Ost-Ausschuss-Kolumne: Russland muss effizienter werden

Ost-Ausschuss: Russland muss effizienter werden

Von Jens Böhlmann, Kontaktstelle Mittelstand im Ost-Ausschuss


Das Ergebnis ist eindeutig: Luxemburg vor Norwegen und Irland. Wenn Sie sich jetzt fragen, in welcher Sportart eine solche Reihenfolge denkbar ist, dann muss ich Sie enttäuschen: Es geht um die Arbeitsproduktivität, genauer um die Arbeitsproduktivität in den Ländern der OECD. Und um die Frage, warum Russland in diesem Ranking nur den 32. von 35 Plätzen belegt und nur über etwa ein Viertel der Effizienz der Spitzennationen verfügt.

Russische Mitarbeiter so effektiv wie in Europa

„Unsere russischen Mitarbeiter haben die gleichen Produktivitätswerte wie die in Europa oder den USA. Wir messen das nach standardisierten Methoden“, widerlegt Heinrich Steins von John Deere diese pauschale Aussage zur mangelnden Produktivität. Aber, das ist das Ergebnis intensiver Schulungen, der eigenen Ausbildung der Mitarbeiter und eines Anreizsystems, das Engagement auch belohnt.

Denn wie ein russisches Sprichwort sagt, wird Initiative normalerweise bestraft. Ein großer Teil der russischen Arbeitnehmer verhält sich deshalb nach dem Motto: möglichst nicht auffallen. Das gilt in besonderem Maß für die Angestellten in den zahllosen Staatsbetrieben, in denen meist noch ein extrem hierarchischer Führungsstil gepflegt wird.

In Staatsbetrieben geht es streng hierarchisch zu

Der staatliche Anteil an der Wirtschaft liegt bei weit über 50 Prozent und ist in den Jahren der Krise noch größer geworden. „Wir können keinen Bleistift bestellen, ohne vorher den Chef zu fragen, aber wir produzieren dabei jede Menge Papier“, äußert sich der Abteilungsleiter eines großen Staatskonzerns, der lieber anonym bleiben möchte, zu den internen Abläufen. „In den meisten Unternehmen wird Respekt und Unterordnung gefordert, aber ohne jeglichen Bezug zur Leistung.

Das rührt noch aus sowjetischen Zeiten und ist nur sehr schwer auszurotten“, beschreibt ein deutscher Manager die Situation bei seinen russischen Kunden. Überhaupt scheinen sich einige Überbleibsel aus sozialistischen Zeiten bis in die Gegenwart erhalten zu haben. „Traktoristen arbeiten bis heute nach dem Prinzip Fläche pro Zeit und rasen über die Felder. Moderne Mähdrescher erzielen das beste Ergebnis aber nicht bei der maximal möglichen Geschwindigkeit und deshalb wird schlicht weniger geerntet als eigentlich möglich wäre“, so Steins.

Qualität wird mit Quantität erzwungen

Effizienz als Verhältnis zwischen Einsatz und Ertrag spielt unter diesen Umständen nicht immer die entscheidende Rolle. Oft wird Qualität mit mehr Quantität erreicht. Wer je eine russische Baustelle oder den Personaleinsatz in einem Supermarkt gesehen hat, weiß warum die Arbeitslosenzahlen auch im schlimmsten Krisenjahr nur unwesentlich gestiegen sind. Entscheidend ist oft nur das Ergebnis; bestes Beispiel: die Olympischen Winterspiele in Sotschi, bei denen im Wortsinn weder Mühen noch Kosten gescheut wurden.

Die Ausbildung von Absolventen beginnt erst im Unternehmen

Dabei herrscht ein eklatanter Mangel an Fachkräften. Spezialisten, die auf Grund ihrer Ausbildung in der Lage wären, hochmoderne Anlagen zu bedienen und so maximal produktiv zu sein, muss man mit der Lupe suchen. Dabei ist die Quote der technischen Abschlüsse an Hochschulen durchaus mit der anderer Industrieländer vergleichbar. Aber die Ausbildung ist theoretisch überfrachtet und fast vollkommen von den Bedürfnissen der Industrie abgekoppelt.

Die eigentliche Ausbildung beginnt im Unternehmen und kostet Zeit und Geld. „Wir bekommen zwar in der Regel Absolventen, die sehr schnell ihr Studium absolviert haben, aber von den technologischen Prozessen verstehen sie eigentlich noch wenig“, beklagt Jaron Wiedmaier, General Direktor Continental Tires RUS, den Status quo.

FuE entscheidet über Wettbewerbsfähigkeit

Und noch ein Faktor ist von entscheidender Bedeutung. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) in Prozent des Bruttoinlandsproduktes sind in Russland deutlich niedriger als in den führenden Industriestaaten. Russland gibt etwas über ein Prozent aus. Länder wie die Schweiz, Finnland, Dänemark, die USA, Japan oder auch Deutschland das Drei- bis Vierfache.

In Deutschland entfielen von den knapp 80 Milliarden Euro Investitionen in FuE im Jahr 2014 zwei Drittel auf die private Wirtschaft. Damit kommt der größte Teil der Innovationen und des technologischen Fortschritts aus den im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen, für die Forschung gleichbedeutend mit Marktchancen ist. Die Spitzenreiter bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind übrigens Israel und Südkorea.

Der technologische Abstand wird größer

Auch einige Länder Osteuropas geben durchschnittlich mehr für die Entwicklung der eigenen Wirtschaft aus als Russland. Der Abstand bei den Innovationen im Industrie- und im Hochtechnologiebereich wird deshalb eher größer als kleiner und hat direkte Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Industrie.

„Selbst wenn wir uns am Ausschreibungsverfahren unseres Mutterhauses für internationale Großaufträge beteiligen, ist völlig klar, dass wir im Vergleich zu den Standorten in Mittel- und Osteuropa keine Chance haben, die sind effizienter, billiger und flexibler“, beschreibt ein deutscher Russland-Manager die Verhältnisse bei industriellen Global Playern.

Die Hoffnung ruht auf der jungen Managergeneration

Aber, es besteht Hoffnung. Immer öfter begegnet man in russischen Unternehmen, aber auch in staatlichen Institutionen jungen, gut ausgebildeten, mehrsprachigen Mitarbeitern, die nicht selten an den besten Universitäten der Welt studiert haben. Mit dieser neuen Managergeneration ändert sich sukzessive auch die Einstellung zu Prozessen, wachsen das Verständnis für Produktivität und Effizienz und der Grad der Professionalisierung.

Und, was unter den obwaltenden Bedingungen vielleicht noch wichtiger ist, die Erkenntnis, dass im globalen Wettbewerb nur Unternehmen und Staaten erfolgreich sind, die multinational und offen agieren.

Ost-Ausschuss initiiert Digitalisierungsoffensive

Da kommt die auf dem Petersburger Wirtschaftsforum vereinbarte Digitalisierungsinitiative für russische Unternehmen und Institutionen auf Initiative des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft zur rechten Zeit.

Über eine gemeinsame Plattform sollen der Austausch von Know-how organisiert und Kooperationen zwischen deutschen und russischen Unternehmen und Institutionen gefördert werden. Dafür ist der Aufbau eines Demonstrationszentrums der deutschen Wirtschaft für Digitalisierungslösungen in Russland vorgesehen.

Die Zukunft liegt in der Kooperation

Und da im Augenblick überall auf der Welt bisher als sicher geglaubte Verbindungen einer intensiveren Prüfung unterzogen, neue Allianzen geschmiedet und Partner gesucht werden, ergeben sich ja vielleicht auch für Russland neue Optionen.

Der russische Präsident hat es in etwa so formuliert: Der Umfang der technologischen und ökonomischen Herausforderungen, die vor uns stehen, ist so gewaltig, dass wir sie besser zusammen angehen und dafür gemeinsame Verbindungen entwickeln. Der deutsche Mittelstand hört’s gern. Nehmen wir ihn beim Wort.


Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand für Russland beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Foto: zVg
Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand
im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.

Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu