Berlinograd-Gründerin: „Russland wird zu stark politisiert“

Exklusiv-Interview mit Gründerin von Berlinograd.com über die russische Gemeinschaft in Berlin

Beatrice Grundheber ist Gründerin und Chefredakteurin von Berlinograd.com. Auf ihrem Online-Blog stellt sie kreative und außergewöhnliche Menschen aus der russischsprachigen Gemeinschaft in Berlin vor. Wer mehr erfahren will über „Pelmeni Slam“, die kulinarische Vielseitigkeit des Ostens oder die russische Kunstszene, ist bei Beatrice gut aufgehoben.

Dieses Interview wurde geführt von Ostexperte.de-Chefredakteur Thorsten Gutmann.


Liebe Beatrice, was ist das Konzept von Berlinograd?

Berlinograd.com funktioniert wie ein englischsprachiger Reiseführer durch das russischsprachige Berlin. Man lernt dort Locations kennen, die von Russen betrieben werden, oder russischsprachige Künstler. Dabei ist es mir besonders wichtig, dass immer der Mensch im Vordergrund steht.

Wieso hast Du dich dazu entschieden, Deinen Blog auf Englisch zu führen?

Zum einen wird in Berlin sehr viel Englisch gesprochen. Zum anderen ist die Russland-Begeisterung in Berlin ein Nischenthema. Durch die englische Sprache hoffe ich, noch mehr Menschen zu erreichen, die sich für Russland und die Kultur des Landes interessieren.

Wie bist Du auf die Idee gekommen, Berlinograd ins Leben zu rufen?

Ich bin auf die Idee gekommen, als ich vor vier Jahren nach Berlin gezogen bin. Davor hatte ich bereits in St. Petersburg und Moskau gelebt, und in Kasan an einem Austausch teilgenommen. Dort war ich mit vielen jungen Menschen in Kontakt, die aktiv in der urbanen Szene mitgemischt haben. Schon damals hätte ich mir eine Plattform als Anknüpfpunkt gewünscht.

Welches sind die Kriterien, um als junger Mensch in Deinem Blog aufgenommen zu werden?

Vor 13 Jahren war ich zum ersten Mal in Russland. Damals habe ich in Moskau und St. Petersburg eine einzigartige Aufbruchsstimmung erlebt. Diese jungen Menschen in den russischen Metropolen hatten Lust auf den Westen, auf Musik und Kunst, auf Fotographie. Diese Stimmung kannte ich aus Deutschland nicht. Das war so toll. Ich wollte einen Teil dieser Bewegung miterleben.

Sind die Menschen, über die Du berichtest, eher liberal und westlich orientiert?

Ich finde, dass das Thema Russland immer stark politisiert wird. In der Berichterstattung über Spanien, Frankreich oder Italien ist das nicht der Fall. Ich will mit Berlinograd gegen Stereotypen ankämpfen und etwas anderes zeigen als den kritischen Blick, der immer in den Medien zu finden ist.

Jedes Land ist vielseitig – und mein Portal ist eines der wenigen, die Menschen so zeigen, wie sie sind. Sexuelle und politische Orientierung sowie Religion sind einfach kein Thema bei mir. Mich beschäftigt eher die Frage: „Wer ist der Mensch und was erschafft der Mensch?“

Welches ist das spannendste Projekt, über das Du bisher berichtet hast?

Ich habe auf Berlinograd fast 60 russischsprachige Personen vorgestellt. Ich treffe mich mit den Protagonisten immer persönlich in ihrem Kiez. Ich werde oft gefragt: „Wer ist der spannendste Mensch?“ Das ist eine schwierige Frage. Was besonders hervorsticht, sind viele starke, selbstbewusste, talentierte russischsprachige Frauen.

Manchmal sind es auch Mütter, die großartige Projekte als Expat in Berlin realisieren. Eine ähnliche schöpferische Kraft habe ich auch in Moskau und St. Petersburg erlebt. Für mich ist es bemerkenswert, wenn man es schafft, sich innerhalb eines fremden Kulturkreises selbst zu verwirklichen.

Du betonst „russischsprachig“. Berlinograd ist also kein explizit russisches Portal.

Genau. Viele kommen aus Kasachstan und sind Russlanddeutsche. Aber ich habe auch Ukrainer, Weißrussen und Deutsche interviewt – unter anderem Dominik Heilig, der viele Jahre bei Art. Lebedev Studio, einem bekannten Design-Büro in Moskau gearbeitet hat. Oder den Besitzer des Patiti Patati in Friedrichshain. Das ist so ein Kroschka-Kartoschka-Laden wie in Russland. Leute, die mit Russland zu tun haben, die Russisch sprechen, die sich dafür interessieren – die sind auch Teil von Berlinograd.

Wie groß ist denn die russische Kreativszene in Berlin?

Mir wurde zuletzt von einem Journalisten gesagt, dass ich die einzige Person in Berlin bin, die versucht, die russische Community auf Englisch zu digitalisieren. Das finde ich sehr interessant. Es fällt bei vielen Gesprächspartnern zunächst gar nicht auf, ob es Russen sind – oder nur ganz normale Berliner. Doch gleichzeitig ist es schwer, die Community kennenzulernen und einen Zugang zu ihr zu bekommen, da oft auf Russisch gesprochen und geschrieben wird.

Du organisierst in Berlin auch Events. Was kannst Du uns dazu erzählen?

Ich organisiere Berlinograd-Partys, die zweimal pro Jahr in der Vater-Bar in Neukölln stattfinden. Letztes Jahr gab es zum Beispiel Schaschlik vom Grill. Diese Events mache ich, um Russland-affine Personen miteinander zu vernetzen. Natürlich kennen sich die Russen nicht immer untereinander. Aber ich habe auch deutsche Freunde, die sagen: „Ich kann eigentlich gar nichts mit Russen anfangen.“ Die kommen zu meinen Partys, trinken Wodka und essen Schaschlik. Ich finde es schön, auf diese Weise Menschen näherzubringen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Beatrice.

Titelbild
Quelle: Sergej Bitsch[/su_spoiler]