Russische Wirtschaft: Rasche Erholung der Produktion

Die Arbeitslosenquote sinkt, die Einkommen lösen sich aus dem Tief

Nach der Ausbreitung der Corona-Pandemie in Russland wurde im letzten Frühjahr oft gerätselt: wie schnell würde sich die russische Wirtschaft von dem abrupten Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Lockdown erholen? Viele zweifelten, dass die Produktion schnell wieder steigen werde. Dieser Artikel bietet Informationen zur Erholung der Produktion in wichtigen Branchen. Steigen mit ihr auch die Löhne und Einkommen? Hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbessert?

VEB Institut: Die rasche Erholung des BIP setzte sich im Februar fort

Am Freitag veröffentlichte das Forschungsinstitut der staatlichen Entwicklungsbank VEB eine erste Schätzung, wie sich das Bruttoinlandsprodukt im Februar entwickelt hat. Nach seinen Berechnungen stieg der Index der gesamtwirtschaftlichen Produktion gegenüber Januar 2021 um 1,3 Prozent. Im Januar hatte der Index auf dem Dezember-Niveau stagniert. Die folgende Abbildung des VEB-Instituts zeigt, dass der Verlauf der Erholung der gesamtwirtschaftlichen Produktion bisher weitgehend einem V ähnelt.

Index des Bruttoinlandsprodukts (Jan. 2014=100)

VEB Institute:World Economy and Markets Review“; Seite 4; 26.03.2021

Auch die russische Wirtschaft hat aber noch „Aufholbedarf“. Das BIP war im Februar 2021 laut VEB-Institut noch 2,6 Prozent niedriger als vor einem Jahr. Das VEB-Institut merkt dazu an, der Februar habe im Schaltjahr 2020 einen Tag mehr als in diesem Jahr gehabt.

Russlands Wirtschaftsministerium hatte zuvor in seinem monatlichen Konjunkturbericht „Bild der Wirtschaft“ den Rückgang des BIP im Februar im Vorjahresvergleich noch etwas höher auf 2,8 Prozent veranschlagt.

Wie weit haben sich wichtige Branchen erholt?

Eine Abbildung aus dem Wochenbericht „Global Economic News“ der Research-Abteilung der Sberbank mit saisonbereinigten Daten zeigt, wie weit wichtige Wirtschaftsbereiche im Erholungsprozess vorangekommen sind.

Besonders rasch erholt haben sich weite Teile der Industrie. Bereits seit dem Sommer 2020 ist die Produktion im „Verarbeitenden Gewerbe“ (hellgrüne Linie) höher als vor dem Lockdown im Februar 2020. Die Produktion im Industrie-Bereich „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“ (graue Linie) unterschritt im Februar 2021 wegen der im Rahmen der OPEC+ vereinbarten Förderbeschränkungen ihren Vorjahresstand hingegen noch deutlich.

Der reale Einzelhandelsumsatz (dunkelblaue Linie), der im Lockdown viel stärker gesunken war als die Industrieproduktion, hat im Januar/Februar fast wieder sein Vorjahresniveau erreicht.

Der reale Dienstleistungsumsatz (orange Linie), der vor einem Jahr besonders tief eingebrochen war, ist zwar in den Wintermonaten 2020/2021 stark gestiegen. Er war im Februar 2021 aber noch deutlich niedriger als vor einem Jahr.

Produktionsentwicklung der Branchen „Bergbau/Förderung von Rohstoffen“, „Verarbeitendes Gewerbe“, Einzelhandel und private Dienstleistungen

(Index, Januar 2020=100; saisonbereinigt)

Die Dienstleistungen holten zuletzt stark auf

Das VEB-Institut berichtet auch, wie sich die Produktion wichtiger Branchen im Februar 2021 gegenüber Januar 2021 entwickelt hat. Impulse für das Wachstum des BIP um 1,3 Prozent gegenüber Januar kamen auch von der Nachfrage der Verbraucher nach Waren des Einzelhandels und nach Dienstleistungen:

  • Der reale Einzelhandelsumsatz (schwarze Linie in der folgenden Abbildung) war im Februar laut VEB-Institut 0,8 Prozent höher als im Januar. Er war nur noch 1,3 Prozent niedriger als vor einem Jahr.
  • Der reale Umsatz der Dienstleistungsunternehmen (grüne Linie) nahm sogar um 3,3 Prozent gegenüber dem Vormonat zu. Er war im Februar aber noch 6,0 Prozent niedriger als im Februar 2020.

Reallöhne, realer Einzelhandelsumsatz und realer Dienstleistungsumsatz (2014=100)

VEB Institute:World Economy and Markets Review“; Seite 4; 26.03.2021

Die Reallöhne stiegen 2020 um 2,5 Prozent…

Die obige Abbildung des VEB-Instituts informiert auch über die Entwicklung der Reallöhne, für die bisher nur Januar-Daten vorliegen (graue Linie). Gegenüber Dezember 2020, als es kräftige Lohnerhöhungen gab, sanken die Reallöhne im Januar zwar um 3,5 Prozent. Sie waren aber 0,1 Prozent höher als vor einem Jahr. Im Jahresvergleich 2020/2019 sind die Reallöhne um 2,5 Prozent gestiegen.

Diese Angaben zur Entwicklung der Reallöhne basieren jedoch hauptsächlich auf Daten zur Lohnentwicklung in großen und mittleren Unternehmen, die vom Lockdown weniger stark betroffen waren als kleinere Unternehmen. Darauf weist das Forschungsinstitut „Economic Expert Group“ in seinem Monatsbericht hin.

… die real verfügbaren Einkommen sanken um 3,5 Prozent

Viel aussagefähiger für die Entwicklung der Kaufkraft der Verbraucher ist die Entwicklung des real verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte. Darüber berichtet Rosstat vierteljährlich. Anders als die Reallöhne ist das real verfügbare Einkommen im Durchschnitt des letzten Jahres gegenüber 2019 nicht um 2,5 Prozent gestiegen, sondern um 3,5 Prozent gesunken.

Das „Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognosen“ (CMASF) veröffentlichte dazu in seinem Monatsbericht „Trends of the Russian Economy“ folgende Abbildung. Sie zeigt neben der unbereinigten Entwicklung (hellblaue Linie) auch die saisonbereinigte vierteljährliche Entwicklung der real verfügbaren Einkommen (Basisjahr 2013= 100).

Real verfügbares Einkommen der Bevölkerung (2013=100)

Center for Macroeconomic Analysis And Short term Forecasting, CMASF:
Trends of the Russian Economy, Seite 13; 25.03.2021;

Saisonbereinigt ist das real verfügbare Einkommen (dunkelblaue Linie) im Lockdown im zweiten Quartal 2020 gegenüber dem Ende 2019 erreichten Stand um rund 5 Prozent zurückgefallen. Im zweiten Quartal 2020 erreichte es einen langjährigen Tiefpunkt. Im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 2013 war es rund 12 Prozent niedriger.

Im dritten und vierten Quartal 2021 erholte es sich aber etwas. Saisonbereinigt stieg es gegenüber dem Vorquartal um jeweils gut 1 Prozent. Im Ergebnis war es im vierten Quartal 2020 aber noch rund 3 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor im vierten Quartal 2019.

Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen besonders stark gesunken

Die Moskauer „Higher School of Economics“ hat Anfang März in einer Studie unter anderem analysiert, welche Einkommensarten im Jahresvergleich 2020/2019 überdurchschnittlich stark gesunken sind. Während die real verfügbaren Einkommen insgesamt um 3,5 Prozent niedriger waren, fielen die Einkommen aus Unternehmertätigkeit um 15,4 Prozent und die Einkommen aus Vermögen um 18,0 Prozent. Die Einkommen aus abhängiger Beschäftigung sanken hingegen nur um 1,0 Prozent. Die Einkommen aus Sozialleistungen stiegen 2020 um 7,6 Prozent.

Arbeitslosenquote in der Corona-Krise stark gestiegen

Auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich durch den Lockdown im Jahr 2020 deutlich verschlechtert. CMASF veröffentlichte zur Entwicklung der Arbeitslosenquote folgende Abbildung mit unbereinigten Daten (dunklere Linie) und saisonbereinigten Daten (hellere Linie). Die Unterschiede sind aber gering.

Arbeitslosenquote
in Prozent der Arbeitskräfte im Alter von 15 und mehr Jahren

Center for Macroeconomic Analysis And Short term Forecasting, CMASF:
Trends of the Russian Economy, Seite 11; 25.03.2021;

Die Arbeitslosenquote war im August 2019 noch auf ein historisches Tief gesunken (4,4 Prozent). Mit dem Lockdown im Frühjahr 2020 stieg sie schlagartig (auch weil eine Registrierung als arbeitslos Voraussetzung für die Gewährung von staatlichen Hilfen ist). Im August 2020 war die Arbeitslosenquote mit 6,4 Prozent 2 Prozentpunkte höher als ein Jahr zuvor. Die rasche Erholung der Produktion zeigt sich aber auch auf dem Arbeitsmarkt. Seit August sinkt die Arbeitslosenquote stetig. Im Februar 2021 betrug sie noch 5,7 Prozent.

Ein Signal für die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt ist auch die sehr stark schwankende Zahl der als arbeitslos registrierten Personen. Anfang April 2020 waren nur 0,8 Millionen als arbeitslos gemeldet. Bis Ende September 2020 stieg ihre Zahl auf 3,7 Millionen. Im Dezember 2020 sank die Zahl auf 2,7 Millionen. Mitte März 2021 waren es noch 1,9 Millionen.

Natalia Orlova, Chef-Volkswirtin der Alfa Bank, nennt als Gründe für den Rückgang der Zahl der als arbeitslos Gemeldeten seit September zum einen die Ausreise ausländischer Arbeitskräfte. Außerdem würden staatliche Leistungen für arbeitslos Gemeldete allmählich eingeschränkt. Deswegen lassen sich wieder weniger Personen als arbeitslos registrieren.

Orlova erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 2021 6 Prozent höher sein dürfte als im Vorjahresquartal, als der Lockdown angeordnet wurde.

Titelbild
Titelbild: Unsplash.com

Lesetipps und Quellen:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Wöchentliche Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland

Vnesheconombank Institute:World Economy and Markets Review“ mit Russland-Themen:

Marina Voitenko; politcom.ru: Wirtschaftspolitischer Wochenrückblick; meist donnerstags

Sberbank: Wochenbericht „Global Economic News“ mit folgenden Russland-Themen:

BOFIT (Bank of Finland): BOFIT Weekly (Russland und China im wöchentlichen Wechsel; donnerstags finnische; freitags englische Ausgabe); BOFIT Russia Statistics

Higher School of Economics: Comments on state and business

Konjunkturprognosen für Russland; Frühjahr 2021

Sonstige periodische Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik

Konjunkturberichte von Wirtschaftsministerium und Rosstat für Februar 2021

Der Verbraucherpreisanstieg beschleunigte sich im Februar auf 5,7 Prozent

Zentralbank-Veröffentlichungen zu Konjunktur- und Preisentwicklung

Weitere Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland

Politik in Russland; deutsch-russische Beziehungen

Deutsch-russische Wirtschaftsbeziehungen

Nord Stream 2