Auch viele deutsche Institute erwarten rund 2 Prozent Wachstum in Russland

Am letzten Donnerstag veröffentlichte die russische Zentralbank ihre neue Umfrage bei Banken und Forschungsinstituten zur Konjunktur in Russland. Im Vergleich mit ihrer Umfrage von Mitte Juli stieg der Mittelwert der Prognosen für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft von 1,5 Prozent auf 2,2 Prozent. Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2022 um 2,1 Prozent wäre damit wettgemacht.

Eine fast ebenso starke Erholung der Produktion der russischen Wirtschaft erwarten auch vier der fünf führenden deutschen Konjunkturforschungsinstitute in ihren in der letzten Woche veröffentlichten „Herbstprognosen“ zur Entwicklung der deutschen Wirtschaft und der Weltwirtschaft. Das Berliner Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet hingegen damit, dass die russische Wirtschaft 2023 annähernd stagniert.

IfW, ifo, RWI und IWH prognostizieren für 2023 jetzt rund 2 Prozent Wachstum

Eine Gemeinsamkeit gibt es: Alle fünf führenden deutschen Konjunkturforschungsinstitute – das Kieler IfW, das Münchner ifo Institut, das Essener RWI, das Hallenser IWH und auch das Berliner DIW –  hoben ihre Mitte Juni veröffentlichten „Sommerprognosen“ für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft in ihren „Herbstprognosen“ stark an.

Drei Institute (IfW Kiel, ifo Institut München, RWI Essen), stimmen „punktgenau“ überein, dass Russlands reales Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr um 2,0 Prozent steigt. Das Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung Halle rechnet mit einem noch etwas stärkeren Wachstum von 2,1 Prozent.

Das Berliner Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung erwartet hingegen, dass die russische Wirtschaft 2023 nur um 0,2 Prozent wächst. Damit hebt es seine bisherige Prognose aber auch deutlich an. Im Juni hat das DIW noch mit einem weiteren Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts um 1,1 Prozent gerechnet. In einer Fußnote der Tabelle mit seinen neuen Prognosen merkt das DIW an: „Die für Russland prognostizierten Daten sind mit großen Unsicherheiten behaftet.“

DekaBank: Russlands Konjunktur ist „überhitzt“, das BIP steigt um 2,6 Prozent

Die Frankfurter DekaBank geht jetzt in ihren „Emerging Markets Trends“ von einem noch höheren Wachstum der russischen Wirtschaft als die Mehrheit der Institute aus. Die Bank hob am Freitag ihre Prognose für den Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts von 0,9 Prozent auf 2,6 Prozent an. Das ist sogar mehr, als die Teilnehmer der jüngsten Konjunkturumfrage der russischen Zentralbank im Mittelwert erwarten (+ 2,2 Prozent).

Die DekaBank meint wie viele andere Beobachter (siehe Izvestia.ru), die Konjunktur in Russland sei  „überhitzt“:

 

„Die Performance der russischen Wirtschaft hat auch im zweiten Quartal 2023 mit einem Plus von 4,9% erneut deutlich nach oben überrascht. Ein Teil davon ist sicherlich auf den Militärsektor zurückzuführen, der der Geheimhaltung unterliegt. Aber auch die zivilen Bereiche der Wirtschaft zeigen sich stark, wie der private Konsum, der von der deutlichen Verbesserung der Einkommenssituation und dem starken Arbeitsmarkt unterstützt wird.

Die Fiskalpolitik ist äußerst expansiv. De-facto überhitzt die russische Wirtschaft trotz und wegen des Angriffskrieges in der Ukraine. Die Zentralbank hat den Leitzins im August außerplanmäßig auf 12% angehoben, auch um den RUB-Wechselkurs zu verteidigen. Eine weitere Straffung ist wahrscheinlich, um die Wirtschaft etwas abzukühlen.

Doch ist es fraglich, inwieweit die Geldpolitik den Wechselkurs gegenüber den

westlichen Währungen überhaupt beeinflussen kann. Denn die Schwäche des russischen Rubels lässt sich in erster Linie durch die Handelsbilanz erklären: Die Importe

haben sich trotz Sanktionen nahezu auf das Vorkriegsniveau erholt, während die

Exporte noch rund 40% unter dem Vorjahresniveau liegen. Somit erscheint die Wiedereinführung von Devisenkontrollen durchaus denkbar.“

Im Vergleich mit dem am 05. September veröffentlichten Ergebnis der monatlichen Umfrage des in Barcelona ansässigen Research-Unternehmens FocusEconomics bei vorwiegend westlichen Banken und Forschungsinstituten erwarten die DekaBank und die deutschen Forschungsinstitute für Russland im laufenden Jahr 2023 ein relativ starkes Wirtschaftswachstum. Bei der monatlichen Umfrage, bei der FocusEconomics allerdings auch einige nur vierteljährlich aktualisierte Prognosen berücksichtigt, stieg die durchschnittliche Wachstumsprognose für Russlands Bruttoinlandsprodukt von 0,2 Prozent auf 1,0 Prozent.

Russische Analysten erwarten jetzt 2,2 Prozent Wachstum im Jahr 2023

Russische Banken und Forschungsinstitute erwarten im Mittelwert für 2023 ein gut doppelt so starkes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts wie die FocusEconomics-Umfrage. Bei der im Vorfeld ihrer am 15. September geplanten nächsten Leitzinsentscheidung Anfang September durchgeführten Umfrage der russischen Zentralbank stieg die Wachstumsprognose für 2023 von 1,5 auf 2,2 Prozent. An dieser Umfrage waren nur wenige ausländische Banken beteiligt.

Das Konjunkturforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften erhöhte seine Wachstumserwartung für 2023 in seiner vierteljährlich erscheinenden Konjunkturprognose am Freitag überdurchschnittlich stark von 1,0 auf 2,5 Prozent. Im nächsten Jahr rechnet es mit einem kaum schwächeren Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts um 2,3 Prozent. Anfang Juni hatte es nur einen Anstieg von 1,4 für 2024 prognostiziert.

 

BIP-Prognosen 2023 und 2024

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

 

Die Konjunktureinschätzung des Instituts der RAS dürfte weitgehend der Prognose der russischen Regierung entsprechen, die den laufenden Beratungen zur Haushaltsplanung zugrunde gelegt wird. Wirtschaftsminister Reschetnikow hat wiederholt mitgeteilt, dass die Wachstumsprognose der Regierung für 2023 vom April 2023 (+ 1,2 Prozent) auf über 2 Prozent erhöht wird (s. RBK.ru). Ein Wachstum von mehr als 2 Prozent im Jahr 2024 erwarten derzeit aber nur wenige Banken und Forschungsinstitute.

Ministerpräsident Mischustin meinte anlässlich der Haushaltsberatungen der Regierung in der letzten Woche, es sei erforderlich, die Risiken in der Weltwirtschaft zu berücksichtigen und nicht von zu optimistischen Prognosen auszugehen (s. RBK.ru). Die Haushaltsplanung der Regierung soll Ende September dem Parlament vorgelegt werden.

2024 rechnen fast alle Beobachter mit einem deutlich schwächeren Wachstum

Laut der jüngsten Zentralbank-Umfrage, die mit zahlreichen Abbildungen illustriert ist, wird das Wachstum der russischen Wirtschaft 2024 von 2,2 Prozent auf 1,5 Prozent abflauen.

Mit Ausnahme des DIW erwarten auch die deutschen Konjunkturforschungsinstitute 2024 ein deutlich schwächeres Wachstum der russischen Wirtschaft als 2023. Das IWH und das ifo Institut prognostizieren, dass die russische Wirtschaft 2024 nur noch um 1,3 Prozent wächst. Das RWI erwartet, dass sich das Wachstum von 2,0 Prozent auf 1,0 Prozent halbiert und das Kieler Institut rechnet sogar mit einem Einbruch des Wachstumstempos  auf 0,5 Prozent.

IfW: Nach der Erholung wächst Russlands Wirtschaft nur noch um 0,5 Prozent

Seine bisherige Wachstumsprognose für 2023 verdoppelte das IfW Kiel zwar von 1,0 auf 2,0 Prozent. Auch das IfW verweist darauf, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2023 um 4,9 Prozent höher war als ein Jahr zuvor, als es im Gefolge des Beginns der Kriegshandlungen gegen die Ukraine zu einem Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität kam.

Gleichzeitig bleibt das Kieler Institut aber bei seiner Prognose, dass Russlands reales Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2024 nur noch um 0,5 Prozent wachsen wird. 2025 werde das Wachstum ähnlich schwach sein (+ 0,4 Prozent). Dazu meint das IfW:

„Die Aussichten für Russland sind naturgemäß unsicher. Die Belastungen durch den Krieg werden mehr und mehr im Staatshaushalt und in der Leistungsbilanz sichtbar; eine nachhaltige wirtschaftliche Expansion erscheint unter diesen Bedingungen kaum realistisch.“

RWI Essen: Russlands BIP-Wachstum halbiert sich 2024 auf 1 Prozent

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen hatte im Juni für 2023 noch eine weitere Rezession um 2,0 Prozent erwartet. Jetzt rechnet das RWI Essen – wie das Kieler Institut – in diesem Jahr mit einem Wachstum von 2,0 Prozent.

2024 werde sich der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts aber auf 1 Prozent abschwächen. Dazu verweist das RWI darauf, dass die Ölpreise leicht zurückgehen dürften. 2023 würden Russlands Ölexporte die Konjunktur noch stützen:

„In Russland stützten die Einnahmen aus Ölexporten die Staatsausgaben für die Militärindustrie und die Investitionen. Dies führte zusammen mit einem kräftigen Anstieg der Kreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen zu einer starken Expansion der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal. In den kommenden Jahren dürften die Ölpreise aber wieder leicht zurückgehen.“

IfW Kiel: Russlands Inflationsrate zieht 2024 auf 8 Prozent an

Zur Preisentwicklung merkt das Kieler Institut an, dass in Russland im Sommer sehr deutliche Zinserhöhungen vorgenommen wurden, um den Wechselkurs zu stabilisieren und eine wieder anziehende Inflation zu bremsen. Es prognostiziert, dass die russischen Verbraucherpreise nach einem Anstieg um 13,8 Prozent im letzten Jahr im Jahresdurchschnitt 2023 etwa halb so stark um 7,0 Prozent steigen.

Im nächsten Jahr erwartet das IfW Kiel jedoch keinen weiteren Rückgang der Inflationsrate, sondern eine Beschleunigung des Anstiegs der Verbraucherpreise auf 8,0 Prozent. Erst im Jahresdurchschnitt 2025 werde die Inflationsrate auf 5,0 Prozent sinken.

Die Mehrheit der westlichen Analysten erwartet 2024 aber weniger Inflation

Das RWI Essen rechnet – wie die große Mehrheit der westlichen Beobachter – mit einer deutlich günstigeren Entwicklung der Verbraucherpreise als das IfW Kiel. 2023 erwartet das RWI nicht nur einen Rückgang der jährlichen Inflationsrate auf 7,0 Prozent wie das IfW Kiel, sondern auf 6,0 Prozent. Vor allem geht das Essener Institut im nächsten Jahr nicht von einem erneuten Anziehen der Inflation aus. Es rechnet im Gegenteil mit einem weiteren deutlichen Rückgang der Preissteigerungsrate auf 4,7 Prozent.

Einen etwas schwächeren Rückgang der Inflation signalisiert die jüngste Focus Economics-Umfrage (an der nur wenige russische Analysten beteiligt waren). Danach wird die Inflationsrate in Russland im Jahresdurchschnitt von 5,7 Prozent im Jahr 2023 auf 5,2 Prozent im Jahr 2024 sinken.

Zentralbank-Umfrage: Die Inflation beschleunigt sich 2024 etwas

Mit einem weiteren Rückgang der russischen Inflationsrate im Jahresdurchschnitt 2024 war auch bei der Zentralbank-Umfrage im Juli noch gerechnet worden. Damals erwarteten die Teilnehmer, dass sich der Anstieg der Verbraucherpreise von 5,5 Prozent im Jahr 2023 auf 5,0 Prozent im Jahr 2024 abschwächt (siehe zweite Zeile der folgenden Tabelle,  Ergebnisse der Juli-Umfrage in Klammern).

In der aktuellen Umfrage der Zentralbank von Anfang September rechnen die Teilnehmer jedoch mit einer leichten Beschleunigung des Preisanstiegs von 5,6 Prozent im Jahr 2023 auf 5,9 Prozent im Jahr 2024. Dazu dürfte beigetragen haben, dass die Analysten jetzt eine stärkere Abwertung des Rubels erwarten (siehe vorletzte Zeile), die den Anstieg der Importpreise verschärft.


* In parentheses are the results of the July 2023 survey.

** The results are the median forecasts based on survey participants’ responses on the nominal wages and average for the year CPI.

Survey Dates: 1 — 5 September, 2023.

Calculation methodology: The survey results are the median of the 27 forecasts of economists from various organizations taking part in the survey.

 

Russische Zentralbank: Macroeconomic survey of the CBR, 07.09.2023

 

Im Vergleich zum Vorjahresmonat zieht die Inflationsrate weiter an

 

Im August 2023 beschleunigte sich der jährliche Anstieg der Verbraucherpreise laut Rosstat auf 5,2 Prozent.

 

Verbraucherpreisindex,
Anstieg gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent

Trading Economics: Russia Inflation Rate Picks Up More than Expected, 08.09.23

 

Im Dezember 2023 ist laut der Zentralbankumfrage eine jährliche Inflationsrate von 6,3 Prozent zu erwarten (siehe obige Tabelle, erste Zeile). Im Dezember 2024 dürfte die jährliche Inflationsrate laut der Umfrage nur noch 4,5 Prozent erreichen. Im Dezember 2025 wird laut der Umfrage das von der Zentralbank angestrebte Inflationsziel von 4,0 Prozent erreicht sein.

Marina Voitenko sieht Zeichen für eine Abschwächung des Wachstums 

Auf der Grundlage einer detaillierten Analyse der Konjunkturdaten im Juli und der Unternehmensbefragungen im August sieht Marina Voitenko, Wirtschaftsanalystin der Internet-Seite für politische Kommentare Politcom.ru, die russische Wirtschaft jetzt an einem “Meilenstein”: Die Phase der “Überhitzung” werde durch eine “stabilere Entwicklung” abgelöst, bei der es aber auch Zeichen für eine Abschwächung des Wachstums gebe.

Die Straffung der Geldpolitik habe bereits stattgefunden. Sie werde die Zinslasten für Staat und Unternehmen erhöhen. Die Zentralbank, so Voitenko, betrachte es als gleich wahrscheinlich, bei der nächsten Leitzinsentscheidung am 15. September die Zinsen weiter zu erhöhen oder bei 12 Prozent zu lassen. Verbunden mit der Annäherung an die natürlichen Grenzen der Verfügbarkeit von Arbeitskräften, bedeute diese Aussicht, dass der private Verbrauch und die privaten Investitionen unter Druck geraten. Ihr Wachstum dürfte ab August sinken.

 

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Russland: Konjunktur im Juli stärkt die Wachstumsprognosen für 2023, 04.09.23

Stagniert Russlands Wirtschaft nach der Erholung der Produktion jetzt? 28.08.23

Bleiben Russlands Exporterlöse und der Rubel-Kurs so niedrig? 21.08.23

Russlands Export sinkt, der Rubel wertet ab, die Inflation zieht an, 14.08.23

 

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

 

 

 

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