Wie kommt die russische Wirtschaft aus der Corona-Krise?

„Historische“ Rückgänge des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal

Die Produktionseinschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ließen das Bruttoinlandsprodukt in Russland und in Deutschland im zweiten Quartal etwa gleich stark sinken. Das gilt für den Vergleich der gesamtwirtschaftlichen Produktion im zweiten Quartal 2020 mit der Produktion im zweiten Quartal 2019, aber auch für den saisonbereinigten Vergleich mit der Produktion im ersten Quartal 2020.

Am Donnerstag meldete das Statistische Bundesamt, dass das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im zweiten Quartal 11,7 Prozent niedriger war als vor einem Jahr im zweiten Quartal 2019. Das Statistische Bundesamt sprach von einem „historischen“ Rückgang. Den bisher stärksten Rückgang gegenüber einem Vorjahresquartal hatte es im zweiten Vierteljahr 2009 während der Welt-Finanzkrise mit minus 7,9 Prozent gegeben.

Der Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Produktion in Deutschland in der Corona-Krise war damit voraussichtlich noch etwas stärker als der Rückgang in Russland, wo das Bruttoinlandsprodukt nach Schätzungen der Zentralbank im zweiten Quartal 9 bis 10 Prozent niedriger war als im Vorjahresquartal.

Das Forschungsinstitut der Vnesheconombank veranschlagt den Rückgang im Vergleich zum Vorjahresquartal etwas höher als die Zentralbank auf 11,0 Prozent. Auch im Vergleich zum ersten Quartal 2020 ist Russlands BIP nach den Berechnungen des VEB-Instituts im zweiten Quartal 2020 um 11,0 Prozent gesunken.

In Deutschland verringerte sich das Bruttoinlandsprodukt laut den ersten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal etwas weniger um 10,1 Prozent. Das war der stärkste Rückgang seit Beginn der vierteljährlichen BIP-Berechnungen für Deutschland im Jahr 1970.

Russlands Einzelhandel und die Dienstleistungen wachsen wieder

Besonders stark gesunken ist in Russland im zweiten Quartal der reale Umsatz im  Dienstleistungsbereich und im Einzelhandel. In diesen Wirtschaftszweigen hat jedoch bereits im Verlauf des zweiten Quartals eine Erholung begonnen (Ostexperte.de berichtete vor einer Woche). Der reale Einzelhandelsumsatz steigt saisonbereinigt gegenüber dem Vormonat seit Mai. Der Umsatz bei den Dienstleistungen zieht seit Juni gegenüber dem Vormonat an.

Nach ersten Berechnungen des Forschungsinstituts der Vnesheconombank ist auch Russlands Bruttoinlandsprodukt bereits im Mai saisonbereinigt um 0,9 Prozent gegenüber April gestiegen. Im Juni war es 4,5 Prozent höher als im Mai.

Im Mittelpunkt des folgenden Beitrags steht die Entwicklung in der Industrie, deren Produktion auch im Juni insgesamt weiter gesunken ist.

Zentralbank nennt Zeichen für eine Erholung der Produktion

Die russische Zentralbank rückt in der Presseerklärung zu ihrem Konjunkturbericht für Juni, der am Freitag auch in englischer Übersetzung erschien, zunächst die Zeichen für den Beginn einer Erholung der Wirtschaft in den Vordergrund.

  • Die Nachfrage der Verbraucher hat sich deutlich belebt. Der Einzelhandelsumsatz ist im Lebensmittelbereich, aber auch in anderen Bereichen gestiegen.
  • Das Wachstum der Produktion in der Landwirtschaft hat sich fortgesetzt.
  • Auch die Bauproduktion erholt sich.

Laut Zentralbank ist der reale Einzelhandelsumsatz im Juni saisonbereinigt gegenüber Mai insgesamt um 14,9 Prozent gestiegen. Im Mai war er bereits um 5,3 Prozent gegenüber April gewachsen.

Es ist aber noch sehr viel aufzuholen

Der reale Einzelhandelsumsatz war im Juni nach dem starken Einbruch im April aber noch 7,7 Prozent niedriger als vor einem Jahr. Der reale Dienstleistungsumsatz unterschritt im Juni das im Juni 2019 erreichte Niveau sogar noch um 34,5 Prozent.

Die Bauproduktion erreichte hingegen zuletzt fast das Niveau des Vorjahresmonats (minus 0,1 Prozent). Die Produktion der Landwirtschaft war im Juni sogar 3 Prozent höher als vor einem Jahr. Das zeigt im Monatsbericht der Zentralbank eine Tabelle zur Entwicklung der Produktion der Wirtschaftsbereiche im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Die Industrieproduktion ist im Juni insgesamt weiter gesunken

Zur Produktion in der Industrie meint die Zentralbank in ihrer Presseerklärung, ihr Rückgang habe sich im Juni verlangsamt. Damit stellt sie wohl auf die saisonbereinigte Entwicklung ab.

Dazu veröffentlichte die Zentralbank die folgende Abbildung, die die saisonbereinigte Entwicklung seit Dezember 2015 zeigt. Bereits seit dem Herbst 2019 ging die Industrieproduktion insgesamt im Trend zurück (rote Linie). Mit der Schließung vieler Betriebe zur Bekämpfung der Corona-Pandemie brach die Industrieproduktion im April und Mai tief ein. Im Juni nahm die Produktion der Industrie im Vergleich zum Mai saisonbereinigt weiter ab. Ihr Rückgang war aber schwächer als im Mai.

Industrieproduktion; saisonbereinigt
Veränderung in Prozent gegenüber Dezember 2015

Zentralbank: Economy: facts, assessments and comments; Page 3, 31.07.2020

Das Verarbeitende Gewerbe hielt sich besser als der Rohstoff-Bereich

Gedrückt wurde die Gesamtentwicklung der Industrieproduktion insbesondere durch den überdurchschnittlich starken Rückgang der Produktion im Bereich „Bergbau und Förderung von Rohstoffen“ (blaue Linie). Hier unterschritt die Produktion zuletzt sogar das Niveau von Ende 2015 um rund 5 Prozent.

Die Produktion des „Verarbeitenden Gewerbes“ (gelbe Linie) entwickelte sich hingegen günstiger als die gesamte Industrieproduktion. Im „Verarbeitenden Gewerbe“ wurde im Juni 2020 rund 7 Prozent mehr produziert als Ende 2015.

Die Abbildung zeigt, dass die gesamte Industrieproduktion zuletzt saisonbereinigt um fast vier Jahre auf den Stand vom September 2016 zurückgefallen ist. Damit war sie nur noch rund 2 Prozent höher als Ende 2015.

Kalenderbereinigt produzierte die Industrie im Juni sogar 10,4 Prozent weniger

In der folgenden Abbildung stellt die Zentralbank die Veränderungsraten der Industrieproduktion im Vergleich zum jeweiligen Monat des Vorjahres dar. Die rote Linie zeigt die Veränderung ohne Bereinigung. Der Rückgang war im Juni etwas schwächer (- 9,4 Prozent) als im Mai (- 9,6 Prozent). Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Zahl der Arbeitstage hat sich der Rückgang der Industrieproduktion jedoch kalenderbereinigt von 9,1 Prozent im Mai auf 10,4 Prozent im Juni erhöht (gepunktete Linie).

Gedrückt wurde die Gesamtentwicklung der Industrieproduktion insbesondere durch den überdurchschnittlich starken Rückgang der Produktion im Bereich „Bergbau und Förderung von Rohstoffen“ (blaue Linie). Hier unterschritt die Produktion zuletzt sogar das Niveau von Ende 2015 um rund 5 Prozent.

Die Produktion des „Verarbeitenden Gewerbes“ (gelbe Linie) entwickelte sich hingegen günstiger als die gesamte Industrieproduktion. Im „Verarbeitenden Gewerbe“ wurde im Juni 2020 rund 7 Prozent mehr produziert als Ende 2015.

Die Abbildung zeigt, dass die gesamte Industrieproduktion zuletzt saisonbereinigt um fast vier Jahre auf den Stand vom September 2016 zurückgefallen ist. Damit war sie nur noch rund 2 Prozent höher als Ende 2015.

Kalenderbereinigt produzierte die Industrie im Juni sogar 10,4 Prozent weniger

In der folgenden Abbildung stellt die Zentralbank die Veränderungsraten der Industrieproduktion im Vergleich zum jeweiligen Monat des Vorjahres dar. Die rote Linie zeigt die Veränderung ohne Bereinigung. Der Rückgang war im Juni etwas schwächer (- 9,4 Prozent) als im Mai (- 9,6 Prozent). Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Zahl der Arbeitstage hat sich der Rückgang der Industrieproduktion jedoch kalenderbereinigt von 9,1 Prozent im Mai auf 10,4 Prozent im Juni erhöht (gepunktete Linie).

Industrieproduktion;
unbereinigte und kalenderbereinigte Veränderung zum Vorjahr in Prozent;
Beiträge der Industriebereiche zur Veränderung gegenüber dem Vorjahresmonat

Zentralbank: Economy: facts, assessments and comments; Page 4, 31.07.2020

Die Abbildung zeigt außerdem die Beiträge der Bereiche der Industrieproduktion zu der Veränderung der gesamten Industrieproduktion in Prozentpunkten. Erkennbar ist, dass der Beitrag des Bereichs „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ (blauer Säulenteil) zum Rückgang der Industrieproduktion in den beiden letzten Monaten (Mai und Juni) deutlich gestiegen ist. Er war im Mai und Juni höher als der Beitrag des „Verarbeitenden Gewerbes“ (orange Säulenteil).

Die Rohstoff-Förderung fiel überdurchschnittlich stark

Das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, BOFIT, veröffentlichte am Freitag eine Abbildung, die nicht nur die unbereinigten Veränderungen der gesamten Industrieproduktion gegenüber dem Vorjahresmonat zeigt. Sie ermöglicht auch einen Vergleich der Veränderungen der Produktion in den Bereichen „Verarbeitendes Gewerbe“ und „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“.

Insgesamt war der Rückgang der Industrieproduktion im Juni 2020 gegenüber dem Vorjahresmonat mit 9,4 Prozent fast so stark wie im Mai 2020 (graue Säulen). Auffällig ist auch beim Vergleich gegenüber dem Vorjahresmonat die unterschiedliche Entwicklung des „Verarbeitenden Gewerbes“ und des Bereichs „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“. Während sich der Rückgang der Produktion des „Verarbeitenden Gewerbes“ von 7,2 Prozent im Mai auf 6,4 Prozent im Juni abschwächte (rote Linie), verschärfte sich der Rückgang im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ von 13,5 Prozent auf 14,2 Prozent (schwarze Linie).

„Verarbeitendes Gewerbe“ im Mai und Juni auf dem Erholungspfad
Manufacturing output on recovery path in May and June

BOFIT, Bank of Finland: Russian manufacturing on the road to recovery, while extractive industries remain in a deep slump; 31.07.2020

BOFIT merkt dazu an: An der Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ haben die Förderung von Rohöl und Erdgas und damit verbundene Aktivitäten einen Anteil von zusammen 75 bis 80 Prozent. Der Rohölbereich stellt allein gut die Hälfte der Produktion.

Wie bereits im Mai war Russlands Ölförderung laut BOFIT im Juni über 15 Prozent niedriger als vor einem Jahr. Ursache dafür waren die Vereinbarungen über Produktionskürzungen im Rahmen der OPEC+ und der Rückgang der Nachfrage nach Öl. Die Förderung von Erdgas und Kohle sind ebenfalls deutlich gesunken.

Anlageinvestitionen im zweiten Quartal rund 13 Prozent niedriger

Die Zentralbank veröffentlichte in ihrem Konjunkturbericht für Juni unter anderem auch eine erste Schätzung für die Entwicklung der Investitionen im zweiten Quartal. Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklungen von Indikatoren, aus denen die Zentralbank schließt, dass die Anlageinvestitionen in Russland im zweiten Quartal rund 13 Prozent niedriger waren als vor einem Jahr (rote Linie mit rotem Punkt für den Quartalswert in der folgenden Abbildung).

Zentralbank: Economy: facts, assessments and comments; Page 7, 31.07.2020

Zur Schätzung der Entwicklung der Anlaginvestitionen verwendet die Zentralbank folgende Indikatoren:

  • Die Produktion von Investitionsgütern war im zweiten Quartal rund 20 Prozent niedriger als vor einem Jahr (gelbe Linie, linke Skala).
  • Der Import von Maschinen und Ausrüstungen aus dem „fernen Ausland“ (Ländern außerhalb der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“) unterschritt das Vorjahresniveau gleichzeitig um rund 20 Prozent (blaue Linie, rechte Skala).
  • Der Bahntransport von Baumaterialien fiel im zweiten Quartal etwa auf das Vorjahresniveau zurück (grüne Linie, linke Skala).

In ihrer am 24 Juli aktualisierten mittelfristigen Prognose erwartet die Zentralbank, dass die Anlageinvestitionen im gesamten Jahr 2020 das Vorjahresniveau um 5,7 bis 7,7 Prozent unterschreiten werden (siehe Ostexperte.de-Bericht).

Das Forschungsinstitut der Vnesheconombank rechnet hingegen in seiner gleichzeitig veröffentlichten Prognose mit einem stärkeren Rückgang der Investitionen um 10,6 Prozent, obwohl das Institut mit seiner Prognose für den diesjährigen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 4,5 Prozent am unteren Rand der neuen Prognose-Spanne der Zentralbank bleibt (- 4,5 Prozent bis -5,5 Prozent).

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Titelbild: Unsplash.com
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Quellen und Lesetipps:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Zentralbank Berichte und Prognosen

Russlands Industrieproduktion im Juni 2020

Periodisch erscheinende Konjunkturberichte (monatlich, vierteljährlich, halbjährlich)

Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland