Wirtschaftsprognose Russland: BIP stieg 2021 um 4,7 Prozent

Statistitkamt Rosstat schätzt BIP-Wachstum auf 4,7 Prozent

Russlands reales Bruttoinlandsprodukt stieg 2021 laut der am Freitag veröffentlichten ersten Schätzung des Statistikamtes Rosstat um 4,7 %. Vor einem Jahr lagen die Schätzungen noch deutlich darunter: Befragte Banken und Forschungsinstitute rechneten mit nur 2,9 Prozent. Wie entwickelten sich die wichtigsten Wirtschaftsbereiche?

Die russische Zentralbank hatte das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion am 11. Februar auch auf 4,7 Prozent geschätzt. Russlands Wirtschaftsministerium veranschlagte es zwei Tage zuvor auf 4,6 Prozent.

Vor einem Jahr haben vom Research-Unternehmen FocusEconomics befragte Banken und Forschungsinstitute hingegen nur mit einem Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 2,9 Prozent gerechnet. Der Internationale Währungsfonds prognostizierte damals für Russland einen Produktionsanstieg um 3,0 Prozent.

Der IWF hob seine Russland-Prognose schon Ende Juli auf 4,4 Prozent an

Ende Juli setzten der IWF und die russische Zentralbank ihre Wachstumserwartungen für 2021 jedoch deutlich herauf. Die Zentralbank erhöhte ihre Prognose am 23. Juli von 3 bis 4 Prozent auf 4 bis 4,5 Prozent. 4 Tage später hob der Internationale Währungsfonds seine Prognose auf 4,4 Prozent an. Aktuell ist sie mit 4,5 Prozent noch etwas höher (IWF-Prognose vom 25. Januar).

Viele Forschungsinstitute und Banken folgten im August und September 2021 dem gestiegenen Konjunkturoptimismis von Zentralbank und IWF. Ende September hob das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) seine Wachstumsprognose für Russland auf 4,7 Prozent an. Sie scheint sich als „Volltreffer“ zu erweisen. Das Statistikamt wird aber wohl erst mit seiner fünften Schätzung in rund zwei Jahren das „Endergebnis“ vorlegen. Korrekturen der ersten BIP-Schätzung um rund einen Prozentpunkt und mehr sind nicht ungewöhnlich.

Die Spannweite der „Russland-Prognosen“ der führenden deutschen Konjunkturforschungsinstitute war vor rund 5 Monaten im September noch sehr groß. Während das Berliner „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ (DIW) Mitte September seine Wachstumsprognose für 2021 auf nur noch 2,2 Prozent senkte, erwartete das Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) damals einen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 5,8 Prozent.

Die Anfang Februar 2022 veröffentlichte jüngste Umfrage der Zentralbank bei vorwiegend russischen Banken und Forschungsinstituten zeigt, dass aktuell im Mittelwert davon ausgegangen wird, dass die russische Wirtschaft im Jahr 2021 um 4,4 Prozent gewachsen ist. Die etwa gleichzeitig durchgeführte Umfrage von FocusEconomics bei weitgehend ausländischen Analysten ergab eine etwas geringere Wachstumserwartung von 4,2 Prozent.

Wachstumsprognosen 2021 bis 2023

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Rasche Erholung vom BIP-Rückgang im Krisenjahr 2020 gelungen

Im Corona-Krisenjahr 2020 war die Produktion der russischen Wirtschaft um 2,7 Prozent zurückgegangen. Mit dem 2021 voraussichtlich erreichten Wachstum von 4,7 Prozent wurde nicht nur dieser Rückgang ausgeglichen. Das Bruttoinlandsprodukt war laut Rosstat 1,9 Prozent höher als vor der Krise im Jahr 2019. Russland verzeichnete 2021 mit 4,7 Prozent den stärksten Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion seit 2008 (+ 5,2 Prozent).

Reales Bruttoinlandsprodukt
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Trading Economics: Russia Full Year GDP Growth; 18.02.2022, Link zum Chart

Fast alle Herstellungsbereiche steigerten 2021 ihre Wertschöpfung

Im Zuge der Produktionserholung stieg 2021 die reale Wertschöpfung in fast allen Wirtschaftsbereichen. Besonders stark waren die Zuwächse in Dienstleistungsbranchen, die von den Lockdown-Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie im Jahr 2020 überdurchschnittlich stark betroffen waren:

  • Hotels und Gaststätten: + 24,1 % (2020: – 24,1 %)
  • Kultur, Sport, Freizeit und Unterhaltung: + 8,4 % (2020: – 10,6 %)
  • Aktivitäten privater Haushalte
    als Arbeitgeber und für Eigenverbrauch: + 10,6 % (2020: – 27,7 %)
  • Banken und Versicherungen: + 9,2 % (2020: + 8,7 %);
  • Groß- und Einzelhandel, KFZ-Gewerbe: + 8,1 % (2020: – 2,6 %)
  • Baugewerbe: + 5,8 % (2020: – 2,0 %)

Innerhalb der Industrie wuchs das BIP 2021 im „Verarbeitenden Gewerbe“ und im Bereich „Bergbau/Gewinnung von Rohstoffen“ etwas unterdurchschnittlich. Durch den Anstieg der Wertschöpfung im Bereich „Bergbau/Gewinnung von Rohstoffen“ um 4,2 Prozent wurde 2021 der Rückgang des Vorjahres nur zu rund zwei Dritteln ausgeglichen. Im „Verarbeitenden Gewerbe“ war das BIP trotz der Krise auch 2020 etwas gestiegen.

Die 4 Hauptbereiche der russischen Industriestatistik verzeichneten 2021 folgende Zuwächse:

  • Bergbau/Gewinnung von Rohstoffen: + 4,2 % (2020: – 6,6 %)
  • Verarbeitendes Gewerbe:                     + 4,6 % (2020: + 0,5 %)
  • Versorgung mit Strom, Gas, Dampf: + 6,1 % (2020: – 2,8 %)
  • Wasserversorgung, Entsorgung:           + 13,8 % (2020: + 0,5 %)

Rückgänge der realen Wertschöpfung gab es nur in zwei Wirtschaftsbereichen:

  • Land- und Forstwirtschaft, Fischerei: – 1,3 % (2020: + 0,2 %)
  • Öffentl. Verwaltung, Militär; soziale Sicherheit: – 0,1 % (2020: + 2,7 %)

Verwendung des BIP: Wichtigster Wachstumstreiber Privater Verbrauch

Die Verwendung des Bruttoinlandsprodukts im letzten Jahr zeigt, dass das gesamtwirtschaftliche Wachstum vom Privaten Verbrauch und den Investitionen angetrieben wurde. Von der außenwirtschaftlichen Entwicklung, der Veränderung von Aus- und Einfuhren, wurde es gebremst.

Der Private Verbrauch, das Volumen der Ausgaben der privaten Haushalte für Waren und Dienstleistungen, stieg im vergangenen Jahr um 9,6 Prozent, der gesamte Endverbrauch (einschl. Staatsverbrauch und Verbrauch nicht gewinnorientierter Organisationen) wuchs um 7,1 Prozent. Im Jahr zuvor war der Private Verbrauch um 7,3 Prozent gesunken, der gesamte Endverbrauch um 4,9 Prozent.

Die Brutto-Investitionen stiegen 2021 um 8,7 Prozent, die Brutto-Anlageinvestitionen um 7,0 Prozent.

Die realen Ausfuhren stiegen 2021 viel schwächer (+ 3,2 Prozent gegenüber 2020) als die realen Einfuhren (+16,7 Prozent). 2020 waren die Exporte um 4,1 Prozent gesunken, die Importe um 12,1 Prozent.

Mit Hinweis auf Daten des Föderalen Zolldienstes stellte Rosstat fest, dass der starke Anstieg der Importe um 16,7 Prozent im Jahr 2021 größtenteils auf verstärkte Einfuhren von Maschinen und Ausrüstungen sowie von Produkten der petrochemischen und chemischen Industrie zurückzuführen war.

Kräftiges Wachstum in wichtigen Industriezweigen seit 2014

Zur längerfristigen Entwicklung der Produktion der Industrie in den Bereichen „Extractive Industries“ („Bergbau/Förderung von Rohstoffen“) und „Manufacturing“ („Verarbeitendes Gewerbe“) veröffentlichte BOFIT, das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, am Freitag die beiden folgenden Abbildungen.

Die linke Abbildung zeigt, dass Russlands Rohölproduktion 2021 zwar etwas erhöht wurde. Sie war aber noch deutlich niedriger als 2019. Auch das Niveau des Jahres 2014 erreichte sie nicht ganz.

Die Erdgasförderung wurde hingegen in den letzten 7 Jahren um insgesamt rund 40 Prozent gesteigert, obwohl sie im „Corona-Krisenjahr“ 2020 merklich sank.

Reichlich verdoppelt hat sich seit 2014 die Produktion von Unternehmen, die Dienstleistungen für die Öl- und Gasförderung erbringen.

Some of the large industrial branches in Russia
have posted good growth in recent years

BOFIT: Russia posted good economic growth in 4Q21; manufacturing particularly strong; BOFIT Weekly 18.02.2022:

Die rechte Abbildung zur Entwicklung wichtiger Branchen des „Verarbeitenden Gewerbes“ zeigt, dass seit 2014 vor allem die Produktion im Bereich der Metall-Verarbeitung stark gestiegen ist. Auch die Produktion der Chemischen Industrie und des Maschinenbaus nahm kräftig zu.

Die Produktion von Nahrungsmitteln (grüne Linie) erhöhte sich in den letzten sieben Jahren nahezu linear Jahr für Jahr.

Die Erzeugung von Mineralölprodukten ist zwar nicht gesunken (wie die Rohölförderung). Sie war 2021 aber nur wenig höher als 2014. Noch etwas schwächer entwickelte sich die Raffinierung von Metall-Erzen.

Wie entwickelten sich die Umsätze von Einzelhandel und Dienstleistungen?

Die langfristige Entwicklung in den konsumnahen Branchen „Einzelhandel“ und „Dienstleistungen“ hat das Forschungsinstitut der Vnesheconombank (der staatlichen „Bank für Außenwirtschaft“) nach der Veröffentlichung der Konjunkturdaten für Dezember untersucht. Das VEB-Institut veröffentlichte dazu in seinem Wochenbericht folgende Abbildung. Sie zeigt die Erholung der realen Umsätze im „Einzelhandel“ (schwarze Linie) und im Bereich „Dienstleistungen für private Haushalte“ (grüne Linie) von ihrem tiefen Einbruch im Lockdown im Frühjahr 2020 vor dem Hintergrund der Entwicklung der Reallöhne.

Im Dezember 2021 war der reale Einzelhandelsumsatz (schwarze Linie) laut den Berechnungen des VEB-Instituts saisonbereinigt um 5,4 Prozent höher als ein Jahr zuvor im Dezember 2020.

Die Umsätze bei den Dienstleistungen für private Haushalte (grüne Linie) stiegen im Dezember 2021 im Vergleich zum Vorjahresmonat saisonbereinigt noch deutlich stärker (+11,8 Prozent).

Index der Reallöhne und der saisonbereinigten realen Umsätze von Einzelhandel und Dienstleistungen
(Jan. 2014 = 100)

Vnesheconombank Institute: „World Economy and Markets Review“; 11.02.2022

Der „Corona-Einbruch“ wurde 2021 zwar mehr als ausgeglichen

Im Jahresdurchschnitt 2021 waren die realen Umsätze im Einzelhandel merklich höher als im Jahr 2019 (vor ihrem Einbruch im Frühjahr 2020), Sie sind im Zwei-Jahres-Vergleich 2021/2019 insgesamt um 3,9 gestiegen, obwohl sie im Bereich Nahrungsmittel nur um 0,6 Prozent zunahmen.

Der reale Umsatz im Dienstleistungsbereich war 2021 nur 0,2 Prozent höher als 2019 (siehe Analyse von Olga Belenkaya, Finam.ru).

Der reale Einzelhandelsumsatz ist aber noch etwas niedriger als 2014

Im langfristigen Vergleich zum Basismonat Januar 2014 hat sich der Dienstleistungsumsatz laut VEB-Institut aber besser entwickelt als der Einzelhandelsumsatz. Der Einzelhandelsumsatz (schwarze Linie) war im Dezember 2021 noch etwas niedriger als im Januar 2014. Der Dienstleistungsumsatz (grüne Line) war zuletzt rund 8 Prozent höher als im Januar 2014.

Im Vergleich mit früheren Krisen hat sich der Einzelhandel sehr schnell erholt

Die folgende Abbildung der VTB Capital, der Investment-Bank der staatlichen Außenhandelsbank VTB, zeigt mit der dunkel-blauen Linie, wie sich der reale Einzelhandelsumsatz seit Anfang 2020 entwickelte. Nur rund 10 Monate nach seinem Einbruch im Frühjahr 2020 hat der reale Einzelhandelsumsatz wieder den Stand vom Januar 2020 erreicht. Es gab eine rasche, „V-förmige“ Erholung.

Indizes des realen saisonbereinigten Einzelhandelsumsatzes
Basismonate Januar 2020, Oktober 2014; Oktober 2008

VTB Capital: Output & Demand December; Economic activity springs in 4Q21, pushing our 2021 GDP gauge to +5% YoY; 10.02.2022

Frühere Umsatzrückgänge hat der Einzelhandel sehr viel langsamer bzw. noch nicht völlig aufgeholt.

Die rote Linie zeigt, dass der rund 12 Monate anhaltende  Rückgang des Umsatzes nach dem Oktober 2008 erst nach rund 18 Monaten aufgeholt war.

Die hellblaue Linie zeigt, dass der rund 24 Monate anhaltende Umsatzrückgang von Ende 2014 bis Ende 2016 in den folgenden zweieinhalb Jahren bis Mitte 2019 nur zu einem geringen Teil aufgeholt wurde. Wie die Abbildung des VEB-Instituts zeigte, ist er auch bis zum Dezember 2021 nicht völlig aufgeholt worden (schwarze Linie in der VEB-Abbildung).

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

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