„Es ist blöd, Russen des Neonazismus zu beschuldigen“

Interview mit dem Chefredakteur von Sputnik Deutschland über russische Propaganda und deutsche Medien

Sputnik News zählt zu den umstrittensten Medien in Deutschland. Viele Kritiker betrachten das russische Staatsmedium als Propaganda-Instrument zur Einflussnahme auf die westliche Medienlandschaft und Politik. Der Chefredakteur von Sputnik Deutschland, Oleg Polunin, spricht mit Ostexperte.de über Propaganda-Vorwürfe, Diskriminierung russischer Medien und Zensur.

Sputnik NewsPropaganda-Vorwurf
Sputnik ist seit dem 10. November 2014 ein staatliches Medienunternehmen, das zum russischen Medienhaus „Rossija Sewodnja“ gehört. Es ging hervor aus der Nachrichtenagentur RIA Nowosti, dem Auslandrundfunksender Stimme Russlands, dem Fernsehsender RT und der TV-Agentur Ruptly.

Das Medienkonglomerat „Rossija Sewodnja“ wurde im Dezember 2013 durch die Unterzeichnung des Erlasses Nr. 894 von Wladimir Putin gegründet.

Der Hauptsitz von Sputnik befindet sich in Moskau. Die regionalen Büros liegen in den Schlüsselregionen und -ländern weltweit, darunter in den USA (Washington), China (Peking), Frankreich (Paris), Deutschland (Berlin), Ägypten (Kairo) und Großbritannien (London und Edinburgh).

Derzeit berichtet Sputnik in mehr als 30 Sprachen, darunter auf Englisch, Spanisch, Französisch, Deutsch, Arabisch und Chinesisch.

Der Nachrichtensender RT (früher Russia Today) und Sputnik werden häufig des Vorwurfs bezichtigt, die Welt mit russischer Propaganda zu versorgen. Sputnik News sei ein „treuer Begleiter des russischen Präsidenten“, schrieb die FAZ in einer Analyse.

Das EU-Parlament bezeichnete RT und Sputnik in einem Strategiepapier von 2016 als „feindliche Propaganda“. Russland führe einen „Desinformationskrieg“ gegen den Westen, heißt es im Dokument, das sogar einen Vergleich zum Presseorgan der Terrororganisation „Islamischer Staat“ zieht.

Der französische Präsident Emmanuel Macron kritisierte in einer Pressekonferenz russische Auslandsmedien wie Sputnik. Sie hätten während der Wahlkampagne „schwere Unwahrheiten“ über ihn verbreitet und dabei „nicht journalistisch gearbeitet“, sondern es auf „Einfluss und Propaganda“ abgesehen.

Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Sputnik-Berichterstattung zum „Fall Lisa“ im Januar 2016. Der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, forderte den Verfassungsschutz auf, russische Einflussversuche in Deutschland zu überwachen. Ihn erinnerten die „gut organisierten Proteste gegen die frei erfundene Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens“ an Desinformationskampagnen der Stasi.


Oleg Polunin, Chefredakteur von Sputnik Deutschland
Oleg Polunin, Chefredakteur von Sputnik Deutschland. Quelle: zvg

Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte, die Mitarbeiter von Sputnik und RT seien keine Journalisten, sondern „Werkzeuge der Einflussnahme und der Propaganda“. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Ich kenne die Arbeit meiner Kollegen aus dem französischen Sputnik sehr gut – das sind allesamt Profis. Journalisten im klassischen Wortverständnis. Die Materialien, die wir im Rahmen des innerredaktionellen Austausches von ihnen erhalten, zeugen immer von einer hohen Qualität. Ich habe keine Zweifel daran, dass die Vorwürfe des französischen Präsidenten unbegründet sind.

Darüber hinaus kann ich nur die Worte des russischen Außenministers Sergej Lawrow zitieren: „Stellen Sie uns bitte Fakten zur Verfügung.“ Wir können beliebig lange einander Vorwürfe machen, ohne dabei substanzielle Fakten ins Feld zu führen, aber das wird sicherlich nicht hilfreich dabei sein, freundschaftliche Beziehungen zwischen unseren Ländern herzustellen.

Ihr Chef Dmitri Kisseljow bezeichnete den „Informationskrieg“ als „Hauptform der Kriegsführung“. Herr Polunin, führen Sie einen Krieg gegen den Westen?

Nein. Wir betreiben einen Journalismus, der – wie ich aufrichtig finde – weitaus höherwertig ist als der vieler Journalisten in Deutschland. Wir beleuchten Ereignisse in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt objektiv und lassen auf unseren Seiten alle Positionen zur Sprache kommen, ohne dass wir uns herausnähmen, irgendeine Nachricht einseitig zu beleuchten.

Sputnik Deutschland: "Telling the Untold"
Das Motto von Sputnik lautet “Telling the Untold”. Quelle: zVg; Wladimir Astapkowitsch

Die 13-jährige Lisa aus Berlin hat ihre angebliche Vergewaltigung durch Flüchtlinge nachweislich erfunden. Wieso haben Sie Ihren Beitrag dazu nicht aktualisiert?

Meiner Ansicht nach hätte das für uns einen noch größeren Rufverlust zur Folge, wenn wir etwas abgeändert oder den Artikel von der Seite entfernt hätten. Wir hatten die Geschichte so veröffentlicht, wie es bei großen deutschen Medien die Praxis ist: Wir veröffentlichten sie vollständig und beriefen uns auf die ursprüngliche Quelle – den Ersten Kanal des russischen Fernsehens.

Ganz am Anfang des Artikels fügten wir die Notiz an, die allerdings beim Ersten Kanal fehlte, dass die Polizei die Entführung und Vergewaltigung nicht bestätigen konnte. Das geschah am Sonntag. Bereits am nächsten Tag, am Montag also, produzierten wir unsere Exklusiv-Materialien zum „Fall Lisa“ mit neuen Details zu diesem Ereignis.

Würden Sie die Berichterstattung von Sputnik Deutschland zum „Fall Lisa“ rückblickend als Fehler bezeichnen?

Ich kann unseren Bericht nicht als Fehler bezeichnen, weil wir als Nachrichtenmedium unsere Arbeit operativ und qualitativ durchgeführt haben. Allerdings möchte ich Ihnen versichern, dass wir Änderungen vorgenommen haben und es nächstes Mal bei unseren Kollegen aus den deutschen Boulevardblätter keine Gründe dafür geben wird, uns dessen zu bezichtigen, was wir nicht getan haben.

Außerdem möchte ich anmerken, dass die Erwähnung eines Vorfalls, der ein ganzes Jahr zurück liegt, nur davon zeugt, dass man uns sonst im Zusammenhang mit unserer Arbeit nichts weiter vorwerfen kann.

Sputnik Deutschland bezeichnet sich als Nachrichtenagentur. Doch klassische Nachrichtenagenturen wie z. B. Reuters, dpa und AFP berichten per definitionem möglichst unparteiisch und objektivierend. Sputnik dagegen verwendet affirmative Fragen in Interviews und interpretiert Sachverhalte in Meldungen. Glauben Sie nicht, dass die Bezeichnung „Nachrichtenagentur“ irreführend ist?

Erstens ist der deutsche Sputnik Teil einer großen Nachrichtenagentur. Zweitens lässt sich über die Behauptung, westliche Nachrichtenagenturen wären unabhängige Medien, die ein ausgewogenes und objektives Bild vermitteln, durchaus streiten. Das wohl augenscheinlichste Beispiel ist die Beleuchtung der Ereignisse im Nahen Osten und der innenpolitischen Situation in den USA.

Drittens kann man auf unseren Seiten Meinungen von Leuten finden, die man bei anderen Medien für gewöhnlich unbegründet verurteilt und die man leichtfertig abstempelt und diese Darstellung bedeutet nur, dass wir uns in unserem redaktionellen Vorgehen an unseren Grundsatz halten, der lautet: „Telling the untold“. Viertens kann ich das Obige verallgemeinernd sagen, dass auch ich ein solches Vorgehen für wichtig halte.

Einer meiner Journalistenkollegen hat jüngst auf Facebook geschrieben: „Es gibt immer mehr Menschen, die weder nach dem Paradigma leben, dass es unterschiedliche Meinungen gibt und es interessant ist, zu debattieren, noch nach dem Paradigma, dass es zwei Meinungen gebe: die eigene und die falsche. Sondern sie leben nach dem Paradigma, dass es eine richtige Meinung gibt und andere gar nicht möglich sind.“ Dieses Phänomen betrifft den Journalismus, aber auch, was sehr schade ist, die internationalen Politik.

Arbeitsplatz von Sputnik Deutschland in Berlin
Arbeitsplatz von Sputnik Deutschland in Berlin. Quelle: zVg von Oleg Polunin

Welche Faktoren muss eine Nachricht aufweisen, damit eine Berichterstattung für Sputnik infrage kommt? Gibt es Regeln, nach denen ein Thema (z. B. Flüchtlinge oder die russische Politik) besonders negativ bzw. positiv konnotiert werden muss?

Wir sind allem offen gegenüber und das gefällt mir an unserer Arbeit am meisten. Wir beleuchten alle Lebensbereiche, von Nachrichten über die Manipulation von Wertpapieren auf dem Markt, die jeden auf der Welt betreffen können, bis hin zu exotischen Trophäen russischer Jäger. Uns interessiert das Leben.

Uns interessiert der Fortschritt und alles, was er mit sich bringt. Uns interessieren Veränderungen in der Weltpolitik. Uns interessiert, warum die Deutschen einen Komiker ins Europaparlament gewählt haben, wo es doch üblich ist, zu glauben, der deutsche Humor sei nicht witzig (und das ist völliger Quatsch) und dergleichen mehr. Ich könnte nicht sagen, dass es irgendwelche besonderen Regeln gibt.

In einer Resolution vom November 2016 prangerte das Europaparlament die „antieuropäische Propaganda Russlands“ an. Das Strategiepapier bezeichnete die Auslandsmedien RT und Sputnik als „feindliche Propaganda“. Was sagen Sie dazu?

Diese Resolution des Europaparlaments ist ein offener Akt von Diskriminierung und Zensur. Und er stellt im Grunde die Unterminierung europäischer Ideale dar – der Offenheit für Meinungen anderer und der offenen Darstellung eigener Meinungen für andere, der Meinungsfreiheit. Das sind aber die Prinzipien, auf denen das gegenwärtige Europa beruht.

Darüber sprachen unsere Hauptredakteurin Margarita Simonjan sowie die Pressedienste Sputnik und RT mehrmals. Wenn man so darauf blickt, richtet sich die Resolution nicht gegen Sputnik und RT, sondern gegen Europa selbst. Eine eigene Bemerkung bzw. einen kurzen Kommentar verdient der Koautor dieser Resolution Elmar Brok. Bei diesem Abgeordneten handelt es sich um den Vorsitzenden des Europäischen Demokratiefonds.

Auf der Seite des Fonds kann man sehen, wohin sich die „europäische Demokratie“ richtet: Libyen, Tunesien, Ukraine, Georgien. Das ist eine kurze Liste der Länder, über die entweder Farbrevolutionen hereingebrochen sind oder in denen verfassungswidrige Umstürze erfolgt sind. Ein Interessenkonflikt scheint offenbar, wenn man solche unterschiedlichen Posten innehat. Müsste eine Beurteilung, die von einem solchen Politiker vorgenommen wird, nicht von vornherein voreingenommen sein?

Tonstudio von Sputnik Deutschland
Tonstudio von Sputnik Deutschland. Quelle: zVg von Oleg Polunin

Sputnik wurde in der Vergangenheit häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, gezielt nationalistische und rechtsextreme Tendenzen zu artikulieren. Was sagen Sie dazu?

Ich bin Russe. Zwei meiner Urgroßväter sind vom Großen Vaterländischen Krieg gegen den Nationalsozialismus nicht zurückgekehrt. Und eine ähnliche Geschichte wird Ihnen jeder russischsprachige Mitarbeiter unserer Agentur erzählen können. Unser Land hat in diesem Krieg 26 Millionen Menscheen verloren. Es ist blöd, Russen des Neonazismus zu beschuldigen.

Das ist Unsinn. Eher macht es Sinn, die Aufmerksamkeit auf Länder der Europäischen Union zu richten, in denen jährlich in feierlichen Märschen SS-Legionäre mit Nazi-Flaggen durch die Straßen ziehen. Darüber schweigt man in der Europäischen Union für gewöhnlich. Das passiert aber heute, im 21. Jahrhundert.

Welche Fehler machen deutsche Mainstream-Medien wie Bild, FAZ, Spiegel und SZ Ihrer Meinung nach bei der Berichterstattung über Russland?

Alle ihre „Fehler“ sind ihnen bestens bekannt und sie lassen sie, wie mir scheint, ganz bewusst zu.

Der Ton gegenüber Sputnik und RT in den deutschen Medien ist teilweise sehr scharf. Fühlen Sie sich unter deutschen Kollegen respektiert? Ist der Umgang deutscher Journalisten mit Sputnik-Mitarbeitern (z. B. auf Pressekonferenzen oder bei Interview-Anfragen) auf Augenhöhe? Haben Sie Schwierigkeiten, Interviewpartner zu bekommen?

Wir haben, im Unterschied zu Kollegen in anderen Ländern, Glück gehabt. Auf uns wird kein Druck vonseiten der Regierung ausgeübt. Eher umgekehrt: Manchmal scheint mit, dass Amtspersonen mit uns betont diplomatisch umgehen und unseren Bitten besonders bereitwillig nachkommen. Für Sputnik ist die Arbeit in Deutschland angenehm.

Was hingegen die Kritiker angeht, so gibt es in der russischen Sprache eine aus dem Osten stammende Redensart, die am besten unser Verhältnis zu pauschalisierender Kritik beschreibt: „Der Hund bellt – die Karawane bewegt sich weiter“. Wir würden wahrscheinlich als Redaktion verrückt werden, wenn wird jedes Mal über Sputnik-Kritiken Reflexionen anstellen würden.

Wie eng stehen Sie mit der Zentrale in Russland in Verbindung? Koordinieren Sie die Berichterstattung mit Rossija Sewodnja in Moskau?

Sputnik berichtet in über 30 Sprachen. Die Koordination unserer Arbeit mit Moskau besteht darin, dass Vertreter aller Redaktionen einmal am Tag in einer Redaktionssitzung Themen diskutieren, die die Redaktionen behandeln werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Polunin.

Dieses Interview führte Ostexperte.de-Chefredakteur Thorsten Gutmann.

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Alle Fotos wurden zur Verfügung gestellt von Oleg Polunin, Chefredakteur von Sputnik Deutschland.