CEO Hungry Boys: „Werbung in Russland muss direkt sein“

CEO Hungry Boys: „Werbung in Russland muss simpel und direkt sein“

Vladilen Sitnikov weiß, wie man die Herzen der Russen erobert. Als CEO leitet er die Kreativ- und Digitalagentur Hungry Boys in Moskau. Zu seinen Kunden zählen internationale Marken wie L’Oréal, KFC und Škoda, aber auch russische Unternehmen wie Kaspersky Lab. Im Ostexperte.de-Interview spricht Sitnikov über die Besonderheiten des russischen Werbemarkts.

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Vladilen Sitnikov
Vladilen Sitnikov ist Chief Creative Office der Digitalagentur POSSIBLE in Moskau sowie CEO der 2012 gegründeten Kreativagentur Hungry Boys. Darüber hinaus ist er beteiligt an der russischen Werbeagentur Grape. Alle drei Projekte gehören zum britischen Multimilliarden-Konzern WPP. Zudem ist Sitnikov Eigentümer des Cloud-Anbieters AnyWhereApp und des Newsportals Hot-Digital.ru. Werbekampagnen unter seiner Leitung erhielten internationale Auszeichnungen, darunter mehrere Cannes-Löwen.

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Herr Sitnikov, Sie arbeiten für Hungry Boys, Grape und Possible. Wie hängen diese Agenturen zusammen?

Bereits im Jahr 2002 wurde unsere Werbeagentur Grape in Moskau gegründet. Nach zehn Jahren kamen die Kreativagenturen Hungry Boys und Possible Moscow hinzu. Im selben Jahr schlossen sich alle drei Agenturen dem globalen Netzwerk POSSIBLE Worldwide an, das dem britischen Konzern WPP angehört. Das Netzwerk besteht aus 25 Büros, die auf fünf Kontinente verteilt sind. Hungry Boys gilt als Kreativagentur, Grape wiederum als digitale Marketingagentur.

Hungry Boys gehört zu den Top 10 Werbeagenturen in Russland. Seit dem Start im Jahr 2012 wurden unsere Projekte mit nationalen und internationalen Awards mehrfach ausgezeichnet. Unsere Kunden reichen von Großkonzernen bis hin zu kleineren Start-ups, von weltbekannten Marken bis zu den neuesten Namen auf dem russischen Markt.

Was ist Ihr Motto?

Am 12. Juni 2005 hielt Apple-Gründer Steve Jobs eine Rede vor Absolventen der Stanford-Universität. Dort sagte er: “Stay Hungry, Stay Foolish”. Das ist unser Motto. Daher stammt auch der Name unserer Agentur: Hungry Boys.

Welches sind Ihre Lieblingskampagnen?

Ich habe viele Lieblingskampagnen. Für mich sind sie wie Kinder, man kann sie nicht vergleichen. Aber ich erzähle Ihnen gerne mehr über unsere jüngsten Kampagnen.

cherniy23xtbnjqd.onion: Eine unserer erfolgreichsten Kampagnen war für einen kleinen Coffee-Shop namens »Кооператив Чёрный« („Kooperative Schwarz“) in Moskau. Dabei ging es um Stereotypen in Bezug auf Drogenhandel im Darknet. Wir haben einen Online-Shop gestartet, der nur über den Tor-Browser zugänglich war. Das Design der Website und der Prozess der Bestellung von Kaffeebohnen oder Tassen waren im typischen Darknet-Stil gehalten. Zu den Bezahlmethoden zählte unter anderem die Kryptowährung Bitcoin. Die Kampagne war ein großer Erfolg. Sie stärkte die Bekanntheit der Marke und steigerte die Umsätze erheblich.

„Braille-Art“Wir haben ein Kunstprojekt auf Grundlage der Brailleschrift umgesetzt. Das ist eine im Jahr 1825 von dem Franzosen Louis Braille entwickelte Blindenschrift. Für die Kampagne wurden erstmals Graffiti-Zeichnungen für Blinde erschaffen. Hierbei ist eine Street-Art-Galerie entstanden, die Symbole und Texte miteinander kombinierte. Jedes der Kunstwerke erzählte eine Geschichte über blinde Menschen, die trotz ihrer Einschränkung erfolgreich sind.

Kunstprojekt für Blinde, Quelle: POSSIBLE Moscow

„Enter the HuMachine“:  Eine weitere interessante Kampagne haben wir für das russische IT-Security-Unternehmen Kaspersky Lab kreiert. In einem interaktiven Virtual-Reality-Film haben wir verdeutlicht, wie die Welt von Programmcodes und Datenströmen aussieht. Auf diese Weise erlebt der Zuschauer das Leben einer einzigen Codezeile eines Programms. Am Ende steht er einer Cyberbedrohung gegenüber, die globale Maßstäbe annimmt.

Sie haben internationale Kunden wie L’Oréal. Warum kommen diese Unternehmen ausgerechnet zu Ihnen?

Wir waren eine der ersten Agenturen in Russland, die digitale Projekte für den Werbemarkt entwickelt hat, die auf große Nachfrage gestoßen sind. Bis dahin gab es zwar banale Website-Kampagnen, aber keine ganzheitlichen Digitalkonzepte. Wir waren die erste russische Agentur, die virale Kampagnen lanciert und Werbung in Videospiele integriert hat. Unsere erste Social-Media-Kampagne haben wir im Jahr 2003 gemacht, damals war das Thema für die meisten Internet-Nutzer noch Neuland. Dank unserer innovativen und modernen Ausrichtung haben wir bis heute eine Vormachtstellung. Für Kunden wie L’Oréal oder Henkel reicht Innovation alleine nicht aus, sie wollen Qualität und Kundenservice. Das alles können wir bieten.

Ihre Agenturen befinden sich in einem zweistöckigen Open-Space-Büro. Wie trägt die Umgebung zur Arbeitsatmosphäre bei?

Bereits bei der Gründung unseres Unternehmens haben wir versucht, die Hierarchien maximal flach zu halten. Aspekte wie Alter, Erfahrung oder Wissenstand sollten eine untergeordnete Rolle spielen. Wir wollten eine Atmosphäre schaffen, in der jeder eine Idee vorstellen kann, ohne Angst zu haben, nicht anerkannt zu werden. Freie Meinungsäußerung und ehrliche Kritik sind besonders wichtig für uns. Das spiegelt sich auch in der Gestaltung unserer Räume wider.

Hungry Boys / Possible
MacBook, Sofa, Comic-Zeichnungen an der Wand: Jeder Arbeitsplatz bei Hungry Boys bzw. Grape ist individuell gestaltet. © Thorsten Gutmann

Welche Eigenschaften sollte ein Bewerber mitbringen, um bei Ihnen zu arbeiten?

Uns ist wichtig, dass die Person loyal ist und gute Ideen hat. Meistens schaue ich mir das persönliche Notizbuch des Bewerbers an, in dem Slogans, Zeichnungen und Erfindungen notiert sind. Das Alter ist für uns überhaupt nicht wichtig, dasselbe gilt für den Bildungsstand. Natürlich sollten unsere Mitarbeiter die russische Orthographie und Grammatik beherrschen. Aber der wichtigste Aspekt ist, dass die Bewerber Leidenschaft und Feuer mitbringen.

Wie kreativ ist der russische Werbemarkt?

Seit einigen Jahren gibt es in Russland eine starke Konkurrenz. Früher war die russische Werbung sehr spezifisch. Heute sind viele Agenturen auch für westliche Unternehmen geöffnet. Offene Grenzen und Dialog zwischen Völkern haben zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit kulturellen Prinzipien geführt. Daher wird die Werbung immer globaler und weniger lokal.

Hungry Boys / Grape
Die Werbeagenturen Hungry Boys, Grape und Possible haben zahlreiche renommierte Auszeichnungen gewonnen, darunter mehrere Cannes-Löwen. © Thorsten Gutmann

Welche Besonderheiten gilt es zu beachten, wenn man eine Werbung für den russischen Markt konzipiert?

Der russische Markt unterscheidet sich nicht besonders vom Rest der Welt. Allerdings gibt es ein paar Besonderheiten. In Russland ist das Verständnis von Reichtum stark ausgeprägt. Daher kommen pompöse Dinge wie Gold gut an. Nehmen wir das neue iPhone X als Beispiel. Es hat ein flaches und schlichtes Design. Doch für den Russen war der robuste Vorgänger attraktiver. In Russland sollten Statements in der Werbung direkt und simpel sein. Große Schrift, großes Logo: „20% Rabatt.“ Das Land ist in einer Krise. Entscheidend ist nicht die Idee, sondern der Preis.

Gibt es Themen, von denen man lieber die Finger lassen sollte?

Drei Punkte sollte man in der russischen Werbelandschaft vernachlässigen. Die Russen reagieren sehr sensibel und aggressiv auf das Thema Homosexualität. Auch Religion, unabhängig von der Konfession, hat im Werbekontext nichts zu suchen. Das russische Volk ist in dieser Hinsicht sehr empfindlich. Es kann schnell zu Gerichtsprozessen kommen. Das dritte Tabuthema ist Politik. Es kommt zwar vor, dass Scherze gemacht werden, doch es ist nicht ratsam.

Hungry Boys
Der Name der Werbeagentur ist inspiriert von einem Motto, das Apple-Gründer Steve Jobs ins Leben rief: “Stay Hungry, Stay Foolish.” © Thorsten Gutmann

In welchem Zustand befindet sich die russische Werbelandschaft?

Meiner Meinung nach ist der Werbemarkt vor allem in Russland eine schwierige Branche. Früher wurde Werbung mit Drogen verglichen – für jeden Preis gab es einen Käufer. Heutzutage ist alles transparent, die gängigen Marktpreise sind bekannt. Es steht zudem wenig freies Kapital zur Verfügung. In Krisensituationen fällt die Entscheidung der Manager nicht zugunsten weiterer Marketing-Investitionen. Es gibt glücklicherweise immer noch Marken, die in kreative Ideen investieren. Daher haben wir unser Geschäftsmodell an diese Kunden angepasst. Erstaunlicherweise handelt es sich dabei überwiegend um den Einzelhandel.

Welche Rolle spielt die politischen Situation?

Natürlich sind alle Unternehmen angespannt aufgrund der politischen Lage, vor allem in Hinblick auf die westlichen Sanktionen gegen Russland. Als Werbeagentur mit britischem Eigentümer sind wir besonders betroffen. In einem Schreiben ist uns mitgeteilt worden, dass wir keine Aufträge von bekannten sanktionierten Unternehmen annehmen dürfen. Meiner Ansicht nach ist das eine besorgniserregende Entwicklung.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Sitnikov.

Dieses Interview führte Ostexperte.de-Chefredakteur Thorsten Gutmann. Aus dem Russischen übersetzt von Elena Schneider.