Aserbaidschan nach den Wahlen

Perspektiven zur Stärkung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft

Von Matthias Dornfeldt und Urs Unkauf

Am 9. Februar 2020 fanden die vorgezogenen Parlamentswahlen in der Republik Aserbaidschan statt. Das Parlament votierte am 2. Dezember 2019 für seine Selbstauflösung zur Unterstützung der Reformpolitik von Staatspräsident Ilham Aliyev, somit wurden diese Wahlen bereits früher abgehalten als ursprünglich geplant. Dies hinderte die Zentrale Wahlkommission und die zuständigen Behörden der Republik Aserbaidschan jedoch nicht daran, die bestmöglichen Vorbereitungen zur Durchführung des demokratischen Prozesses zu vollziehen.

Bei den Parlamentswahlen in der Republik Aserbaidschan traten 1.374 Kandidaten auf insgesamt 19 Listen für die 125 Sitze in der Milli Majlis, der aserbaidschanischen Nationalversammlung, an. Begleitet wurde dieser Prozess zur Stärkung der demokratischen Entwicklung im Land von großem nationalem wie internationalem Interesse. Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission Aserbaidschans wurden 409 internationale und 55.492 lokale Wahlbeobachter akkreditiert. Unter Letzteren befanden sich zahlreiche junge Menschen und Frauen sowie Vertreter der unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen aus der multikulturellen aserbaidschanischen Gesellschaft. Die zivilgesellschaftliche Begleitung der Wahlen mittels der Möglichkeit, als lokale Wahlbeobachter den Prozess am Wahltag selbst mitzuverfolgen, wurde rege in Anspruch genommen.

Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. 87 der insgesamt 125 Abgeordneten wurden erneut in die Nationalversammlung, die Milli Majlis, gewählt. Dr. Nurlan Hasanov, der neue Abgeordnete aus der Region Shamkir, kann als ein Beispiel für die junge, aufstrebende Elite des Landes angesehen werden, die aufgrund ihrer eigenen Auslandserfahrungen die Reformpolitik aktiv vorantreiben möchte. Hasanov, der im Rahmen des Internationalen Parlamentsstipendiums bei einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages gearbeitet hat, weiß aus dieser Erfahrung, wie wichtig die Stärkung demokratischer Strukturen für sein Heimatland ist. Gerade deshalb engagiert er sich in der Regierungspartei Yeni Azerbaycan („Neues Aserbaidschan“), um einen konstruktiven Beitrag zu realpolitischen Veränderungen bewirken zu können.

Unausgewogene Berichterstattung

Die Berichterstattung über die Parlamentswahlen erfolgte in weiten Teilen unfair gegenüber Aserbaidschan – zum einen, da die Berichterstatter nicht selbst vor Ort waren, zum anderen, da die positiven Dynamiken dieser Wahl für die Zivilgesellschaft Aserbaidschans meist vollständig ignoriert wurden. Sicherlich gibt es Verbesserungspotentiale für die Optimierung technischer Vorgänge bei der Wahl, insbesondere in ländlich geprägten Regionen des Landes. Schließlich muss ebenfalls angemerkt werden, dass an ein Land, welches erst 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion wiedererlangte, andere Maßstäbe für die Bemessung der Implementierungsgeschwindigkeit demokratischer Prozesse nach westlichen Standards angelegt werden müssen, als beispielsweise an Deutschland. Und bei aller Kritik sollte nicht vergessen werden, dass Aserbaidschan, von dessen Staatsgebiet bis heute etwa 20 % von Armenien okkupiert sind, stets den innergesellschaftlichen Frieden gewahrt hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten dieser Welt benötigen die Synagogen in Aserbaidschan keinen Polizeischutz rund um die Uhr – aber liest man darüber etwas in denjenigen Medien, die diese Wahlen ohne eigene Anschauung des Landes verurteilen?

Im Zusammenhang mit der völkerrechtswidrigen Okkupation aserbaidschanischen Staatsgebietes durch Armenien darf die Tragödie von Chodschali nicht vergessen werden. Am 26. Februar 1992 wurden 613 Aserbaidschaner, darunter 106 Frauen und 63 Kinder, von armenischen Truppen getötet. Über 1.000 weitere Personen gelten als vermisst. Über zehn Staaten erkannten das Massaker von Chodschali bereits als Genozid an.

Wichtiger Schritt Richtung demokratischer Tradition

Wenn man die Wahlen vom 9. Februar historisch und soziologisch, auch mit Blick auf die zukünftigen Entwicklungspotentiale Aserbaidschans, einordnet, stellen diese einen wichtigen Schritt für die Etablierung demokratischer Traditionen in einer modernen, multikulturellen und säkularen Gesellschaft dar.

Auch Aserbaidschans Wirtschaft befindet sich in einer Phase des strukturellen Wandels. Dank der florierenden Geschäfte mit Erdöl und Erdgas beträgt die Armutsquote der Bevölkerung lediglich 4,8%. Über 80% der Bevölkerung haben heute Zugang zum Internet und im Doing Business Index der Weltbank belegt Aserbaidschan aktuell Platz 34 von 190.

In diesem Jahr beginnen die Erdgaslieferungen aus dem Shah Deniz II Feld im Kaspischen Meer im Rahmen des Südlichen Erdgaskorridors über Georgien und die Türkei in die Europäische Union. Von den zehn Milliarden Kubikmetern Gas wird der Großteil nach Italien exportiert, jedoch profitieren auch Griechenland, Bulgarien und Albanien von dem Projekt. Langfristig soll das von der EU geförderte Erdgasinfrastrukturprojekt Südosteuropa umfassend mit kaspischem Erdgas versorgen.

Die Diversifizierung der Wirtschaft, insbesondere mit Blick auf die Bereiche des Tourismus und des Agrarsektors, bleibt eine zentrale Zukunftsaufgabe für den größten Handelspartner Deutschlands im Südkaukasus. Seit der Wirtschaftskrise von 2015 befindet sich das Land wieder auf einem stabilen Kurs. Für deutsche Unternehmen, insbesondere aus dem Mittelstand, eröffnet sich aktuell eine hochinteressante Phase für den Markteinstieg, wofür die Regierung Aserbaidschans zahlreiche Fördermöglichkeiten bereithält. Wenngleich die fossilen Energieträger weiterhin eine bedeutende Rolle im Land des Feuers spielen werden, so ist für die Regierung Aserbaidschans ersichtlich, dass nur mit einer Wirtschaft, die ebenfalls andere Sektoren proaktiv vorantreibt, die Prosperität der Nation für die Zukunft gesichert werden kann.

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