Schaeffler: „Neue Seidenstraße ist eine Chance für Deutschland“

Schaeffler: „Neue Seidenstraße ist eine große Chance für deutsche Unternehmen“

Rainer Lindner ist Präsident der Subregion Mittel- & Osteuropa und Mittlerer Osten & Afrika bei Schaeffler. Im Ostexperte.de-Interview spricht er über das Russlandgeschäft des deutschen Konzerns, das Potential der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU), die Chancen auf der Neuen Seidenstraße sowie die geplante Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Moskau und Kasan.

Zur Person
Prof. Dr. Rainer Lindner ist Präsident der Subregion Mittel- & Osteuropa und Mittlerer Osten & Afrika bei Schaeffler. Er ist apl. Professor an der Universität Konstanz, Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Forums (DUF), Vorsitzender der Deutsch-Belarussischen Gesellschaft (dbg) sowie Mitglied im Kuratorium des deutsch-russischen Forums. 2008 bis 2015 war er Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft.

Herr Prof. Dr. Lindner, welche Position bekleiden Sie bei Schaeffler und welche Bereiche fallen unter Ihre Verantwortung?

Ich bin Präsident der Subregion Mittel- & Osteuropa und Mittlerer Osten & Afrika bei Schaeffler. Und damit zuständig für 102 Länder – von der Türkei bis in die Mongolei, von Kasachstan nach Südafrika. Zur Subregion zählt auch Russland. Zu Schaeffler bin ich Anfang 2016 gewechselt. Zuvor war ich Geschäftsführer beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft.

Welches sind derzeit die wichtigsten Geschäftsbereiche für Schaeffler in Russland? Wo sehen Sie das größte Wachstumspotential?

Der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler steht auf drei Standbeinen. Wir liefern Komponenten und Systeme an Automobilkonzerne, bedienen den Automobil-Ersatzteilemarkt und stellen Lager sowie intelligente Anwendungen für Industrieanwendungen her. Mit allen drei Divisionen sind wir in Russland vertreten. Wachstumschancen ergeben sich vor allem im Automotive-Bereich. Der ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen, aber seit gut einem Jahr entwickeln sich die Verkäufe wieder positiv. Das spüren wir. Wenn der Fuhrpark wächst, wachsen auch unsere Chancen auf dem Ersatzteilemarkt. In beiden Automotiv-Divisionen sind die Chancen also gut. Im Bereich Industrie sind wir in zahlreichen Sektoren aktiv. Aber ein gutes Potenzial bietet der russische Windmarkt. Momentan gibt es nur einen einzigen Windpark in Uljanowsk mit 35 MW. In den kommenden fünf Jahren sollen neue Anlagen mit einer Kapazität von 3,6 GW zusätzlich installiert werden.

Ab 2014 ist der russische Automobilmarkt eingebrochen, erst seit Anfang 2017 geht es wieder leicht aufwärts. Wie stark hat das Russlandgeschäft von Schaeffler unter der Krise gelitten?

Wir haben unser Werk in Uljanowsk 2014 eröffnet. Mitten in der Krise. Deswegen haben die Umsätze dort nicht sofort die gewünschten Volumen erreicht. Aber wie gesagt: Jetzt erholt sich der Markt. Wir holen auf.

Apropos Uljanowsk: Was genau produziert Schaeffler dort? Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie? Wie hoch ist der Lokalisierungsgrad?

Eins nach dem anderen. In Uljanowsk produzieren wir Kupplungen und Schaltsysteme für die Automobilindustrie. Außerdem bereiten wir Industrielager auf. Zum Beispiel für russische Züge und Stahlkonzerne. Insgesamt beschäftigen wir 110 Mitarbeiter im Werk. Der Lokalisierungsgrad ist von Linie zu Linie unterschiedlich. Aber insgesamt liegen wir knapp unter 40%.

Welche Branchen und Unternehmen zählen in Russland zu Ihren wichtigsten Abnehmern?

Unser größter Automobilkunde in Russland ist Avtovaz. Der russische Schnellzug Sapsan läuft auf unseren Radsatzlagern. Aber wir beliefern auch Stahlkonzerne, Bergbauunternehmen, LKW- und Traktorenproduzenten, Papierhersteller sowie Öl- und Gaskonzerne. Und wie gesagt: In Zukunft hoffen wir auf Neugeschäft im gerade erst entstehenden Windmarkt.

Wie hoch schätzen Sie das Potential der EAWU ein? Welche Rolle spielt sie für Ihr Unternehmen?

Wir haben einige Vorteile, weil wir von unserem Lager bei Moskau jetzt die Märkte Kasachstan und Belarus beliefern können. Und die offenen Zollgrenzen könnten uns künftig für unser Werk in Uljanowsk nutzen. Aber ich würde die EAWU auch nicht überbewerten. Russland ist da der dominierende Partner und es gibt immer wieder Differenzen unter den EAWU-Mitgliedern.

Sehen Sie Chinas neue Seidenstraße eher als Gefahr oder als Chance für deutsche und europäische Unternehmen?

Da habe ich eine ganz klare Meinung. Die neue Seidenstraße ist eine große Chance für deutsche Unternehmen. Wir selbst können über die Bahnroute teure Sonderfrachten nach China abwickeln und im Vergleich zur Flugfracht Geld sparen. Außerdem bedeutet der Ausbau der Bahnverbindungen auch: Es werden neue Züge gebraucht und der Ersatzbedarf für Bahnausrüstungen steigt. Wir haben eine starke Bahnsparte und die wird auf jeden Fall von dem Megaprojekt profitieren. Aber bei der One Belt, One Road-Initiative geht es noch um viel mehr. Entlang der Strecke entstehen neue Kraftwerke, Automobilschmieden und chinesische Unternehmen finanzieren Bergbauprojekte. Das Potenzial ist bislang noch gar nicht in Zahlen zu fassen.

Die Arbeitsgruppe Eurasische Konnektivität unter dem Dach des Auswärtigen Amtes und der Koordination der Schaeffler AG verbindet Politik und Wirtschaft. Ihr gehören neben Vertretern der Bundesregierung auch Unternehmen und Wirtschaftsverbände an. Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es, Informationen zur OBOR-Initiative und den damit verbundenen neuen Projekte zu sammeln und zu bewerten. In Russland hat die dortige Auslandshandelskammer eine deutsch-russische Hochgeschwindigkeitsinitiative ins Leben gerufen. Die teilnehmenden Firmen wollen sich an dem Ausbau einer neuen Bahnstrecke zwischen Moskau und Kasan beteiligen – die ein Teil der OBOR-Route sein soll. Auch daran beteiligen wir uns.

Sie erwähnen die Deutsche Initiative für Hochgeschwindigkeitsverkehr. Welche Rolle spielt Schaeffler dabei und wann wird die Strecke Moskau-Kasan fertiggestellt?

Der Baubeginn wurde mehrfach verschoben. Zuletzt hieß es aber bei der Russischen Staatsbahn, dass der Bau noch 2018 begonnen werden soll. Ob dann das ganze Stück auf einmal oder erst ein Teilstück fertig wird, ist noch unklar. Und zur Rolle Schaefflers in der Initiative: Wir interessieren uns in erster Linie für die Schnellzüge, die dann mit bis zu 400 Stundenkilometern die Strecke befahren werden. Wir würden uns als Technologiepartner anbieten.

Wie bewerten Sie die extraterritorialen US-Sanktionen gegen Russland und den Iran? Sorgen die Maßnahmen auch bei Schaeffler für Verunsicherung?

Natürlich, die Sanktionen sorgen für Verunsicherung. Zuletzt sind etliche reine Industrie- und Automobilunternehmen auf die Liste gesetzt worden. Wir hoffen, dass sich die Lage bald beruhigt.

Welche Zukunftspläne verfolgen Sie auf dem russischen Markt? In welchen Bereichen wollen Sie Ihren Einfluss ausbauen?

Wir wollen gerade im Industriebereich unsere Position weiter verbessern. Das gilt für den Eisenbahn- und den Stahlsektor. Gerade im Windsektor sehe ich künftig sehr gute Chancen für uns. Und mit unserem Werk in Uljanowsk sehe ich uns sehr gut aufgestellt, um den russischen Automobilmarkt mit lokalen Produkten zu versorgen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Dr. Lindner.

Dieses Interview führte Ostexperte.de-Chefredakteur Thorsten Gutmann.

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