpreise (nicht zuletzt aufgrund der Energiesanktionen des Westens) und stark reduzierter Gasexportmengen um 31 % (in Euro) zurück. Dementsprechend sind die Energieeinnahmen des Bundeshaushalts im Januar-Mai um die Hälfte eingebrochen, und das Haushaltsdefizit wird im Gesamtjahr mit ziemlicher Sicherheit 3 % des BIP übersteigen – trotz einiger Korrekturmaßnahmen, wie der geplanten Einführung eines unerwarteten Gewinns Steuer.“
Russlands Haushaltssaldo im internationalen Vergleich
Mario Holzner: Sommerprognosen für die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas: Südosteuropa kommt in Fahrt, während der Rest der Region kämpft, 05.07.2023, auch in Englisch
WIIW-Russland-Experte Vasily Astrov meint dazu in der Pressemitteilung, eine Zeit lang werde Russland mit Budgetdefiziten leben können. Angesichts der Kriegskosten stelle sich allerdings die Frage, wie lange. Das WIIW erwartet aber, dass es Russland gelingt, das Defizit 2024 auf 3,0 Prozent des BIP und 2025 auf 2,5 Prozent des BIP zu senken.
Zum Vergleich zeigt die WIIW-Abbildung das „Maastricht-Kriterium“: Der „Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt“ enthält Vorgabe, dass das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit eines EU-Mitgliedstaates 3 Prozent des BIP nicht überschreiten darf.
Inflation in Russland stark gesunken; hohe Stabilität im internationalen Vergleich
Hinsichtlich der Entwicklung der Verbraucherpreise erwartet das WIIW im Jahresvergleich 2023 gegenüber 2022 einen starken Rückgang der Inflationsrate von 13,8 Prozent auf 5,1 Prozent. Das Institut meint in seiner Pressemitteilung zwar, dass die aktuelle Schwäche des Rubels wieder für einen Preisschub sorgen könne. Im Durchschnitt des Jahres 2024 geht es jedoch von einem weiteren Rückgang der Inflationsrate auf 4,6 Prozent aus.
WIIW-Direktor Mario Holzner analysierte in seiner Präsentation zu den „Sommerprognosen“ nicht nur die Entwicklung der Verbraucherpreise, sondern auch die Entwicklung der nominalen und der realen Leitzinsen. Wegen der stark gesunkenen Inflationsrate ist Russland eines der wenigen Länder, in denen der Leitzins derzeit höher ist als der Preisanstieg.
Der folgende Ausschnitt aus der Präsentation zeigt, dass der Anstieg der Verbraucherpreise in Russland (gestrichelte dunkelblaue Linie) aktuell deutlich niedriger ist als die Inflationsraten in Kasachstan/KZ, der Ukraine/UA, Moldau/MD und vor allem der Türkei/TR.
Entwicklung des Anstiegs der Verbraucherpreise in Russland (RU)
im Vergleich mit Belarus, Kasachstan, Moldau, der Ukraine und der Türkei
Mario Holzner: Sommerprognosen für die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas: Südosteuropa kommt in Fahrt, während der Rest der Region kämpft, 05.07.2023, auch in Englisch
Im Jahresdurchschnitt 2023 erwartet das WIIW selbst in Belarus/BY mit 9,0 Prozent eine fast doppelt so hohe Inflationsrate wie in Russland (5,1 Prozent). In Kasachstan wird eine Inflationsrate von 14,5 Prozent erwartet, in Moldau und in der Ukraine von jeweils 14,0 Prozent. In der Türkei dürfte die Inflationsrate sogar 42,8 Prozent erreichen.
Der Leitzins in Russland wurde auf 7,5 Prozent gesenkt
Die russische Zentralbank, die im Frühjahr 2022 ihren Leitzins auf 20 Prozent erhöht hatte (gestrichelte braune Linie), senkte angesichts der sinkenden Inflationsrate ihren Leitzins bis zum September 2022 rasch auf 7,5 Prozent. Er ist damit niedriger als der Leitzins in der Türkei, in Belarus, Moldau, Kasachstan und der Ukraine.
Entwicklung der Leitzinsen in Russland
im Vergleich mit der Türkei, Weißrussland, Kasachstan, Moldawien und der Ukraine
Mario Holzner: Sommerprognosen für die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas: Südosteuropa kommt in Fahrt, während der Rest der Region kämpft, 05.07.2023, auch in Englisch
Der reale Leitzins ist in Russland seit dem Frühjahr positiv
Wie die folgende WIIW-Abbildung zeigt, wurde der reale Leitzins wegen der starken Beschleunigung der Inflation im Verlauf des Jahres 2022 in vielen Staaten zunehmend negativ, darunter auch in Russland (RU), der Gesamtheit der „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ (GUS), den Westbalkan-Staaten, den mittel- und osteuropäischen Mitgliedern der EU (EU-MOE) und der Türkei.
Seit dem Herbst 2022 übersteigt die Inflationsrate den Leitzins in den genannten Ländern jedoch immer weniger. Wegen des starken Rückgangs der Inflationsrate in Russland ist der Leitzins in Russland im März und April 2023 sogar deutlich höher als die Inflationsrate gewesen. Positiv ist der reale Leitzins auch in der Ukraine (bei einem nominalen Leitzins von 25 Prozent).
Entwicklung der realen Leitzinsen in Russland im internationalen Vergleich
Mario Holzner: Sommerprognosen für die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas: Südosteuropa kommt in Fahrt, während der Rest der Region kämpft, 05.07.2023, auch in Englisch
Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:
Russland: Konjunkturdaten stützen Wachstumsprognosen – trotz „Meuterei“, 03.07.23
Russlands Konjunktur: Deutsche Institute bleiben sehr geteilter Meinung, 25.06.23
Russland: Weitere Rezession oder Wachstum der Wirtschaft? 12.06.23
Russische Analysten auf der Spur der IWF-Wachstumsprognosen. 06.06.23
Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument unter anderem zu:
Prof. Jacques Sapir: How Russia’s economy thwarted the West’s ‘economic warfare’ measures
Marina Voitenco, Politcom.ru: The New Reality of Economic Growth
Dr. Julia Grauvogel, GIGA-Institut, im Podcast der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer : Wie funktionieren Sanktionen?
Vladimir Milov: From Bad to Worse: The Continuing Effects of Sanctions on Russia
Warum sinkt der Rubel? TLDR News EU-Video und Business Insider-Artikel