Schwacher Aufschwung: Konjunktur in Russland 2017/2018

Konjunktur in Russland 2017/2018: Ohne Schwung zu schwachem Aufschwung

Am Freitag beriet Russlands Parlament in zweiter Lesung die Haushaltsplanung 2018 bis 2020. Sie geht davon aus, dass sich die gesamtwirtschaftliche Produktion in diesem Jahr nach zwei Jahren Rezession um 2,1 Prozent erholt. Bis 2020 soll das Wachstum dann langsam auf 2,3 Prozent anziehen. Ein kräftiger Aufschwung, der Russlands Wirtschaft im internationalen Vergleich überdurchschnittlich stark wachsen lassen würde, wird also selbst von der Regierung nicht erwartet.

Auch die Industrieproduktion soll 2017 laut Regierungsprognose um 2,1 Prozent steigen. Die am Donnerstag veröffentlichten Ergebnisse für die Industrieproduktion im Oktober sprechen allerdings dagegen, dass das geplante Wachstum erreicht wird.

Industrieproduktion zuletzt nur noch auf Vorjahresniveau

In den ersten 10 Monaten übertraf die Industrieproduktion ihr Vorjahresergebnis zwar insgesamt immerhin um 1,6 Prozent. Zum Wachstum trug vor allem der Bereich „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“ bei. Dort wurde 2,5 Prozent mehr produziert (Kohle: +7,2 Prozent; Erdöl: +0,2 Prozent; Erdgas: +12,0 Prozent). Der Kernbereich der Industrie, das „Verarbeitende Gewerbe“ (Manufacturing), konnte seine Produktion aber nur um 0,9 Prozent steigern.

Zudem schwächte sich das Wachstum im Industriebereich deutlich ab. Das macht die folgende Abbildung aus dem Rosstat-Bericht deutlich. Sie zeigt neben der unbereinigten Entwicklung der Industrieproduktion (blaue Linie) wie sich die Produktion nach Ausschaltung von saisonalen und kalenderbedingten Einflüssen (grüne Linie) und im mehrmonatigen Trend (dünne rote Linie) entwickelte.

Industrieproduktion Januar bis Oktober 2017
Quelle: Rosstat: Industrieproduktion Januar bis Oktober 2017; 16.11.2017.

Am aktuellen Rand ist erkennbar: Im Oktober erreichte der unbereinigte Produktionsindex lediglich denselben Stand wie vor 12 Monaten. Im September war er noch 0,9 Prozent höher gewesen als vor einem Jahr.

Saison- und kalenderbereinigt ist die Industrieproduktion in den beiden letzten Monaten gegenüber dem Vormonat gesunken (September: – 0,5 Prozent; Oktober: – 0,1 Prozent; grüne Linie). Im von Rosstat berechneten Trend aus mehreren Monatsergebnissen (rote Linie) stagniert die Industrieproduktion seit Mai annähernd. Geht dem Aufschwung in der Industrie, wo schon 2016 ein Wachstum um 1,3 Prozent verzeichnet wurde, bereits wieder die Luft aus?

Wirtschaftswachstum von 2 Prozent 2017 kaum erreichbar

Auch die jüngsten Statistiken zur gesamtwirtschaftlichen Produktionsentwicklung sprechen nicht für die Wachstumsoptimisten in der Regierung. Am letzten Mittwoch legte Rosstat eine erste Schätzung für das dritte Quartal vor. Danach war das Bruttoinlandsprodukt 1,8 Prozent höher als im dritten Quartal 2016. Das im zweiten Quartal erreichte kräftige Wachstum (+ 2,5 Prozent) konnte nicht gehalten werden. Im ersten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt im Vorjahresvergleich um 0,5 Prozent gestiegen (Ostexperte.de berichtete).

Russian GDP growth slows
Quelle: BOFIT (Bank of Finland): Russian GDP growth slows; BOFIT Weekly, 17.11.2017

Für die ersten drei Quartale insgesamt schätzt Rosstat den Anstieg auf 1,6 Prozent. Wirtschaftsminister Oreschkin erklärte nach Veröffentlichung der jüngsten Rosstat-Schätzung, er halte an seiner Wachstumsprognose für 2017 (+ 2,1 Prozent) fest. Das Ministerium werde über eine Korrektur entscheiden, wenn Rosstat weitere Daten veröffentlicht. Mitte Dezember wird Rosstat über das Wachstum in einzelnen Wirtschaftsbereichen berichten. Daten zur Verwendung des Bruttoinlandsprodukts für Verbrauch und Investitionen wird das Statistikamt Ende Dezember veröffentlichen.

Um im Jahresdurchschnitt 2017 ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent zu erreichen, müsste die Produktion nach Berechnungen von VTB Capital im vierten Quartal 3 Prozent höher sein als vor einem Jahr. VTB Capital hält einen Anstieg um nur 2,2 bis 2,5 Prozent für wahrscheinlicher. Dann würde 2017 eine Wachstumsrate von 1,8 Prozent erreicht.

Auch Zentralbankpräsidentin Nabiullina meinte am Donnerstag in einer Rede in der Duma, sie rechne mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1,8 Prozent im Jahr 2017. Damit bliebe das Wachstum fast am unteren Rand der bisher von der Zentralbank genannten Prognose-Spanne (1,7 bis 2,2 Prozent). 1,8 Prozent Wachstum wird auch in jüngsten Analysten-Befragungen im Durchschnitt erwartet (Higher School of Economics, Economist, Reuters; siehe Tabelle am Schluss dieses Berichts).

Große Erfolge bei der Preisstabilisierung

Die Inflationsrate ging im Oktober deutlich von 3,0 % auf 2,7 % zurück. Sie ist inzwischen erheblich niedriger als das von der Zentralbank angestrebte Ziel (4 Prozent am Jahresende). Präsidentin Nabiullina rechnet jetzt damit, dass die Inflationsrate bis Jahresende 2,5 bis 2,7 Prozent betragen wird (Ostexperte.de berichtete).

Die Zentralbank senkte angesichts des langsameren Preisanstiegs Ende Oktober den Leitzins zwar weiter um 0,25 % auf 8,25 Prozent. Die Leitzinsen wurden jedoch nicht so schnell zurückgenommen wie die Inflationsrate abnahm. Der Realzins hat sich erhöht, der Leitzins ist aktuell rund 5,5 Prozent höher als der Preisanstieg.

Makroausblick 2017
Quelle: Berenberg Bank: Makroausblick 2017; 17.11.2017.

So hoch soll er auch nach dem Willen der Zentralbankpräsidentin Nabiullina nicht bleiben. Sie erklärte vor der Duma, der Leitzins werde in den nächsten ein bis zwei Jahren auf 6 bis 7 Prozent gesenkt. Das angestrebte Inflationsziel beträgt dabei weiterhin 4 Prozent. Der Realzins würde damit auf 2 bis 3 Prozent gesenkt.

Lob vom IWF für Zentralbankpräsidentin Nabiullina

Eine Delegation des Internationalen Währungsfonds lobte nach Gesprächen in Moskau vom 13. bis 17. November die Geldpolitik der Zentralbank. Sie habe ihr Inflationsziel mit einer „anerkennenswert standhaften“ Umsetzung ihrer Politik früher als erwartet erreicht („commendable steadfast implementation of their inflation targeting regime“). Jetzt seien die Bedingungen für eine weitere Lockerung der Geldpolitik vorhanden. Inflation und Inflationserwartungen seien weiter gesunken. Sorgsam zu beachten sei dabei, dass für den aktuellen Rückgang der Inflationsrate der schwache Anstieg der Lebensmittelpreise und die Aufwertung des Rubel verantwortlich seien. Diese Entwicklungen könnten sich auch wieder umkehren.

Die IWF-Delegation geht davon aus, dass die Inflationsrate am Jahresende knapp unter 3 Prozent liegen dürfte. Sie erwartet jedoch, dass die Preissteigerungsrate danach schon bald zum Ziel von rund 4 Prozent zurückkehren wird.

Bauproduktion weiter gesunken, Einzelhandelsumsatz kaum gestiegen

Am Montag veröffentlichte Rosstat weitere wichtige Daten zur Wirtschaftsentwicklung im Oktober, unter anderem zur Entwicklung der Bauproduktion (Indikator für die Entwicklung der Anlageinvestitionen) sowie zur realen Entwicklung von Löhnen, verfügbaren Einkommen und dem realen Einzelhandelsumsatz (Indikatoren für den privaten Verbrauch).

Wirtschaftsdaten Januar bis Oktober 2017

 Veränderung 2015 zu 2014
(in Prozent)
Veränderung 2016 zu 2015
(in Prozent)
Jan.- Oktober 2017/
Jan.-Oktober 2016
(in Prozent)
BIP-2,8-0,2+1,6 (Jan.-Sep.)
Anlageinvestitionen-10,1-0,9+4,2 (Jan.-Sep.)
Industrieproduktion-0,8+1,3+1,6
Bauproduktion-3,9-2,2-2,1
Realeinkommen-3,2-5,9-1,3
Reallöhne-9,0+0,8+3,0
Einzelhandelsumsatz-10-4,6+0,8
Quellen: Rosstat: Sozio-ökonomische Lage in Russland, 20.11.2017; + Tabelle in Englisch;
Rosstat: Bruttoinlandsprodukt nach Verwendungsbereichen im ersten Halbjahr 2017; 02.10.2017; Russisches Wirtschaftsministerium: Bild der Wirtschaft im September; 30.10.2017;
Rosstat: Russia in figures 2017, 28.07.2017; Factosphere.com: Investments in Russia; 04.10.2017

Die Bauproduktion, deren Daten kräftig revidiert wurden, sank in den ersten 10 Monaten im Vergleich zum Vorjahr weiter um 2,1 Prozent.

Die verfügbaren Realeinkommen der Haushalte waren nach ersten Schätzungen trotz des raschen Rückgangs der Inflationsrate in den ersten zehn Monaten immer noch 1,3 Prozent niedriger als im Vorjahr.

Entsprechend schwach entwickelte sich der Einzelhandel. Real nahm der Umsatz von Januar bis Oktober nur um 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu.

Immerhin können sich die beschäftigten Arbeitnehmer über einen merklichen Anstieg ihrer Löhne freuen. Die Reallöhne waren 3,0 Prozent höher als in den ersten zehn Monaten 2016. Der 2015 erlittene Rückgang der Arbeitnehmereinkommen um rund 9 Prozent ist damit aber noch längst nicht ausgeglichen.

Die folgende Abbildung des Analysezentrums der russischen Regierung, die im Anhang ihres monatlich erscheinenden „Bulletins zu aktuellen Trends der russischen Wirtschaft“ auch Grafiken zu den wichtigsten Wirtschaftsdaten veröffentlicht, zeigt die Entwicklung der Realeinkommen bis September.

Bulletin on current trends of the Russian economy – No.30/October 2017
Quelle: Analytical Center of the Government: Bulletin on current trends of the Russian economy – No.30/October 2017; im Anhang: „Wichtige sozio-ökonomische Statistiken“ mit 6 Charts; 14.11.2017

Fazit: Produktion erholt sich nur langsam – kein starker Aufschwung in Sicht

Die IWF-Delegation sieht Russlands Wirtschaft insgesamt derzeit in einer „zyklischen Erholung“ nach der zweijährigen Rezession. Unterstützt durch höhere Ölpreise und günstigere inländische Finanzierungsbedingungen sei in diesem Jahr ein Wachstum von “rund 2 Prozent“ zu erreichen. Mittelfristig werde das Wachstum aber wahrscheinlich niedrig bleiben. Als Ursachen verweist die Delegation auf die demografische Entwicklung und die anhaltenden Sanktionen. Sie erwähnt aber auch „strukturelle Engpässe“, die nicht angegangen würden.

Ähnlich äußerte sich Zentralbankpräsidentin Nabiullina in ihrer Duma-Rede. Sie sagte, ohne strukturelle Reformen sei mittelfristig nur ein Wachstum von 1,5 bis 2 Prozent möglich.

In diesem Rahmen liegen auch fast alle Wachstumsprognosen bis 2019. Selbst wenn die von der Regierung geplante leichte Steigerung des Wachstums von 2,1 Prozent auf 2,3 Prozent im Jahr 2020 erreicht werden sollte, würde die russische Wirtschaft langsamer wachsen als die Weltwirtschaft.

Prognosen gesamtwirtschaftliche Produktion in Russland

Schätzung des Bruttoinlandsprodukts, real gegenüber dem Vorjahr, angegeben in Prozent.
InstitutDatum201720182019
Raiffeisenbank International, Wien17.11.171,81,51,5
Berenberg Bank, Hamburg17.11.171,61,91,9
Commerzbank, Frankfurt17.11.172,13,0
Barclays16.11.172,01,81,5
Economist Intelligence Unit15.11.171,91,61,7
Euler Hermes (Allianz), Paris15.11.171,51,9
Higher School of Economics Poll13.11.171,81,71,6
OPEC13.11.171,81,8
EU-Kommission09.11.171,71,61,5
WIIW Wien09.11.171,71,91,9
DekaBank, Frankfurt09.11.171,81,9
Economist-Poll09.11.171,82,0
Sachverständigenrat08.11.171,91,9
EBRD, London07.11.171,81,7
Reuters-Poll01.11.171,81,81,8
FocusEconomics-Poll31.10.171,71,81,8
Wirtschaftsministerium,
Basisszenario (Haushaltsgesetz

27.10.172,1
Urals 49,9 $/b
2,1
Urals 43,8 $/b
2,2
Urals 41,6 $/b

Danske Bank, Kopenhagen27.10.171,92,0
Russian Academy of Sciences20.10.171,81,92,1
BNP Paribas, Paris18.10.171,81,61,5
Internationaler Währungsfonds10.10.171,81,6
CMASF (Project Link-Prognose)10.10.171,81,91,9
ACRA, Moskau09.10.171,31,41,4
Weltbank06.10.171,71,71,8
BOFIT, Bank of Finland28.09.171,51,41,5
Gemeinschaftsdiagnose (Institute)28.09.171,5
1,7
1,6
Fitch Ratings22.09.172,02,12,1
OECD, Paris20.09.172,02,1
VneshEconomBank, Moskau18.09.171,5
Urals 50 $/b
1,1
Urals 51 $/b
1,8
Urals 55 $/b

Russische Zentralbank;
Basisszenario
15.09.171,7 bis 2,2
Urals 50 $/b
1,0 bis 1,5
Urals 44 $/b
1,5 bis 2,0
Urals 42 $/b

Quellen und Lesetipps zur Konjunktur in Russland

Rosstat-Veröffentlichungen von Konjunkturdaten mit Presseberichten:

Regierung und Zentralbank zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik:

Sonstige Konjunkturberichte, Prognosen, Analystenumfragen: