Wie sehen deutsche Banken Russlands Konjunktur?

Die russische Regierung geht in ihrer Ende September beschlossenen Haushaltsplanung davon aus, dass Russlands Wirtschaft in diesem Jahr um 2,8 Prozent wächst. Sehen deutsche Banken die Konjunkturentwicklung in Russland auch so positiv? 

Die russische Regierung geht in ihrer Ende September beschlossenen Haushaltsplanung davon aus, dass Russlands Wirtschaft in diesem Jahr um 2,8 Prozent wächst. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow rechnet inzwischen aber offenbar mit einem noch etwas stärkeren Anstieg der Produktion: „Wir erwarten, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr um 3 Prozent wachsen wird. Das sind sehr gute Zahlen. Sie sind besser als unsere Schätzungen im August.“ Das erklärte der Wirtschaftsminister laut Interfax am Freitag. Sehen deutsche Banken die Konjunkturentwicklung in Russland auch so positiv? 

Die BIP-Prognosen von DekaBank und Helaba klaffen sehr weit auseinander 

Angesichts des Einbruchs des deutsch-russischen Handels analysieren nur noch wenige deutsche Banken und Institute die Entwicklung der russischen Wirtschaft relativ ausführlich. In der letzten Woche veröffentlichten aber die Frankfurter DekaBank und die Helaba Landesbank Hessen-Thüringen neue Russland-Prognosen. Viele Entwicklungen in der russischen Wirtschaft sehen die beiden Banken ähnlich. Ihre Einschätzungen der diesjährigen Produktionsentwicklung der russischen Wirtschaft klaffen kurz vor Jahresende aber noch sehr weit auseinander.  

Die DekaBank („das Wertpapierhaus der Sparkassen“) sieht eine kräftige Erholung der russischen Wirtschaft. Sie erwartet in ihren monatlich erscheinenden „Emerging Markets Trends“, dass Russlands reales Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr um 2,6 Prozent steigt und damit den Rückgang im Jahr 2022 um 2,1 wettmacht. Diese Einschätzung entspricht den aktuellen Prognosen vieler russischer Banken. So wird in der jüngsten Interfax-Umfrage (10 Teilnehmer) für 2023 ein ähnlich starkes Wachstum von 2,7 Prozent erwartet. 

Die Helaba geht hingegen im Russland-Kapitel ihres am Donnerstag veröffentlichten „Jahresausblicks für Konjunktur und Kapitalmärkte 2024“ davon aus, dass sich die Rezession der russischen Wirtschaft im Jahr 2023 fortgesetzt hat und das reale Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 1,0 Prozent niedriger sein wird als 2022. Die bisherigen Angaben des russischen Statistikamtes und des russischen Wirtschaftsministeriums zum Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion im laufenden Jahr hält die Helaba offenbar für sehr korrekturbedürftig. Laut den jüngsten Schätzungen des Wirtschaftsministeriums war das reale Bruttoinlandsprodukt in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 um 2,8 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum. 

BIP-Prognosen für Russland 2023 und 2024 

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent 

DekaBank: Russlands Wirtschaft entwickelt sich besser als erwartet

Die DekaBank stellt fest, dass sich die russische Volkswirtschaft nach wie vor besser als erwartet entwickelt. Auch die Einkaufsmanagerindizes (häufig zitierte Indikatoren für die künftige Entwicklung) könnten sich im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen.

In der folgenden Abbildung zeigt die DekaBank, dass die von S&P Global durch Befragung russischer Unternehmen ermittelten Einkaufsmanager-Indizes für das Verarbeitende Gewerbe und für den Dienstleistungsbereich im Oktober zwar gesunken sind, aber noch erheblich über der „Wachstumsschwelle“ von 50 Index-Punkten notieren. Das deutet auf weiter wachsende Geschäftsaktivitäten der russischen Wirtschaft hin (siehe Charts und Berichte von Trading Economics: Manufacturing PMI; Services PMI).

DekaBank: Emerging Markets Trends, 10.11.23

Die Überhitzungszeichen in der russischen Wirtschaft halten an

Das Wertpapierhaus der deutschen Sparkassen sieht die russische Wirtschaft im laufenden Jahr um 2,6 Prozent wachsen. Die Bank meint, dass die „harten“ Indikatoren für die Produktion von Industrie, Landwirtschaft und Bauwirtschaft derzeit „eine Dynamik deutlich oberhalb des Wachstumspotenzials“ aufweisen.

Die russische Zentralbank habe auf diese „Überhitzung“ mit einer deutlichen geldpolitischen Straffung reagiert: Innerhalb von vier Monaten sei der Leitzins von 7,5% auf 15% verdoppelt worden (Trading Economics-Chart).

Zur Stabilisierung des Rubel-Kurses seien zudem erneut Währungskontrollen eingeführt worden, die einige Unternehmen zum teilweisen Verkauf der Devisen aus Exportgeschäften verpflichten (s. Finanzmarktwelt).

Die jährliche Inflationsrate ist 2023 viel niedriger als 2022

Die DekaBank geht davon aus, dass der Anstieg der Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt 2023 in Russland mit 6,5 Prozent nur knapp halb so hoch sein wird wie 2022 (13,7 Prozent). 2024 werde die jährliche Inflationsrate mit 5,8 Prozent voraussichtlich noch etwas niedriger sein. Sie hält die aktuelle Beschleunigung des Anstiegs der Verbraucherpreise damit für vorübergehend.

Seit dem Frühjahr 2023 hat sich die jährliche Inflationsrate von Monat zu Monat stark erhöht. Im Oktober erreichte sie 6,7 Prozent (Trading Economics-Chart). Das Internet-Magazin „The Bell“ meint in seinem jüngsten Wochenbericht, der beschleunigte Preisanstieg sei für die russische Politik im Vorfeld der Präsidentenwahl eine „heiße Kartoffel“ geworden.

Inflation in Russland

Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat in Prozent

The Bell: Rising inflation becoming political hot potato, 11.11.23

„The Bell“ berichtet, die Regierung habe zur Bekämpfung der Inflation einige Maßnahmen wie Preiskontrollen und Exportverbote ergriffen. Diese „handgesteuerten“ Maßnahmen würden aber nach Meinung aller Experten, mit denen „The Bell“ gesprochen habe, nichts zur Dämpfung der Inflation beitragen. Der Anstieg der Preise in Russland sei von der Nachfrage getrieben. Die Nachfrage sei sprunghaft gestiegen, nachdem die Zentralbank den Leitzins im letzten Jahr senkte (Trading Economics-Chart). Verstärkt worden sei die Nachfrage zum einen durch die Steigerung der Staatsausgaben (größtenteils kriegsbedingt). Zum anderen seien wegen der Knappheit an Arbeitskräften die realen Einkommen stark gestiegen.

Die wirksamste Waffe gegen die Inflation, so „The Bell“, bleibt die Geldpolitik der Zentralbank. „The Bell“ zitiert dazu Alexander Isakow, Analyst bei „Bloomberg Economics“: Die Zentralbank versuche derzeit, die Nachfrage zu dämpfen. Hohe Zinsen auf Einlagen sollten dazu motivieren, einige Käufe aufzuschieben bis das Angebot steigt.

DekaBank: 2024 halbiert sich das Wachstum der russischen Wirtschaft

Im nächsten Jahr erwartet die DekaBank, ähnlich wie die russische Zentralbank und die Mehrzahl der Analysten, dass sich das Wachstum der russischen Wirtschaft etwa halbiert. Sie geht davon aus, dass das BIP-Wachstum von 2,6 Prozent im Jahr 2023 auf 1,1 Prozent im Jahr 2024 sinkt.

DekaBank: Emerging Markets Trends, 10.11.23

 Die Bank merkt an, dass die „Mobilmachung“ für den Ukraine-Krieg die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte „direkt“ verringert hat. Durch die massive Auswanderungswelle würden die demografischen Probleme Russlands weiter verstärkt. Die in diesem Jahr auf einen neuen Tiefstand gesunkene Arbeitslosenquote in Russland wird nach Einschätzung der DekaBank im nächsten Jahr trotz der deutlichen Abschwächung des Wirtschaftswachstums nur wenig von 3,2 Prozent auf 3,5 Prozent steigen.

Die Belastungen Russlands durch die Sanktionen steigen weiter an

Zur Wirksamkeit der gegen Russland verhängten Sanktionen meint die DekaBank, das Technologieembargo werde sich in vielen Wirtschaftsbereichen mittelfristig deutlich bemerkbar machen. Die Belastungen der Wirtschaft durch die bereits beschlossenen Sanktionen würden im Zeitablauf steigen. Das „Sanktionsregime“ werde zudem weiter verschärft. Aktuell stehe die Schließung der „Schlupflöcher“ bei den Sanktionen im Fokus der Bemühungen des Westens.

Der 2022 stark gestiegene Leistungsbilanzüberschuss fällt 2023 weit zurück

Der Überschuss in der russischen Leistungsbilanz ist im Jahr 2022 bei stark gestiegenen Rohstoffpreisen auf 10,5 Prozent des BIP gewachsen. Im nächsten Jahr wird er laut der DekaBank-Prognose auf nur noch 1,8 Prozent des BIP zurückfallen. Die Bank weist darauf hin, dass die Abkoppelung der EU von den russischen Erdgaslieferungen deutlich schneller vorangegangen ist als die Erweiterung der Gas-Exportinfrastruktur Russlands in Richtung Asien.

Die DekaBank erwartet viel höhere Haushaltsdefizite als die Regierung

Die Einnahmen des russischen Staates aus dem Öl- und Gassektor sind, so die DekaBank, jetzt knapp 40 Prozent niedriger als im Vorjahr. Gleichzeitig merkt die DekaBank aber an, dass der durch westliche Sanktionsmaßnahmen verursachte Preisabschlag auf Russlands Ölexporte im Jahresverlauf gesunken ist. Die Einnahmesituation im russischen Staatshaushalt habe sich „vorerst stabilisiert“, meint die Bank. Die Regierung könne zudem auf Mittel der fiskalischen Reservefonds zurückgreifen, um den Krieg und die Sozialausgaben einige Jahre zeitgleich zu finanzieren.

Russlands Budgetdefizit wird sich nach Einschätzung der DekaBank im laufenden Jahr aber fast verdoppeln und von 2,1 Prozent des BIP auf 3,8 Prozent des BIP steigen. 2024 werde das Defizit noch 3,0 Prozent des BIP betragen.

Die russische Regierung geht hingegen von viel niedrigeren Defiziten im föderalen Haushalt aus. Finanzminster Anton Siluanow kündigte Mitte Oktober in einem Interview an, im Jahr 2023 werde das Haushaltsdefizit nur wenig über 1 Prozent des BIP betragen. Das berichtet TASS.

In den nächsten drei Jahren will die Regierung das Defizit sogar unter 1 Prozent des BIP  halten. Der Finanzminister bekräftigte dies Ende Oktober bei der ersten Lesung des föderalen Haushaltsplanes für die Jahre 2024 bis 2026 im russischen Parlament erneut (geplantes Defizit 2024: 0,9 Prozent des BIP; 2025: 0,4 Prozent des BIP; 2026: 0,8 Prozent des BIP; RG.RU-Bericht).

Weitgehende Übereinstimmung vieler Prognosen von DekaBank und Helaba

Im Hinblick auf die Entwicklung des Budgetdefizits, der Arbeitslosenquote und der Inflationsrate im Jahr 2023 stimmen die Prognosen der Helaba mit den Prognosen der DekaBank weitgehend überein.

Die Helaba erwartet 2023:

  • eine Inflationsrate von 7,0 Prozent (DekaBank: 6,5 %)
  • eine Arbeitslosenquote von 3,2 Prozent (DekaBank: 3,2 %)
  • ein Budgetdefizit von 3,5 Prozent des BIP (DekaBank: 3,8 % des BIP).

Das reale Bruttoinlandsprodukt wird laut der Helaba-Prognose im Jahr 2023 aber gleichzeitig um 1,0 Prozent sinken. Demgegenüber rechnet die DekaBank mit einem BIP-Wachstum von 2,6 Prozent.

Russland-Prognosen der Helaba

Helaba: Russland: Schwierige Anpassung an neues Umfeld; 09.11.23

2023 „leichter Aufwärtstrend“ bei den Öl- und Gaseinnahmen

Ihre Prognose, dass Russlands Rezession im Jahr 2023 anhält, erläutert die Helaba nicht näher. Sie analysiert aber die diesjährige Entwicklung der staatlichen Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor:

„Die wichtigste Stütze der Wirtschaft ist der Rohstoffsektor, der etwa ein Drittel des BIP, 40 % der Haushaltseinnahmen und fast zwei Drittel der Exporterlöse ausmacht. Der 2024 erwartete Ölpreis dürfte mit durchschnittlich 90 US-Dollar pro Barrel für die Sorte Brent etwas höher liegen als im Vorjahr.

Russisches Öl verkauft sich zwar mit einem Abschlag zum Weltmarktpreis, der Ölpreis­deckel von 60 US-Dollar pro Barrel ist jedoch kaum wirksam. Moskau hat bei Rohöl­transporten zuletzt immer weniger auf westliche Versicherungen zurückgegriffen: Mitte 2023 war nur ein Viertel der mit russischem Öl beladenen Schiffen bei westlichen Unter­nehmen versichert. Zwischenhändler, vor allem in Indien, aber auch in China und der Türkei, helfen beim Transport in den Westen.“

In der folgenden Abbildung zeigt die Helaba, dass die Einnahmen im russischen Haushalt aus dem Öl- und Gassektor seit dem Jahresbeginn 2023 im Trend gestiegen sind.

Helaba: Russland: Schwierige Anpassung an neues Umfeld; 09.11.23

Prognosen der Helaba für 2024

Anders als die DekaBank erwartet die Helaba nicht bereits im laufenden Jahr 2023, sondern erst im Jahr 2024 eine Erholung der gesamtwirtschaftlichen Produktion. Im Jahresausblick der Helaba heißt es:

„Die Wirtschaftsleistung dürfte 2024 nach zwei Rezessionsjahren mit 1,8 % ein moderates Plus aufweisen.“ …

„Die Investitionsaktivitäten werden schwach bleiben – nicht nur wegen des hohen Zinsniveaus, sondern auch, weil die westlichen Unternehmen ihre Aktivitäten im Land weiter zurückfahren.

Nachdem 2023 beim Konsum gewisse Aufholeffekte zu spüren waren, wird es 2024 wieder eine Abschwächung geben, da sich der Inflationsrückgang verlangsamt. Mit 5,5 % im Jahresdurchschnitt wird eine Inflationsrate über dem Niveau der Vorkriegszeit erwartet. Druck auf die Preise kommt vom engen Arbeitsmarkt und von den höheren Importkosten.

Die Zeiten der Haushaltsüberschüsse sind seit Kriegsbeginn vorbei. Geringeren Einnahmen stehen höhere Ausgaben, vor allem für das Militär gegenüber. Da sich die Rohstoffeinnahmen aber 2024 leicht verbessern, dürfte das Haushaltsdefizit mit rund 3 % des BIP etwas geringer ausfallen als im Vorjahr.“

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

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