Russland-Prognosen: Hohe Leitzinsen dämpfen Inflation und Wachstum

Die russische Zentralbank beließ ihren Leitzins wie von fast allen Beobachtern erwartet bei 16 Prozent. Sie erklärte erneut, dass ihre „straffe“ Geldpolitik für „eine lange Periode“ beibehalten werden muss, wenn die angestrebte Inflationsrate von 4 Prozent erreicht werden soll.

Das Konjunkturforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften merkte zu dieser Geldpolitik der Zentralbank allerdings kritisch an, dass sie die restriktivste seit 10 Jahren sei, weil die Inflationsrate verglichen mit der Entwicklung bei früheren „Schocks“ relativ niedrig sei. Das „Institute of Economic Forecasting“ der „Russian Academy of Sciences“ (IEF RAS), warnt in seiner wenige Tage vor der Leitzinsentscheidung veröffentlichten Konjunkturanalyse, dass eine Beibehaltung des Leitzinses während des ganzen Jahres 2024 zu einer erheblichen Verlangsamung des Wirtschaftswachstums führen könnte.

Das Institut erwartet für 2024 eine deutliche Abschwächung des Wachstums der russischen Wirtschaft auf 1,9 Prozent. Dabei geht es davon aus, dass der Leitzins „höchstwahrscheinlich“ auf einem Niveau von 15 bis 16 Prozent bleibt. Wenn erneute „externe Schocks“ einträten oder bei einer Verringerung des Leistungsbilanzüberschusses mit einer anschließenden Abschwächung des Rubel-Kurses werde die Zentralbank den Leitzins hochhalten.

Russische Zentralbank bleibt bei Leitzins von 16 Prozent

Die Zentralbank stellt in ihrer Pressemitteilung zum Leitzinsentscheid heraus, dass der Inflationsdruck zwar allmählich nachlasse, aber hoch bleibe. Die Nachfrage übersteige noch die Kapazitäten zur Erhöhung der Produktion. Die Anspannung auf dem Arbeitsmarkt habe sich weiter erhöht.

Die Zentralbank erklärt erneut, dass ein Rückgang der Inflationsrate auf das angestrebte Ziel im Jahr 2024 und ihre weitere Stabilisierung nahe 4 Prozent voraussetzen, dass ihre „straffe“ Geldpolitik „für eine lange Periode“ beibehalten wird.

Leitzins der russischen Zentralbank in Prozent/Jahr

Trading Economics: Russia Interest Rate, 22.03.24

Zentralbank: Das schnelle Wachstum hält im ersten Quartal an

Aktuelle Konjunkturindikatoren zeigen, so die Zentralbank, dass die russische Wirtschaft im ersten Quartal 2024 weiterhin schnell wächst. Die Nachfrage der Verbraucher und der Unternehmen sei stark geblieben. Die Entwicklung der russischen Wirtschaft weiche von einem ausgewogenen Wachstumspfad weiterhin nach oben ab.

Zentralbankpräsidentin Nabiullina meinte in der Pressekonferenz, dass sich das Wachstum der Aktivitäten in der Wirtschaft nach einer leichten Abschwächung am Ende des letzten Jahres jetzt wieder beschleunigt habe, vor allem im Bereich des Verbrauchs der privaten Haushalte. Die Stimmung der Verbraucher sei nahe ihren historischen Höhepunkten. In früheren Perioden einer deutlichen Straffung der Geldpolitik sei dies nicht zu beobachten gewesen.

Anlässlich ihrer aktuellen Leitzinsentscheidung veröffentlichte die russische Zentralbank  aber keine neue Konjunkturprognose. Mitte Februar hatte sie für das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2024 eine Spanne von 1,0 bis 2,0 Prozent genannt.

Russische Experten erwarten 2024 nur knapp 2 Prozent Wachstum

Die von der Zentralbank vor ihrer Leitzinsentscheidung in einer Umfrage vom 07. bis zum 12. März befragten Analysten erwarteten im Mittel für 2024 in Russland nur ein Wachstum von 1,8 Prozent. Damit würde sich das 2023 erreichte Wachstum von 3,6 Prozent halbieren (Ostexperte.de berichtete).

Auch das „Institute of Economic Forecasting“ der „Russian Academy of Sciences“ (IEF RAS), geht davon aus, dass das Wachstum der russischen Wirtschaft in diesem Jahr mit 1,9 Prozent knapp unter 2 Prozent bleibt.

BIP-Prognosen 2023 bis 2025

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Warum Russlands Wirtschaft 2023 so stark wuchs

Die Ursachen für das unerwartet starke Wachstum der russischen Wirtschaft von 3,6 Prozent im letzten Jahr umreißt das IEF der RAS so:

Eine Grundlage für das Wachstum war der Anstieg der Staatsausgaben. Angesichts der Sanktionen und der Verteuerung der Einfuhren wuchs außerdem die Nachfrage nach inländischen Produkten rasch.

Wegen der aktuellen Knappheit von Arbeitskräften wurde die Nachfrage der Verbraucher gleichzeitig durch stark steigende Löhne gestützt.

Das Wachstum der Investitionen wurde nicht nur durch die höhere Nachfrage nach russischen Produkten angetrieben, sondern auch durch Investitionsprogramme der Regierung. Bei einer hohen Auslastung der Produktionskapazitäten zogen die Investitionen kräftig an.

Die russische Industrieproduktion stieg im vergangenen Jahr um insgesamt 3,5 %.

Dazu trugen die folgenden Branchen insgesamt 2,25 Prozentpunkte bei. Sie verzeichneten oft hohe zweistellige Wachstumsraten:

  • „Herstellung von Metallprodukten, außer Maschinen und Ausrüstungen“: + 27,8 % im Vergleich zu 2022 und + 44,9 % im Vergleich zu 2021;
  • „Herstellung von Computern, elektronischen und optischen Produkten“: + 32,8 % Vergleich zu 2022 und + 45,3 % im Vergleich zu 2021;
  • „Produktion von Elektrogeräten“ :+19,0 % bzw. +20,3 %;
  • „Produktion sonstiger Fahrzeuge und Ausrüstungen“: +25,5 % bzw. +22,9 %;
  • „Produktion von Maschinen und Geräten, die nicht in anderen Gruppen enthalten sind“: + 4,5 % bzw. +3,8 %.

Das IEF der RAS merkt an, die Produktion dieser Branchen sei „weitgehend auf die Nachfrage nach Investitionsgütern ausgerichtet“.  Viele andere Experten sehen in den hohen Wachstumsraten dieser Industriezweige hingegen vor allem einen Hinweis auf die starke Steigerung der Produktion von Rüstungsgütern.

Wie sich die Verwendung des Bruttoinlandsprodukts entwickelte

Das IEF der RAS schätzt, dass sich der Anstieg der Anlageinvestitionen 2023 auf 10,5 Prozent beschleunigt hat. Der Private Verbrauch sei um 6,1 Prozent, der Staatsverbrauch deutlich schwächer um 3,6 Prozent gewachsen.

Verwendung des realen Bruttoinlandsprodukts,Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Besonders stark waren nach Einschätzung des Instituts die Veränderungen von Russlands Aus- und Einfuhren.

Der reale Rückgang der Exporte schwächte sich von 13,9 Prozent im ersten Kriegsjahr 2022 auf nur noch 2,0 Prozent ab.

Die Einfuhren, die 2022 um rund 15 Prozent gesunken waren, erholten sich 2023 nicht nur von diesem Rückgang, sondern wuchsen nach Schätzung des Instituts um rund 30 Prozent. Damit habe der Anteil der Importe am BIP – nach einem starken Rückgang im Jahr 2022 – fast wieder den mehrjährigen Durchschnitt erreicht.

Verbrauch und Investitionen trieben 2023 das Wachstum

Zum Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 3,6 Prozent im Jahr 2023 trug nach ersten Berechnungen des Instituts der Verbrauch etwas weniger bei als die Investitionen. Der Private Verbrauch habe 3,1 Prozentpunkte zum Wachstum beigesteuert, der Staatsverbrauch nur 0,6 Prozentpunkte (siehe folgende Tabelle).

Den Wachstumsbeitrag der Anlageinvestitionen veranschlagt das Institut auf 2,2 Prozentpunkte. Der Wachstumsbeitrag der Lagerinvestitionen sei mit 2,4 Prozentpunkten noch höher gewesen. Das Institut sieht darin eine „Normalisierung nach dem Schock von 2022“. Die Aufstockung der Vorräte erfolge mit dem Aufbau neuer Lieferketten. Außerdem bereite sich ein erheblicher Teil der Unternehmen auf weiteres Wachstum vor.

Prognosen des IEF-RAS Instituts: Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukt gegenüber Vorjahr in %; Wachstumsbeiträge der Verwendungsbereiche in Prozentpunkten

Der hohe negative Wachstumsbeitrag der Netto-Exporte im Jahr 2023 (insgesamt – 5,8 Prozentpunkte) ergab sich nach Schätzung des Instituts aus dem starken Wachstum der Importe (+30,0 Prozent gegenüber 2022) und dem Rückgang der Exporte (-2,0 Prozent gegenüber 2022).

Was das Inflationstempo 2023 beschleunigte

Nach Einschätzung des IEF der RAS wurde der Preisanstieg im Jahr 2023 vor allem vom schnellen Wachstum der Einkommen und der Verbrauchernachfrage angetrieben.

Der zweitwichtigste Inflationsfaktor sei der Anstieg direkt oder indirekt regulierter Zölle und Preise gewesen.Die inflationstreibende Wirkung der Abschwächung des Rubels war nach Einschätzung des Instituts hingegen „recht begrenzt“.

Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen blieb gewahrt

Zur Belastung der öffentlichen Finanzen im letzten Jahr meint das Institut:

Das Haushaltsdefizit im konsolidierten Staatshaushalt blieb 2023 „sehr moderat“ (2,2 % des BIP). Aber auch damit wurde das Wachstum der Investitionen und der Einkommen deutlich unterstützt.

Die Ergebnisse für 2023 zeigen, so das Institut, dass die fiskalische Stimulierung der Nachfrage eine wirksame Maßnahme zur Stützung der Wirtschaft darstellt. Die Risiken für die „makro-finanzielle Stabilität“ hätten sich nur „moderat“ erhöht. Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen bleibe gewahrt. Eine Spirale steigender Staatsschulden werde vermieden.

IEF RAS: Die Wachstumsperspektiven sind „natürlich nicht akzeptabel“

Das Konjunkturinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften geht davon aus, dass das Wirtschaftswachstum im Jahr 2024 „nicht mehr als 2 Prozent“ beträgt. In den beiden folgenden Jahren 2025 bis 2026 könne es „2 bis 2,5 Prozent“ erreichen, wenn die Geldpolitik gelockert werde und sich die aufgestaute Nachfrage realisiere.

Dazu meint das Institut: „Natürlich kann eine solche Entwicklung nicht als akzeptabel angesehen werden.“  Aufgabe für 2024 sei das Erreichen eines Wirtschaftswachstums von 3 Prozent und darüber.  Ein höheres Wirtschaftswachstum als 2 Prozent sei möglich, wenn neue Produktionskapazitäten mit verbesserten Effizienzmerkmalen geschaffen würden.

Prognosen des IEF-RAS Instituts zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und seiner Verwendung, Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent

Das Institut erwartet, dass sich der Kampf der Unternehmen um qualifizierte Arbeitskräfte auf weitere Teile der Wirtschaft ausweitet. Der „Lohn-Wettlauf“ werde sich verschärfen.

Erforderlich seien jetzt höhere Investitionen, um das wettbewerbsfähige Angebot an Gütern auszuweiten. Diese Aufgabe könne mit Hilfe von staatlich subventionierten Krediten gelöst werden.

Buch-Auto Felix Jaitner zur aktuellen Entwicklung der russischen Wirtschaft

In einem Interview in „nd-Journalismus von Links“ äußerte sich auch Felix Jaitner, Autor des von der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Volltext im Internet veröffentlichten Buches „Russland: Ende einer Weltmacht“, zu aktuellen Trends und Perspektiven der russischen Wirtschaft.

Jaitner meint, die Putin-Administration habe als Reaktion auf die militärischen Niederlagen in der Ukraine im Sommer 2023 einen Strategiewechsel vollzogen: Gestützt auf die hohen Devisenreserven sei die Rüstungsproduktion hochgefahren worden.

Insbesondere die industrialisierten Regionen Westrusslands und im Ural profitierten von diesen Maßnahmen. Aufgrund des Fachkräftemangels, der nicht zuletzt eine Folge der Massenflucht nach der beschlossenen Teilmobilmachung sei, würden die Löhne steigen.

Wie viele andere Experten betont aber auch Jaitner, dass der „aktuelle Kriegskeynesianismus“ keine langfristige Antwort auf die strukturellen Krisen der russischen Wirtschaft sein kann. Die industrielle Erholung bleibe bisher weitgehend auf den Rüstungssektor begrenzt.

Jaitner verweist darauf, das „national-konservative Lager“ in Russland propagiere seit einiger Zeit eine Re-Industrialisierungsstrategie, um die Importabhängigkeit im Bereich der  Hochtechnologiegüter zu reduzieren. Damit einher gehe die Forderung nach engen wirtschaftlichen Beziehungen mit China, dem postsowjetischen Raum und Ländern des globalen Südens. Die russische Regierung habe diese Forderungen lange Zeit nicht systematisch verfolgt, erst die westlichen Sanktionen hätten ein Umdenken bewirkt.

Zur Wirksamkeit der Sanktionen meint Jaitner, eine Einschätzung der ökonomischen Entwicklung Russlands sei zwar schwierig, weil immer weniger Daten öffentlich zugänglich seien. Fakt sei aber, dass die Sanktionen nicht dazu beigetragen hätten, Russland zu »ruinieren«, wie es etwa die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock beabsichtigt habe. Vielmehr könne Russland aufgrund der hohen Nachfrage nach Rohstoffen in Asien den Verlust seines bisher wichtigsten Exportmarktes, der EU, offenbar verkraften. Er geht davon aus, dass die Verschärfung der Sanktionen die Umsetzung der Re-Industrialisierungsstrategie in Russland beschleunigt.

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

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