Russische Wirtschaftspolitik: Alles zum Wohle des Verbrauchers?

Kolumne: Alles zum Wohle des Verbrauchers?

Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um wirtschaftspolitische Maßnahmen, die unser Autor nicht ganz nachvollziehen kann. 

Sichtbarer Fortschritt

Um es gleich am Anfang klar und deutlich zu sagen: Ich habe über die Jahre hinweg viele gut ausgebildete, sehr engagierte und fleißige, mehrsprachige Beamte und Angestellte der russischen Regierung, aus Ministerien und nachgelagerten Behörden kennengelernt. Sie machen ihren Job, um das Land voranzubringen und für die Russen das Leben besser zu machen. Sie sind aufgeschlossen, immer bereit, sich auf Diskussionen einzulassen und in keiner Weise beratungsresistent. Und ich sehe auch viele wirklich gute Ansätze im täglichen Leben und in Teilen auch in der Wirtschaft. Das Russland von 2019 hat nichts mehr mit dem siechen Riesenreich Sowjetunion zu tun. Und doch verstehe ich die Wirtschaftspolitik, die im Augenblick betrieben wird, nicht wirklich. Fast jede Maßnahme der letzten zwölf Monate wurde mit der Unabhängigkeit der russischen Wirtschaft, der Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und dem Verbraucherschutz begründet. Vor allem bei letzterem lohnt ein Blick auf die Details.

Markierungspflicht

Stück für Stück will der russische Staat dafür sorgen, dass in Russland produzierte oder eingeführte Waren für den heimischen Markt speziell markiert werden. Der Verbraucher soll wissen, woher die Ware kommt. Das gilt für eine unglaubliche Vielzahl von Produkten: Schuhe, Kleidung, Reifen, Arzneimittel, Lebensmittel usw. Experten schätzen, dass fast 80 Prozent aller Importgüter eine zusätzliche Markierung bekommen sollen. Wer sich nicht daran hält, muss mit empfindlichen Strafen rechnen oder damit, dass die Ware den Zoll nicht passiert. Für die Unternehmen bedeutet diese Regelung einen enormen zusätzlichen Aufwand, die Umstellung der IT und die Anpassung des eigenen Labels für ein einziges Land. Die allermeisten Firmen jedoch teilen die Distributionsstrukturen nach Regionen auf und nicht nach einzelnen Ländern. Und irgendwer muss diesen zusätzlichen Aufwand natürlich bezahlen: der Verbraucher! Er soll vor schlechter Qualität und Nachahmerprodukten geschützt werden. Die aber werden, wie bisher auch, ihren Weg zum Verbraucher finden. Und wer sich früher kein Markenprodukt leisten konnte, wird auch in Zukunft nicht nach der Herkunft und den Inhalten fragen.

Lokalisierung der Automobilindustrie

Der Russen liebstes Spielzeug ist das Auto. Neu soll es sein, möglichst aus dem Ausland, wenn es irgendwie geht aus Deutschland, mit so viel Zusatzausstattung wie der Konfigurator nur hergibt. Nahezu alle großen Hersteller produzieren mittlerweile in Russland. Alle in der Hoffnung, dass die Absatzzahlen, die dereinst die Investition rechtfertigten, auch irgendwann einmal erreicht werden. Davon ist der Markt allerdings noch weit entfernt. Außerdem wurden mit dem WTO-Beitritt Russlands für die Branche Sonderkonditionen ausgehandelt, die jedoch nach und nach auslaufen. In der Realität heißt das, dass auf eingeführte Komponenten Zoll erhoben wird. Die Mehrkosten trägt, Sie ahnen es, der Verbraucher! Die Lösung des Problems sieht der russische Gesetzgeber in der Herstellung möglichst aller Komponenten im Inland. Dazu müssten den OEM die Lieferanten folgen. Bei den größten, die meisten kommen übrigens aus Deutschland, ist eine lokale Produktion noch vorstellbar. Bei den Tier 2,3,4-Lieferanten in der Supply Chain gibt es aber eigentlich kein Business-Modell, das einen solchen Schritt – bei der geforderten Lokalisierungstiefe – wirtschaftlich sinnvoll erscheinen lässt. Dazu bräuchte es als Grundvoraussetzung russische Lieferanten, die Teil der Lieferkette würden. Bis heute jedoch ist es für die meisten OEM billiger die entsprechenden Komponenten im Ausland zu kaufen, als in Russland herstellen zu lassen. In letzter Konsequenz gibt es für die Lieferanten nur zwei Entscheidungen: den russischen Markt zu verlassen oder eine Lösung zu finden, um irgendwie die Lokalisierungsanforderungen zu erfüllen. In beiden Fällen wird das Ergebnis ein qualitativ schlechteres und im Zweifel teureres Produkt sein.

Verschrottungsprämie

Weil wir gerade bei teurer sind: Seit einigen Monaten müssen Importeure von Elektrofahrzeugen bei der Einfuhr eine sogenannte Utilization Fee bezahlen, also eine Abgabe darauf, dass am Ende der Lebenszeit des Produktes ein Recycling garantiert wird. Die sogenannte „Abwrackprämie“ wird dem ein oder anderen noch aus Deutschland bekannt sein. Sie wurde eingeführt, um alte KFZ wegen ihrer schlechten Abgaswerte aus dem Verkehr zu ziehen, vor allem jedoch, um der Automobilindustrie einen Konjunkturschub zu verleihen. Nun gibt es in Russland keine nennenswerten Hersteller von Flurförderzeug-, Lager- und Materialflusstechnik – also Gabelstaplern, Hubwagen, Schubmaststaplern. Man findet sie dafür in jedem Lager, jedem Supermarkt, überall dort, wo Ware von A nach B befördert wird. Verteuert sich ihre Einfuhr, verteuert sich am Ende der Prozesskette das Produkt. Die Rechnung zahlt der Verbraucher. Ein nicht ganz unerhebliches Detail ist, dass etliche Altgeräte nicht etwa in Russland einem Recycling zugeführt werden, sondern irgendwie in andere Länder zur Zweit- oder Drittverwendung diffundieren. Da hilft es wenig, dass “Abwrackprämie” von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2009 gekürt wurde.

Ein nationales Internet

Ein letztes Beispiel soll zeigen: dass das, was im Zweifel gut gemeint ist, am Ende der Verbraucher wird bezahlen müssen. In vielen Ländern gibt es die Tendenz, die nationale Hoheit über das World Wide Web zu erlangen. Wie sinnvoll kann es sein, eine Struktur, deren Stärke gerade die Unabhängigkeit vom Standort des Nutzers ist, nationalisieren zu wollen? Der eine oder andere wird jetzt an Sicherheitsaspekte, Cyber Security und Cyber Crime denken oder an IT-Unternehmen, die ihre Leistungen weltweit anbieten, aber Steuern nur in „Oasen“ bezahlen. Aber genau solche Auswüchse lassen sich nur mit länderübergreifenden, konzertierten Aktionen eindämmen. In Russland gibt es den Gedanken, und in Ansätzen auch schon die Umsetzung, dass man alle Komponenten des Internets selbst herstellt und kontrolliert. Augenblicklich kommen etwa 90 Prozent der verwendeten IT-Infrastruktur und über 80 Prozent der Software aus dem Ausland. IT-Experten sind sich sicher, dass dieser nationale Alleingang Milliarden verschlingen würde und es keinerlei Garantie gibt, dass die Qualität besser wird. Die brillantesten IT-Lösungen weltweit sind durch den Wettbewerb der besten Ideen entstanden.

Der Verbraucher zahlt die Zeche

Am Ende steht als Fazit, dass für alle diese wirtschaftlichen Entscheidungen der Verbraucher zahlen muss, der wie an dieser Stelle schon ausgeführt, auch so schon weniger Geld zur Verfügung hat. Ob die internationale Wettbewerbsfähigkeit der russischen Wirtschaft dadurch gesteigert wird, dass man den Markt abschottet, darf ebenso bezweifelt werden, wie der Zugewinn an Unabhängigkeit durch Selbstversorgung. Allerdings ist Eines klar: künstliche Verknappung und Monopole haben noch nie dazu geführt, dass Produkte besser und billiger werden.

Titelbild
Quelle: Per Bengtsson / Shutterstock.com[/su_spoiler] ^*^