„Wir sollten froh sein, dass Putin an der Macht ist“

Historiker Jörg Baberowski: „Wir sollten froh sein, dass Putin an der Macht ist“

Der deutsche Historiker Jörg Baberowski ist seit 2002 Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Gespräch mit t-online.de erklärt der UdSSR-Experte, wieso Putin berechenbarer als Trump ist und welche Fehler der Westen macht.

„Wir sollten eigentlich froh darüber sein, dass Putin an der Macht ist“, erklärte Baberowski im Interview. Es sei ein Irrglaube des Westens, dass Russen ohne Putin grüne oder liberale Kräfte wählen würden. Vielmehr bestehe die Gefahr, Neofaschisten oder Kommunisten an die Macht zu befördern. Dabei verwies der Experte auf rassistische Aussagen des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, der im Westen häufig als Symbol des Widerstands gegen Putin angeführt werde. „Wer hört, was Alexej Nawalny über Menschen aus dem Kaukasus und Zentralasien sagt, wird sich vielleicht fragen, ob Putin nicht doch die bessere Lösung ist.“ In Russland gebe es eine Tradition der starken Herrscher, die einen „Machtstaat“ repräsentieren würden. Auch Putin gehöre in diese Kategorie. Russlands Gesellschaft habe in der Vergangenheit mit „Experimenten der Freiheit“ kein guten Erfahrungen gemacht, so Baberowski.

Gorbatschow habe als letzter Staatspräsident der Sowjetunion einen schwerwiegenden Fehler gemacht – die Auflösung der Kommunistischen Partei. Da es keine zivilgesellschaftlichen Organisationen gegeben habe, sei das Parteiorgan die einzige politische Öffentlichkeit der UdSSR gewesen, so Baberowski. „Ohne die Partei konnte er das Land aber nicht reformieren. Gorbatschow sägte den Ast ab, auf dem er saß.“ Diese Entwicklung sei der Hauptgrund für das Chaos in den 1990er-Jahren unter Boris Jelzin gewesen. „Ich habe selbst gesehen, wie die sozialen Beziehungen zerrüttet wurden, Russland in Chaos und Anarchie versank.“ Putin dagegen habe die „bekannten autoritären Strukturen“ wiederhergestellt und die Lage normalisiert. „Unter Putin haben sich die Verhältnisse in vielerlei Hinsicht auch zum Besseren verändert.“ Viele Russen seien enttäuscht, dass Europa die Fortschritte im Land nicht anerkennen wolle.

Starker Patriotismus in Russland

Die autoritäre Ordnung sei Garant für gesellschaftliche Stabilität, sagt Baberowski. Vor allem im Vergleich zur Ukraine könne beobachtet werden, was in Russland besser funktioniere. „Die Ukraine wird bis heute von Oligarchen regiert und ausgeplündert. Zu ihnen gehört auch der Präsident. Putin hat es hingegen vermocht, den russischen Oligarchen Grenzen zu setzen.“ Putin habe die Oligarchen aus der Politik gedrängt und klargemacht, dass der Staat die Regeln für die Wirtschaft diktiere – und nicht, wie bei Jelzin, umgekehrt. Dieses Ziel habe Russlands Präsident, zum Beispiel bei Michail Chodorkowski, auch mit Gewalt durchgesetzt. Dennoch sei diese Repression in der Gesellschaft beliebt gewesen. Auch der gestärkte Patriotismus werde positiv wahrgenommen. „Putin hat immer wieder versucht, den Russen ihre Würde wiederzugeben.“

Putin ist berechenbarer als Trump

Darüber hinaus äußerte sich der Osteuropa-Experte auch über den Ukraine-Konflikt. Ihm zufolge habe Putin keinerlei Interesse daran, die Ukraine zu erobern. „An einer solchen Aufgabe würde der russische Staatshaushalt zerbrechen und die Beziehungen zum Westen würden zerrüttet.“ Alleine der völkerrechtlich umstrittene Anschluss der Halbinsel Krim im Jahr 2014 habe Moskau vor massive finanzielle Herausforderungen gestellt. In diesem Zusammenhang plädiert Baberowski für einen „pragmatischen Umgang“ mit Russland. Allerdings hätten sich die Vorstellungen im Westen und im Osten weit voneinander entfernt. Dies zeige sich zum Beispiel bei der Flüchtlingspolitik oder bei der Auflösung der traditionellen Familie. Darüber hinaus sagte Baberowski, dass Putin „viel berechenbarer“ als Trump sei. „Putin ist ein Pragmatiker, ein Mann des Geheimdienstes, der nur spielt, wenn er gewinnen kann.“ Deshalb sei der russische Präsident ein „verlässlicher Partner“ der westlichen Staatengemeinschaft.

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: Amrei-MarieJoerg Baberowski, Zuschnitt auf 1040×585., CC BY-SA 3.0