Gemischtes Doppel #34: Die Terror-Lektion

Gemischtes Doppel #34: Die Terror-Lektion


Der Montag war ein lehrreicher Tag für mich. Bisher waren Terroranschläge für mich etwas, was ich gebannt am Fernsehschirm oder im Netz verfolgte. Der Schmerz und auch der Tod den sie brachten, war zwar begreifbar, aber auch ein wenig virtuell. Ebenso empfand ich auch die Folgen solcher Anschläge als Betroffenheitsrummel.

Die überbordende Solidarität in jenen Städten, das Lob für den Umgang der Behörden mit der Notfallsituation, die Ich-bin-sicher-Facebook-Meldungen, die Je-suis-Hashtags wirkten aus der Ferne aufgesetzt. Sterben nicht jeden Tag irgendwo Menschen? Im Straßenverkehr, bei Überfällen, im Krankenhaus?

Dann plötzlich knallte es nur wenige Gehminuten von meiner Wohnung. Mindestens vierzehn Menschen sind gestorben, mehrere Dutzend verletzt. Auf einmal vibriert das Handy im Sekundentakt. Facebook, Whatsapp, Telefon. Alle fragen, ob man OK sei und was denn da passiert sei. Als ob man „vor Ort“ (am Laptop daheim) den besseren Überblick habe. Fast schon automatisch geht der Klick zum besagten Safety-Check von Facebook.

Wenig später, am Ort der Tragödie, sehe ich, wie souverän die die Rettungskräfte ihre Arbeit machen. Von der anfänglichen Panik fehlte jede Spur. Stattdessen organisierten Menschen im Netz Listen mit Fahrern, die andere Leute nach Hause bringen können. Denn die U-Bahn war bis in die Abendstunden gesperrt.

Einige Cafés boten gestrandeten Unterschlupf und kostenlosen Kaffee. Taxi-Apps stellten ihre Tarife auf Null, und doch war es schwierig, ein freies Auto zu ergattern. Und auch die Stadt stellte Hunderte kostenloser Busse bereit. Ein handfestes Verkehrschaos blieb zwar nicht aus, schließlich nutzen täglich etwa zwei Millionen Petersburger die Metro. Gegen Abend waren die meisten jedoch zu Hause angekommen.

Und so schlich sich ein komisches Gefühl ein, das ich bisher nicht kannte. Dieser etwas trotzige und von mir bisher belächelte Stolz auf die eigene Stadt, die sich nicht ins Chaos stürzen ließ. Die trotz allem und den Umständen entsprechend funktioniert. In der es noch immer möglich ist, am Abend nach dem Anschlag eine Konzerthalle vollzukriegen oder sich innerhalb von 30 Minuten eine Pizza liefern zu lassen.

Selbst der kleine Medienhype um den Zugfahrer, der mit seiner Entscheidung, die Bahn bis zur Haltestelle zu bringen, vielleicht einige Leben gerettet hat, nervte nur am Rande. Der Stolz gilt auch den vielen Petersburgern, die sich – womöglich für sich selbst unerwartet – als hilfsbereit erwiesen haben.

Ganz andere Gefühle dagegen riefen Leute hervor, die schon nach wenigen Stunden begannen, wild zu spekulieren, wie denn die Staatsmacht von diesem neuen Anschlag profitieren könnte. Ob sie denn nicht sogar selber dahinter stecken könnte? Auch wenn diese Verschwörungstheorie auf den ersten Blick unglaublich klingt – nicht wenige Russen sind bereit, diese Version zumindest in Erwägung zu ziehen.

In manchen Büros war das am ersten Arbeitstag nach dem Anschlag sogar die vorherrschende Version. Für das Vertrauen der Russen in die eigenen Dienste bedeutet das nichts Gutes. Von der Reputation, die sie sich FSB, Polizei und andere über die letzten Jahre zugelegt haben, werden sie sich auf absehbare Zeit nicht reinwaschen können.


Im Gemischten Doppel geben Inga Pylypchuk (Ukraine) und Maxim Kireev (Russland) im wöchentlichen Wechsel persönliche (Ein)-Blicke auf ihre Heimatländer.

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