Im Osten viel Neues

Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik

Osteuropas wirtschaftliche Performance ist seit Beginn des Jahres überdurchschnittlich gut. Damit setzt sich der Trend der letzten 20 Jahre fort. Die steigende wirtschaftliche Bedeutung sollte auch die Basis bilden, um den wachsenden Begehrlichkeiten aus dem Reich der Mitte entgegenzutreten. Ein kleines Land auf dem Balkan könnte zur Nagelprobe werden.

944 Millionen für ein Halleluja

Angesichts der 1,8 Billionen Euro, die die EU gerade zur Stützung der Mitgliedsstaaten während und nach der Corona-Pandemie aufbringt, erscheinen 0,94 Milliarden Euro ein lächerlich kleiner Betrag. Doch um genau diese Summe hat der Beitrittskandidat Montenegro die Europäische Union gebeten, sonst könne er seine Gläubiger nicht bedienen. In höflichen Worten hat Kommissionssprecher Stano dieses Ansinnen abgelehnt. Die Schulden hat der Zwergstaat an der Adria für ein Infrastrukturprojekt angehäuft, dessen wirtschaftliche Sinnhaftigkeit von Beginn an in Zweifel gezogen wurde. Eine Autobahn soll durch geologisch extrem anspruchsvolles Gelände entstehen, um den Hafen Bar mit dem serbischen Belgrad, dem Verkehrsknotenpunkt im westlichen Balkan, zu verbinden. Die bisher fertig gestellten 40 Kilometer zählen zu den teuersten, die je ein Autobahnprojekt gekostet hat. Und jetzt fehlt das Geld.

China sitzt mit am Tisch

Man könnte diese Fehlleistung auf dem hohen Stapel zu teurer, zu ambitionierter und von staatlichen Akteuren schlecht gemanagter Infrastrukturprojekte ablegen, wären da nicht zwei Details, die von außerordentlicher Brisanz sind. Der Gläubiger ist, stark vereinfacht, China. Sollten die Montenegriner nicht zahlen können, könnte die Geschichte ausgehen wie mit dem griechischen Hafen Piräus. Der gehört jetzt den Chinesen. Und sollte die EU in nicht allzu ferner Zeit das Land zum Mitglied machen, säßen die Chinesen indirekt mit am Verhandlungstisch der Europäer. Wie real dieses Szenario ist, hat sich in der Vergangenheit schon bei den Vetos Ungarns und Griechenlands zu chinakritischen Resolutionen gezeigt. Beide Länder sind in hohem Maße abhängig von chinesischem Geld. Da spielt es auch keine Rolle, dass die EU Griechenland vor dem Staatsbankrott gerettet hat und Ungarn ohne die Gelder der Gemeinschaft längst ein Sanierungsfall wäre. Es scheint also nicht ausgeschlossen, dass die EU ihre Entscheidung noch einmal überdenkt. Auch die Einstellung zu „one road one belt“ und anderen Großprojekten, deren geopolitische Komponente unübersehbar ist, hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt. Nicht umsonst ist das seit 2013 verhandelte Investitionsabkommen mit der Volksrepublik immer noch nicht ratifiziert, und das obwohl es eher den Europäern mehr Recht auf dem chinesischen Markt einräumen würde.

Große Summen in russische Infrastrukturprojekte notwendig

Mit einiger Aufmerksamkeit dürften sich auch die Russen das Geschehen anschauen, denn dort wächst der Einfluss durch chinesisches Engagement und Geld schneller als sich das mancher Politiker wünscht. Die staatliche chinesische Entwicklungsbank ist einer der größten Geldgeber Russlands. Wenn ein großer Teil der neuen Seidenstraße tatsächlich über russisches Gebiet führen soll, dann sind in den nächsten Jahren sehr hohe Milliarden-Investitionen in die Infrastruktur notwendig. Europäer und Amerikaner fallen als Geldgeber momentan aus. Die Lokalisierungspolitik lässt außerdem kaum ausländisches Know-how zu, und nur mit russischen Firmen sind die technologischen Herausforderungen nicht zu meistern. Eine Situation wie aus dem Handbuch chinesischer Spin Doktoren, um Russland weiter in die Abhängigkeit zu zwingen. Aber nichts hassen Russen mehr, als von jemandem abhängig zu sein. Schon allein aus verhandlungstaktischen Gründen sollte sich die russische Strategieabteilung deshalb wieder ein paar Optionen mehr offenhalten.

Polen vor den USA

Zurück nach Europa. Hier erleben wir gerade ein „modernes Märchen“. Die osteuropäischen Länder melden sich nach der Corona-Delle mit Vehemenz zurück. Die Handelszahlen machen das überdeutlich. Um 6,7 Prozent ist der deutsche Warenaustausch mit Osteuropa im ersten Quartal gewachsen, dreimal so viel wie mit dem Rest der Welt. Absoluter Spitzenreiter ist dabei Polen, das in der aktuellen Statistik die USA als drittgrößten Handelspartner abgelöst hat. Die Performance der Visegrád-Gruppe ist besonders beeindruckend. Überhaupt sind die Zuwachszahlen innerhalb der EU mit wenigen Ausnahmen beachtlich. Osteuropa als Ganzes steht mittlerweile für ein Fünftel des gesamten deutschen Außenhandels und baut diese Position kontinuierlich weiter aus. Es gibt deshalb auch wenig Grund für eine derart zaghafte Politik gegenüber China. Die Marktmacht der Europäer ist immens. Ohne Europa und die EU wäre Chinas Wirtschaft deutlich schwächer. Und finanziell ist die EU sehr viel weniger abhängig als die Vereinigten Staaten.

Freiheit, Solidarität, Zusammenhalt

Wenn der Trumpsche Handelskrieg eines hat deutlich werden lassen, dann dass die chinesische Regierung auf Druck von außen entweder gar nicht oder nicht so wie gewollt reagiert. Ein Schelm, der hier Parallelen zu anderen Ländern sieht. China will um jeden Preis seine wirtschafts- und geopolitischen Ziele durchsetzen und versucht nach dem Prinzip divide et impera Abhängigkeiten zu schaffen. Dem sollte die Europäische Union das schöpferische Prinzip der Vielfalt und des Ideenwettbewerbs und der Freiheit entgegensetzen. Gerade aus der konstruktiven Auseinandersetzung und dem Abwägen des Für und Wider politischer Entscheidungen, dem Ringen zwischen Regierung und Opposition erwächst die Kraft, die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen. Dass die chinesischen Kreditgeber in diesem Fall plötzlich ihre altruistische Seite entdecken und einer Umschuldung zustimmen oder die Kreditdetails offenlegen, scheint unwahrscheinlich. Nicht umsonst ist China nicht Mitglied des Pariser Clubs. Die Europäische Union wäre deshalb sicher gut beraten, Montenegro aus dieser Kalamität zu helfen. Es wäre ein starkes Signal des Zusammenhaltes und der europäischen Solidarität und würde darüber hinaus deutlich machen, wo die Grenzen chinesischer Expansionspolitik gezogen werden. Der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de.

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