Ost-Ausschuss-Kolumne: Russland ein Markt für Mittelständler?

Ab heute starten die Nachrichtenseite Ostexperte.de und der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft eine Medienpartnerschaft. Der Leiter der Kontaktstelle Mittelstand im Ost-Ausschuss, Jens Böhlmann, wird im zweiwöchigen Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de verfassen.

Kolumne: Ist Russland ein Markt für Mittelständler?

Von Jens Böhlmann, Kontaktstelle Mittelstand im Ost-Ausschuss


Um die Frage gleich zu Beginn zu beantworten: Ja, aber nicht für jedes Unternehmen und nicht in jeder Branche, aber in den meisten. Was braucht man, um in Russland wirtschaftlich erfolgreich zu sein?

Nichts anderes als in anderen Ländern auch: ein wettbewerbsfähiges Produkt, einen tragfähigen Markt, einen in Russland funktionierenden Businessplan, die unbedingte Unterstützung des Mutterhauses und eine robuste Einstellung gegenüber Unvorhergesehenem.

Denn Unvorhergesehenes wird es mit Sicherheit geben. Seit 14 Jahren fragt der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft die Unternehmen nach den Vor- und Nachteilen des russischen Marktes. Seit 14 Jahren stehen Bürokratie und Korruption ganz weit vorn.

Russland liegt den Deutschen

Augenblicklich sind die beherrschenden Themen jedoch eher Wechselkursrisiken, Protektionismus und die Forderung nach Lokalisierung und/oder Importsubstitutionen. Und genau hier muss ein Unternehmen sich die Frage stellen, ob man am russischen Markt bestehen kann? Und das umso mehr, wenn es um ein mittelständisches Unternehmen geht.

Aber es besteht Hoffnung. Mehr als 5.000 deutsche Unternehmen arbeiten in Russland. Über 90 Prozent davon sind kleine, mittelständische und familiengeführte Unternehmen. Damit liegt Deutschland seit vielen Jahren an der Spitze aller Länder. Russland liegt den Deutschen. Das ist auch eine Frage der Mentalität; Deutsche und Russen „können“ miteinander.

Hohe Spezialisierung der deutschen Mittelständler

Das ökonomisch wichtigere Asset ist jedoch die hohe Spezialisierung der deutschen Mittelständler, ihre unerreichte Flexibilität, Qualität, Service und ihre Leistungsfähigkeit. De facto sind in Russland deutsche Firmen in allen Wirtschaftsbereichen tätig. Das vielleicht noch schlagkräftigere Argument findet sich jedoch in den Antworten der Firmen auf die Frage: Was macht Russland attraktiv? Marktpotenzial, Umsatz- und Gewinnaussichten, Modernisierungs- und Diversifizierungsbedarf, so die übereinstimmende Einschätzung.

Wo liegen dann die Schwierigkeiten? Ist Russland sicher? Deutschland repräsentiert prozentual die mit Abstand meisten lokalisierten Unternehmen, und die meisten, die sich für eine zukünftige Lokalisierung entschieden haben. Selbstredend sind darunter die großen deutschen Konzerne, noch mehr dieser Firmen sind jedoch Mittelständler.

Die Leitlinie heißt Lokalisierung

Wenn Sie sich jetzt fragen, was das mit Sicherheit zu tun hat. Würden Sie ihr Familienvermögen in ein unsicheres Geschäft investieren? Sicher nicht. In dieser Tendenz lokaler Anbieter zu werden, spiegeln sich jedoch auch die Grenzen des russischen Marktes. Eine Leitlinie der russischen Industriepolitik, übrigens lange bevor Sanktionen ein Thema wurden, heißt Lokalisierung, so wie in anderen Ländern auch.

Trumps „America first“ bedeutet nichts anderes. Es ist ein Weg heraus aus der Abhängigkeit von Rohstoffexporten und zu einer diversifizierteren Wirtschaft, zu mehr Tiefenverarbeitung und letztlich zu Konkurrenzfähigkeit am Weltmarkt. Problematisch ist diese Politik durch ihren allumfassenden Anspruch und die Bedingungen, die Unternehmen auf diesem Weg erfüllen müssen.

Technologie und Know-how aus Deutschland

Die deutsche Wirtschaft ist ja gerade deshalb global so erfolgreich, weil sie sich frühzeitig aus dem eigenen Land heraus orientiert, Lieferketten weltweit aufgebaut und in aller Regel das höchste Gut – die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen – am deutschen Standort behalten hat. Übrigens ein Grund, warum chinesische Fonds und Unternehmen sich auf der Jagd nach Technologie und Know-how vor allem in Deutschland umschauen.

Zwingt man diese Unternehmen, wie es derzeit der Fall ist, um an staatlichen Ausschreibungen teilnehmen zu können, die komplette Produktion in Russland zu duplizieren, ist das in vielen Fällen schlicht nicht möglich. Die logische Schlussfolgerung wäre, nicht an staatlichen Ausschreibungen teilzunehmen. Ja, allerdings ist der russische Staat an mehr als 50 Prozent der Unternehmen beteiligt.

Sanktionspolitik

An dieser Stelle spielen dann auch Sanktionen eine Rolle, denn die Privatwirtschaft ist mit Bestellungen aus dem Ausland sehr zurückhaltend, weil Finanzierungen zu betriebswirtschaftlich sinnvollen Konditionen schlecht möglich sind. Der Rubelkurs tut ein Übriges dazu.

Es gibt also Firmen, denen es – augenblicklich – schwer fallen wird, auf dem russischen Markt Fuß zu fassen. Einige auch, weil die gegenseitigen Sanktionen ein Geschäft derzeit unmöglich machen oder zumindest erschweren.

Eurasische Wirtschaftsunion

Für alle anderen ist der größte europäische Markt natürlich eine Option, auch und gerade vor dem Hintergrund einer sich bildenden Freihandelszone – der Eurasischen Wirtschaftsunion. Die konjunkturelle Perspektive ist vorsichtig optimistisch. Und da Geschäft auch immer etwas mit Bauchentscheidungen und subjektiven Rahmenbedingungen zu tun hat, war der jüngste Besuch des deutschen Außenministers und die Einladung Präsident Putins an Kanzlerin Merkel atmosphärisch wichtig.

Wie also kommt man nach Russland? Indem man sich im Vorfeld genauestens informiert, welche Chancen für das eigene Unternehmen realistisch bestehen. Das kann man mittlerweile sehr gut schon in Deutschland. Eine Möglichkeit ist, die Kontaktstelle Mittelstand im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft zu nutzen.


Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand für Russland beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Foto: zVg
Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand
im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.

Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu