Weniger Wirtschaftswachstum durch Arbeitskräftemangel

Im letzten Jahr wuchs Russlands Wirtschaft unerwartet stark um 3,6 Prozent. Viele Konjunkturprognosen gehen aber davon aus, dass sich der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr etwa halbiert. Auch die russische Zentralbank erwartet 2024 höchstens ein Wachstum von 2,0 Prozent. Als Hindernis für ein stärkeres Wachstum wird oft auf das zunehmend knappere Angebot an Arbeitskräften verwiesen. 

Im Januar hat sich die Konjunktur aber erneut besser als erwartet entwickelt. Befragungen von Unternehmen deuten zudem darauf hin, dass sich das Wachstum der Geschäftsaktivitäten in der Industrie im Februar fortgesetzt hat. 

Das „Verarbeitende Gewerbe“ trieb das Wachstum der Industrieproduktion

Russlands Industrieproduktion stieg im Januar im Vorjahresvergleich um 4,6 Prozent. Analysten hatten bei einer Interfax-Umfrage ein schwächeres Wachstum von 4,0 Prozent erwartet. Das kräftige Wachstum wurde innerhalb der Industrie vor allem vom „Verarbeitenden Gewerbe“ getragen, dessen Produktion um 7,5 Prozent höher war als vor einem Jahr. Die Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ stieg gleichzeitig um 0,8 Prozent. 

Besonders hohe Steigerungen der Produktion gab es im „Verarbeitenden Gewerbe“ im Vergleich zur Produktion im Januar 2023 vor allem in einigen „rüstungsnahen“ Branchen: 

  • Computer, elektronische und optische Produkte: + 54,6%;  
  • Kraftfahrzeuge, Anhänger: + 50,2%;  
  • Möbel: + 34,1%;  
  • Metallprodukte (ohne Maschinen und Ausrüstungen): + 19,8% 

Auch gegenüber Dezember stieg die Industrieproduktion im Januar laut Rosstat und VEB-Institut

Laut ersten Berechnungen des Forschungsinstituts der Wneschekonombank (Bank für Außenwirtschaft) stieg die Produktion des „Verarbeitenden Gewerbes“ im Januar im saison- und kalenderbereinigten Vergleich mit dem Vormonat Dezember um 1,3 Prozent. Der Rückgang im Dezember gegenüber November um 1,5 Prozent wurde damit fast ausgeglichen (siehe obere, dunkelgrüne Linie in der folgenden Abbildung). 

Die Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ (untere, hellgrüne Linie) stagnierte im Januar saison- und kalenderbereinigt weiterhin fast. 

Insgesamt war die Industrieproduktion im Januar saison- und kalenderbereinigt um 0,8 Prozent höher als im Dezember (schwarze Linie). Das Statistikamt Rosstat errechnete einen ähnlich starken Anstieg um 0,7 Prozent. Zuvor hatte die Industrieproduktion seit Mitte 2023 im Trend annähernd stagniert. 

Index der Industrieproduktion, saison- und kalenderbereinigt (Jan. 2014=100)
schwarze Linie: Industrie insg., hellgrüne Linie: Bergbau, Förderung von Rohstoffen; dunkelgrüne Linie: Verarbeitendes Gewerbe 

Institut der Wneschekonombank: World Economy and Markets Review, 01.03.24  

Im Gegensatz zu diesen ersten Berechnungen des Statistikamtes Rosstat und des VEB-Instituts ist die Industrieproduktion nach ersten Berechnungen des Moskauer „Zentrum für makro-ökonomische Analysen und kurzfristige Prognosen“, CMASF, im Januar im Vergleich zum Dezember allerdings nicht gestiegen, sondern um 0,3 Prozent gesunken. 

Einkaufsmanager-Index im Verarbeitenden Gewerbe deutlich gestiegen

Erwartungen, dass die Geschäftsaktivitäten im Bereich des Verarbeitenden Gewerbes im Februar weiter gestiegen sind, weckt die Mitte Februar durchgeführte Unternehmens-Umfrage des Research-Unternehmens „S & P Global“. Der „Purchasing-Manager-Index“ im Verarbeitenden Gewerbe Russlands stieg von 52,4 Punkten im Januar auf 54,7 Punkte im Februar. Indexwerte über 50 Punkten signalisieren wachsende Geschäftsaktivitäten.  

S&P Global Einkaufsmanager-Index im Verarbeitenden Gewerbe 

S&P Global: S&P Global Russia Manufacturing PMI, 01.03.24

Im Februar wurde im Verarbeitenden Gewerbe laut der Umfrage der stärkste Anstieg von Aufträgen seit 2011 registriert. Dabei sanken aber die Aufträge aus dem Ausland den vierten Monat in Folge. Die Unternehmen stellten im Februar erneut zusätzliche Mitarbeiter ein. Sie äußerten sich hinsichtlich der Produktionsperspektiven in den nächsten 12 Monaten generell optimistisch, berichtet auch Finmarket.ru. 

Im Januar wuchs auch der Konsumbereich

Die Konjunkturentwicklung im Bereich des Verbrauchs der privaten Haushalte verfolgt das VEB-Institut anhand der Entwicklung der realen Umsätze im Einzelhandel und mit Dienstleistungen vor dem Hintergrund der Entwicklung der Reallöhne. 

Im Januar 2024 war der Einzelhandelsumsatz preisbereinigt laut Rosstat 9,1 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Der reale Umsatz im Dienstleistungsbereich stieg um 6,2 Prozent.  

Basis dafür war der Anstieg der Reallöhne. Im Dezember 2023 waren sie 8,5 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Im Jahresvergleich 2023 gegenüber 2022 stiegen die Reallöhne um 7,8 Prozent, nachdem sie im Rezessionsjahr 2022 nur um 0,3 Prozent gestiegen waren.  

Im Vergleich zum jeweiligen Vormonat war der reale Einzelhandelsumsatz im November und Dezember 2023 gesunken (siehe schwarze Linie). Im Januar 2024 erholte sich der Einzelhandel davon zu einem großen Teil. Er stieg saison- und kalenderbereinigt gegenüber Dezember 2023 um 1,8 Prozent. 

Der reale Dienstleistungsumsatz (dunkelgrüne Linie) war hingegen bereits im Dezember gegenüber dem Vormonat gestiegen. Dieses Wachstum setzte sich im Januar mit einem Anstieg um 0,8 Prozent gegenüber Dezember leicht beschleunigt fort. 

Reallöhne und reale Umsätze im Einzelhandel und mit Dienstleistungen,
saison- und kalenderbereinigt, (Januar 2014 = 100) 

Institut der Wneschekonombank: World Economy and Markets Review, 01.03.24 

Die obige Abbildung macht deutlich: Während der reale Einzelhandelsumsatz sein vor dem Beginn des Ukraine-Krieges Anfang 2022 erreichtes Niveau immer noch etwas unterschreitet (schwarze Linie), hat der reale Dienstleistungsumsatz seinen leichten Rückgang nach Kriegsbeginn schon im Verlauf des Jahres 2022 wettgemacht (dunkelgrüne Linie). 

Schätzung: Das Bruttoinlandsprodukt stieg gegenüber Dezember um 0,4 Prozent

Neben der Produktion in der Industrie, im Einzelhandel und im Dienstleistungsbereich ist im Januar laut den ersten Schätzungen des VEB-Instituts u.a. auch die Produktion im Bereich des Personen- und Gütertransports im Vergleich zum Vormonat gestiegen.  

Das VEB-Institut schätzt den saison- und kalenderbereinigten Anstieg des gesamten realen Bruttoinlandsprodukts im Januar 2024 gegenüber Dezember 2023 auf 0,4 Prozent.  

Index des realen Bruttoinlandsprodukts,
saison- und kalenderbereinigt (Januar 2014 = 100) 

Institut der Wneschekonombank: World Economy and Markets Review, 01.03.24 

Ministerium: Die jährliche Wachstumsrate stieg im Januar auf 4,6 Prozent

Im Vorjahresvergleich zum Januar 2023 war das reale Bruttoinlandsprodukt laut den ersten Berechnungen des VEB-Instituts im Januar 4,5 Prozent höher. Nach Mitteilung des russischen Wirtschaftsministerium war der jährliche Anstieg im Januar mit 4,6 Prozent noch etwas höher (Finmarket.ru, bne Intellinews). 

Russlands reales Bruttoinlandsprodukt,
Veränderungen gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent 

bne IntelliNews: Russia posts accelerated 4.6% GDP growth in January, 29.02.24

Im 2-Jahres-Vergleich zum Januar 2022 ist die gesamtwirtschaftliche Produktion im Januar 2024 nach Angaben des Ministeriums um 1,9 Prozent gestiegen.  

Neue Wachstumsprognosen des Wirtschaftsministeriums im April

Die russische Regierung geht in ihrer im Herbst beschlossenen Haushaltsplanung davon aus, dass die russische Wirtschaft im Jahr 2024 um 2,3 Prozent wachsen wird. Ein noch stärkeres Wachstum prognostizierte Ende Januar der Internationale Währungsfonds (+ 2,6 Prozent).

Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow kündigte Anfang März an, sein Ministerium werde die Konjunkturprognose im April aktualisieren. Er geht laut Kommersant davon aus, dass sich das jährliche Wachstum der russischen Wirtschaft bis zum Jahr 2030 auf rund 3 Prozent beschleunigen wird. Der Minister verwies auf die von Präsident Putin in seiner Rede vor der Föderalversammlung genannten wirtschaftspolitischen Leitlinien (siehe Analyse von „The Bell“: „Less capitalism, more state). 

Das Moskauer „Zentrum für makro-ökonomische Analysen und kurzfristige Prognosen“, CMASF, hob seine Prognose für das Wachstum der russischen Wirtschaft im Jahr 2024 jetzt auf 1,7 bis 2,0 Prozent an, obwohl die Industrieproduktion nach seinen ersten Berechnungen im Januar im Vergleich zum Dezember saisonbereinigt nicht gestiegen, sondern um 0,3 Prozent gesunken ist.  

Von Reuters Ende Februar/Anfang März befragte Analysten erwarten in Russland in diesem Jahr einen Rückgang der Wachstumsrate auf 1,6 Prozent. Bei einer Analysten-Umfrage der Konjunkturforschungsabteilung der Moskauer „Higher School of Economics“ wurde im Februar ein Wachstum von 1,5 Prozent erwartet. 

BIP-Prognosen für Russland 2023 und 2024 

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent 

Wachstumsbremse: Knappes Angebot an Arbeitskräften

Das Angebot an Arbeitskräften ist weiterhin sehr knapp. Die Arbeitslosenquote sank laut Rosstat im Januar wieder auf das Rekord-Tief von 2,9 Prozent (Dezember: 3,0 Prozent). 

Russlands Arbeitslosenquote in Prozent

Trading Economics: Russia: Unemployment Rate

BOFIT, das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, meint in seinem jüngsten Wochenbericht zur Entwicklung des russischen Arbeitsmarktes: 

Die russische Wirtschaft kann auf keine zusätzlichen Reserven an Arbeitskräften zurückgreifen. Im Ergebnis könnte das Wachstum ihrer Produktion seinen Höhepunkt erreicht haben. Der beschleunigte Anstieg der Löhne, vor allem in rüstungsnahen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes, hat den Inflationsdruck verschärft. 

Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt spiegelt sich darin, dass der Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung im letzten Jahr auf 61,3 Prozent gestiegen ist. Sie ist damit viel höher als vor der Corona-Pandemie.   

Die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften zeigt sich auch im Rückgang der Teilzeit-Beschäftigung. Der Anteil der Teilzeit-Beschäftigten sank 2023 auf ein Rekordtief. In Branchen wie der Metallerzeugung und -verarbeitung sowie dem Maschinenbau ging er um rund 80 Prozent zurück. 

Die folgende BOFIT-Abbildung lässt erkennen, wie stark sich das Angebot an verfügbaren Arbeitskräften im Verlauf der letzten drei Jahre verknappt hat.  

In der „Corona-Rezession“ im Herbst 2020 war die Zahl der Arbeitslosen auf rund 4,8 Millionen gestiegen (blaue Linie). Damals wurden nur rund 1,8 Millionen Arbeitskräfte nachgefragt (rote Linie). 

Bis Ende 2023 hat sich die Zahl der Arbeitslosen gut halbiert. Zuletzt war sie mit 2,2 Millionen nur noch rund 15 Prozent höher als die Zahl nachgefragten Arbeitskräfte.    

The number of unemployed has declined in recent years,
while demand for workers has remained strong

BOFIT, Bank of Finland:  Russian population in decline, BOFIT Weekly, 01.03.24 

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann: 

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