Ost-Ausschuss-Kolumne: „Mittelständler entscheiden gern selbst, was gut fürs Unternehmen ist“
Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um den freien Wettbewerb.
Das deutsche Erfolgsmodell ist in Gefahr
Die Deutschen müssen sich Sorgen machen, denn ihr Geschäftsmodell ist in Gefahr: Handel in einer freien Welt im fairen Wettbewerb mit gleichen Chancen für alle. Allerdings muss man der Fairness halber sagen, dass wir auch mit Ländern Handel treiben, die nicht ganz so frei sind, wo der Wettbewerb eher eingeschränkt ist und auch die Chancengleichheit größer sein könnte. Aber, man kann sich die Welt in der man lebt oder handelt eben nicht bei Amazon bestellen. Oder Gott sei Dank, denn Amazon ist ein amerikanisches Unternehmen. Und spätestens seit der amerikanische Präsident in Deutschland und Bundeskanzlerin Merkel seine Lieblings-Frenemies ausgemacht hat, wächst die Unruhe unter deutschen Politikern und Firmen. Eine eher merkwürdig anmutende Reaktion auf diesen Umstand ist die Verabschiedung einer „Nationalen Industriestrategie 2030“. In der zwar explizit geschrieben steht, dass die Soziale Marktwirtschaft „sich als weltweit erfolgreichstes Wirtschaftsmodell durchgesetzt hat. Sie war und ist jeder Planwirtschaft überlegen.“
Abschottung hat noch nie zum Erfolg geführt
Diese Einlassung würde jedes deutsche Unternehmen, und in besonderem Maße die Familien geführten, wohl jederzeit unterschreiben. Aber weiter ist zu lesen: „in welchen Fällen ein Tätigwerden des Staates ausnahmsweise gerechtfertigt oder gar notwendig sein kann, um schwere Nachteile für die eigene Volkswirtschaft und das gesamtstaatliche Wohl zu vermeiden“, und wo der Staat „innovative Technologien stärker fördern und strategisch wichtige Bereiche schützen“ kann. Deutschland war und ist so erfolgreich, weil es seinen Markt für Investoren immer offen-, marktwirtschaftliche Prinzipien hochgehalten und für freien Handel in aller Welt eingetreten ist. Außerdem ist lange nicht ausgemacht, wer mehr Einfluss auf die deutsche Wirtschaft nimmt, ein Staatsfonds aus China, Katar oder Saudi-Arabien oder BlackRock. Und so lange Menschen miteinander in Interaktion treten, Handel treiben, Allianzen schmieden oder miteinander im Wettbewerb stehen, hat es noch nie zum Erfolg geführt, sich abzuschotten. Selbstredend muss man das auch von seinen Handelspartnern mit Nachdruck fordern.
Der deutsche Osthandel wächst und wächst
Frohe Kunde kommt unterdessen aus Osteuropa. Der Handel mit den Staaten der Region ist wieder deutlich stärker gewachsen als mit dem „Rest der Welt“. 6,5 Prozent sind ein Drittel mehr als im Durchschnitt. Und das gilt auch für Russland: Um satte 4,8 Milliarden Euro hat der deutsch-russische Außenhandel im letzten Jahr zugelegt. Das ist in etwa so viel wie der gesamte Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland mit Serbien. Waren und Dienstleistungen im Wert von fast 62 Milliarden wurden zwischen beiden Ländern gehandelt. Das Handelsbilanzplus fällt deutlich zu Gunsten Russlands aus. Das ist die dritte Steigerung in Folge und trotzdem kein Grund zur Euphorie. Weitere 20 Milliarden bräuchte es, um das Allzeithoch von 2012 wieder zu erreichen. Mit der Tschechischen Republik setzte die deutsche Wirtschaft 2018 ein Drittel (92,2 Mrd. €) mehr um, mit Polen sogar das Doppelte (118,4 Mrd. €). Die Bevölkerung beider Staaten zusammen macht jedoch gerade ein Drittel der russischen aus. Und beide Länder stehen auch beim Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner deutlich vor Russland, obwohl ihnen die Export-Wirkbeschleuniger Kohlenwasserstoffe und metallische und nichtmetallische Bodenschätze fehlen.
Teil der internationalen Wertschöpfungskette
Woran liegt das? Die Länder Osteuropas, insbesondere die EU-Mitglieder Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei sind in den vergangenen zwei Dekaden sukzessiv Teil der Wertschöpfungskette vorwiegend westeuropäischer Unternehmen geworden. Mit kluger Politik haben sie die sich bietende Chance und ihren Standortvorteil genutzt. Ein Ende dieser Entwicklung ist kaum abzusehen. Einer der Gründe sind die deutlich niedrigeren Lohnstückkosten bei gleichzeitig hoher Qualität und gut qualifizierten Arbeitskräften. Ein anderer, dass in diesen Ländern nie wirklich der Anspruch bestand, in allen Industriezweigen selbst im weltweiten Wettbewerb stehende OEMs zu entwickeln. Aber genau das will Russland: Weltspitze in allen Branchen sein. Es widerspricht schlicht dem eigenen Selbstverständnis, andere könnten etwas besser. Wir haben den Sputnik im Orbit kreisen lassen. Wir haben den ersten Menschen ins Weltall geschickt. Ja! möchte man den Russen zurufen, das waren phantastische technologische Pionierleistungen, aber das ist ein Menschenalter her, und wird es nicht endlich Zeit, neue Erfolgsstories zu schreiben?
Deutschland Musterschüler bei der Lokalisierung
Weil sich diese Erkenntnis zumindest bei einem Teil der politischen und wirtschaftlichen Eliten durchzusetzen beginnt, sollen international führende Unternehmen ihr Know-how nach Russland transferieren. Politik der Lokalisierung heißt das euphemistisch. Als ob Unternehmen, für die der russische Markt strategische Bedeutung besitzt, das nicht ohnehin schon getan hätten: Produktionen auf- und kontinuierlich auszubauen – zwei Drittel aller Investitionen sind Erweiterungen in bereits bestehende Firmen – Technologie zu transferieren, modernste Produktionsmethoden einzuführen. Musterschüler beim Lokalisieren ist, wie könnte es anders sein, natürlich Deutschland. Zugegeben, Russland befindet sich mit diesem Mittel des mehr oder weniger sanften Drucks in einem illustren Kreis: China zwingt internationale Firmen in Joint Venture, die USA drohen „Nurimporteuren“ mit horrenden Strafzöllen, Brasilien lässt ausländische Waren ausschließlich über nationale Firmen einführen, und das Beispiel Argentiniens, die Natural- resp. Tauschwirtschaft wieder einzuführen, ist legendär.
Mittelständlern ist das Risiko zu hoch
Und was macht ein deutscher Mittelständler in Russland? Das gleiche, was er überall in der Welt macht. Er passt sich an, überzeugt durch Qualität, Zuverlässigkeit, Service und Liefertreue, schlägt sich mit einer Mischung aus Bürokratie, Korruption, Protektionismus und Benachteiligung bei der Auftragsvergabe herum, weil unterm Strich die Marge stimmt. Oder, er geht nicht nach Russland! Bedauerlicherweise treffen diese Entscheidung in jüngster Zeit Unternehmen, die eigentlich gute Chancen auf dem russischen Markt hätten. Ihnen ist das Risiko einfach zu groß. Bei den meisten ist es das Geld der Familie, also das eigene, das sie einsetzen müssten. Präsident Putin hat in seiner Rede zur Lage der Nation den Mittelstand als Motor auch der russischen Wirtschaft erkannt und postuliert, dass sich die meisten europäischen Länder normale wirtschaftliche Beziehungen mit Russland wünschen würden, vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht, dass ein Mittelständler egal ob in Deutschland, den USA oder Russland gern selbst entscheidet, was für sein Unternehmen gut ist.