Russlands Wirtschaft: Günstige Frühjahrsprognosen für 2021

Die Rezession wird aufgeholt – Der Preisanstieg sinkt auf rund 4 Prozent

Einige Konjunkturdaten der letzten Wochen verstärkten Zweifel an einer raschen Erholung der russischen Wirtschaft. Wird sie in diesem Jahr tatsächlich so kräftig wachsen, dass der durch die Corona-Pandemie verursachte Rückgang des Bruttoinlandsprodukts weitgehend aufgeholt wird? Bald könnten die Leitzinsen angehoben werden, das würde die Erholung der Wirtschaft bremsen. Doch neue Umfragen bei Analysten zeigen keinen Rückgang ihrer Wachstumserwartungen – sie äußern sich zuversichtlich, dass sich die Erholung der Wirtschaft fortsetzt. Die Inflationsrate dürfte laut Zentralbank bald wieder sinken.

VEB-Institut: Russlands Bruttoinlandsprodukt stagnierte im Januar

Im Januar 2021 erholte sich Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion nach Berechnungen des Forschungsinstituts der Vnesheconombank nicht weiter. Nach einem starken Wachstum im Dezember stagnierte der Index des Bruttoinlandsprodukts im Januar saisonbereinigt auf dem im Dezember erreichten Niveau. Damit unterschritt das Bruttoinlandsprodukt im Januar 2021 den vor einem Jahr im Januar 2020 erreichten Stand noch um 1,7 Prozent.

Index des Bruttoinlandsprodukts (Januar 2014 = 100)

Vnesheconombank Institute:Gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Januar; 09.03.2020

Die Konjunkturerholung setzt sich 2021 aber fort

Laut Oleg Zasov, Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung des VEB Instituts, setzte sich die Erholung der russischen Wirtschaft aber auch im Januar insgesamt fort.

Saison- und kalenderbereinigt sank zwar die Industrieproduktion gegenüber Dezember laut den Berechnungen des VEB-Instituts um 2,3 Prozent. Auch im Transportbereich und im Großhandel gab es Rückgänge.

Der Einzelhandel verzeichnete aber einen starken realen Umsatzanstieg gegenüber dem Vormonat (+ 3,4 Prozent). Zuwächse gab es im Januar auch bei den Dienstleistungen, der Bauproduktion und der Strom- und Wärmeversorgung.

Die Stimmung in den Unternehmen ist besser als vor einem Jahr

Steigenden Optimismus zeigen auch Umfragen bei Unternehmen. Der Einkaufsmanager-Index für das Verarbeitende Gewerbe von IHS Markit stieg im Februar weiter an (rote Linie in der folgenden Abbildung). Auch die Umfragen der russischen Statistikbehörde Rosstat bei Unternehmen des Rohstoff-Bereichs (dunkel-blaue Linie) und der Verarbeitenden Industrie (hellblaue Linie) zeigen eine wachsende Zuversicht der Unternehmen.

Umfragen zur Stimmung in Unternehmen
von IHS Markit und Rosstat

Der Index für den Dienstleistungsbereich von IHS Markit sank nach einem kräftigen Anstieg nur geringfügig (siehe Lesetipps).

Zentralbank: Die Lockerung der Geld- und Fiskalpolitik stützt die Erholung

Auch die volkswirtschaftliche Abteilung der Zentralbank streicht in ihrem am 10. März veröffentlichten Bericht zu aktuellen Konjunkturtrends heraus, dass sich die Erholung der Wirtschaft am Beginn des Jahres vor dem Hintergrund einer Verbesserung der epidemischen Lage fortgesetzt habe. Dazu habe die „Lockerung“ der Geld- und Fiskalpolitik der Regierung beigetragen.

Die Lage in der Industrie sei zwar sehr unterschiedlich. In einer wachsenden Zahl von Branchen werde das vor der Corona-Pandemie erreichte Produktionsniveau inzwischen aber wieder übertroffen. Insbesondere die Stromerzeugung sei höher. In den meisten energieintensiven Branchen, vor allem im Verarbeitenden Gewerbe, werde mehr Strom verbraucht als vor der Pandemie. Das signalisiere die konjunkturelle Erholung und weiteres Wachstum.

Außerdem sei die Kreditvergabe an die Unternehmen im Januar/Februar hoch geblieben – begünstigt durch staatliche Hilfsmaßnahmen, eine unbürokratischere Vergabe von Krediten und die Lockerung der Geldpolitik.

Es würden auch mehr Konsumentenkredite vergeben. Bei höheren Einkommen wachse auch die Nachfrage der Verbraucher wieder.

Die Wirtschaft erholt sich rascher als in früheren Krisen

Die Erholung der russischen Wirtschaft signalisiert auch der vom Statistikamt Rosstat monatlich berechnete Index für die Produktion in „Basis-Branchen“(Landwirtschaft, Industrie, Bauwirtschaft, Verkehr, Einzel- und Großhandel).

Tatiana Evdokimova (Joint Vienna Institute) twitterte eine Abbildung zur langfristigen Entwicklung des Indexes von Anfang 2004 bis Dezember 2020. Sie ermöglicht einen Vergleich der „Corona-Rezession“ mit den Rückgängen der Produktion in der weltweiten Finanzkrise 2008/2009 und beim Einbruch der Ölpreise 2014/2015. In der „Corona-Rezession“ war der Index nur 8 Monate lang niedriger als ein Jahr zuvor. In den beiden vorangegangenen Rezessionen dauerte die Rückkehr des Indexes in den Wachstums-Bereich 12 Monate und 13 Monate.

Rosstat-Index der Produktion in Basis-Branchen
Veänderungen gegenüber Vorjahresmonat in Prozent

Als Folge des Lockdowns im Frühjahr 2020 war der Index im Mai 2020 noch 9,5 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. Im Dezember 2020 übertraf er seinen Vorjahresstand aber bereits wieder um 2,0 Prozent. Im Januar 2021 war der Index allerdings im Vergleich zum Vorjahresmonat wieder etwas niedriger (- 1,8 Prozent).

Analysten: Der „Corona-Rückschlag“ wird schon 2021 fast aufgeholt

Befragungen von Analysten ergaben im Februar/März übereinstimmend, dass Russlands Wirtschaft im Jahr 2021 den Produktionsrückgang des letzten Jahres um 3,1 Prozent fast aufholen dürfte. Die Umfragen der Moskauer „Higher School of Economics“, der Nachrichtenagentur Interfax und des Research-Unternehmens FocusEconomics lassen erwarten, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 2,8 bzw. 2,9 Prozent wachsen dürfte. Die OECD rechnet in ihrer am 09. März aktualisierten Prognose für 2021 mit 2,7 Prozent Wachstum in Russland.

Einige Beobachter gehen sogar davon aus, dass das Produktionsniveau des Jahres 2019 schon in diesem Jahr wieder überschritten wird. So hält die Commerzbank einen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 3,7 Prozent für möglich. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle rechnet mit einem Zuwachs um 3,3 Prozent und die DekaBank um 3,2 Prozent. Der Internationale Währungsfonds geht aktuell von einem Anstieg des BIP um 3 Prozent im laufenden Jahr aus.

Diese Prognosen liegen im Rahmen der Wachstumsspanne von 3 bis 4 Prozent, die die russische Zentralbank im Februar in ihrer Prognose für 2021 nannte. Dabei erwartet die Zentralbank einen Urals-Ölpreis von 50 Dollar/Barrel im Jahresdurchschnitt. Am 12.03. war der Urals-Preis mit rund 66 Dollar deutlich höher.

Wachstumsprognosen 2020 bis 2022

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

  202020212022 
Helaba, Frankfurt03/12/2021-3.132
Commerzbank, Frankfurt03/12/2021-3.13.72.2
OPEC, Wien03/11/2021-3.13
IWH Halle03/11/2021-3.13.32.6
FocusEconomics Consensus03/09/2021-3.12.92.6
ING Bank, Amsterdam03/09/2021-3.12.52.2
OECD, Paris03/09/2021-3.62.72.6
Berenberg Bank, Hamburg03/08/2021-3.32.82
DekaBank, Frankfurt03/05/2021-3.13.22.3
Interfax-Poll03/03/2021-3.12.82.1
Economist Intelligence Unit, London02/16/2021-3.12.52.1
HSE Consensus Forecast02/14/2021-3.12.82.4
Russische Zentralbank02/12/2021-3.1
Urals 42 $/b
3,0 bis 4,0
Urals 50 $/b
2,5 bis 3,5
Urals 50 $/b
Internationaler Währungsfonds02/09/2021-3.633.9
Rosstat, erste Schätzung 202002/01/2021-3.1
Haushaltsgesetz12/08/2020-3.9
Urals 41,8 $/b
3.3
Urals 45,3 $/b
3.4
Urals 46,6 $/b

Interfax-Umfrage: Industrieproduktion und Anlageinvestitionen steigen 2021

Die von Interfax befragten Analysten von 10 führenden russischen Banken und Instituten gehen bei ihrer durchschnittlichen Prognose für das diesjährige Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (+ 2,8 Prozent) davon aus, dass die Industrieproduktion um 3,6 Prozent zunimmt. Für Februar 2021 erwarten sie einen Rückgang der Industrieproduktion um 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Rosstat wird die Februar-Ergebnisse am 16. März mitteilen.

Die Anlageinvestitionen werden laut der Interfax-Umfrage 2021 voraussichtlich um 3,7 Prozent erhöht werden.

Analysten und Zentralbank erwarten einen baldigen Inflationsrückgang

Unerwartet stark hat sich in den letzten Monaten der Anstieg der Verbraucherpreise beschleunigt. Besonders schnell stiegen die Preise von Lebensmitteln, die sich gegenüber Februar 2020 um 7,7 Prozent verteuerten (RND-Bericht: „Kristallzucker und Sonnenblumenöl: Die Inflation bedroht Putins Macht“).

Zentralbankpräsidentin Nabiullina hatte bei der letzten Leitzinsentscheidung Mitte Februar nur mit einem Anstieg der jährlichen Inflationsrate auf bis zu 5,5 Prozent gerechnet. Bereits im Februar stieg der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat jedoch auf 5,7 Prozent (rote Linie in der folgenden Abbildung von FocusEconomics).

Veränderungen des Verbraucherpreisindex in Prozent
rote Linie: Veränderung gegenüber Vorjahresmonat (rechte Skala)
blaue Säulen: Veränderung gegenüber Vormonat (linke Skala)

FocusEconomics: Inflation hits highest level since November 2016 in February; 05.03.2021; Bildadresse: https://www.focus-economics.com/sites/default/files/Russia-Inflation-February2021_0.gif

Alexei Zabotkin, der Stellvertretende Präsident der Zentralbank, meinte am 11. März bei einer Online-Konferenz der „New Economic School“, dass sich der Anstieg der Verbraucherpreise in der ersten März-Hälfte wegen des niedrigen Vergleichswertes im Vorjahr noch etwas weiter beschleunigen könnte. Ab Mitte März sei aber mit einem merklichen Rückgang der Inflationsrate zu rechnen. Das berichtet Finmarket.ru.

Die Zentralbank erwartet in ihrer Mitte Februar veröffentlichten Prognose am Jahresende 2021 die Inflationsrate in einer Spanne von 3,7 bis 4,2 Prozent. Laut dem neuen Bericht der volkswirtschaftlichen Abteilung der Zentralbank („Talking Trends“) ist es inzwischen wahrscheinlicher geworden, dass die Inflationsrate am oberen Rand dieser Spanne, also bei 4,2 Prozent, liegen wird. Der Bericht verweist dazu auf den Anstieg der Erzeugerpreise von Konsumgütern und Befragungen von Unternehmen. Die Kosten der Unternehmen stiegen, auch wegen der Unterbrechung von Lieferketten durch die Pandemie.

Die von Interfax im Februar/März befragten Analysten erwarten bis zum Jahresende 2021 weiterhin einen Rückgang der Inflationsrate auf 3,8 Prozent. 2022 rechnen sie damit, dass die Zentralbank das von ihr angestrebte Inflationsziel von 4 Prozent erreicht.

Wann wird der Leitzins erhöht?

Die Analysten blieben in der Interfax-Umfrage im Durchschnitt bei ihrer Einschätzung, dass die Zentralbank bis zum Jahreende den Leitzins von 4,25 Prozent beibehalten dürfte. Erst für Ende 2022 rechnen sie mit einem etwas höheren Leitzins von 4,5 Prozent.

Olga Belenkaya, Leiterin der volkswirtschaftlichen Abteilung der FINAM-Group, rechnet hingegen damit, dass die Zentralbank den Leitzins bis zum Jahresende in ein oder zwei Schritten auf 4,5 bis 4,75 Prozent erhöhen dürfte. Wahrscheinlich werde sie ihn in ihrer April-Sitzung auf 4,5 Prozent anheben.

Sie macht darauf aufmerksam, dass die Differenz von Leitziins (4,25 Prozent) und Verbraucherpreisanstieg (5,7 Prozent im Februar) inzwischen auch in Russland deutlich negativ ist. Vor einem Jahr hatte der Realzins noch rund 3 Prozent betragen.

Real key rate of the Central Bank of the Russian Federation

Titelbild
Titelbild: Dmitry Serebryakov / Shutterstock.com

Lesetipps und Quellen:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Geldpolitik und Inflationsentwicklung:
Der Verbraucherpreisanstieg beschleunigte sich im Februar auf 5,7 Prozent

Weitere Zentralbank-Veröffentlichungen

Russlands Außenwirtschaft: Außenhandel, Ölpreis, Wechselkurs

Einkaufsmanager-Indizes im Februar insgesamt leicht gestiegen; PMI für das Verarbeitende Gewerbe verbessert sich deutlich bei leichtem Rückgang des PMI im Dienstleistungsbereich

Wöchentliche Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland

Vnesheconombank Institute:World Economy and Markets Review“ mit Russland-Themen:

Marina Voitenko; politcom.ru: Wirtschaftspolitischer Wochenrückblick; jeweils donnerstags

Sberbank: Wochenbericht „Global Economic News“ mit folgenden Russland-Themen:

BOFIT (Bank of Finland): BOFIT Weekly (Russland und China im wöchentlichen Wechsel; donnerstags finnische; freitags englische Ausgabe); BOFIT Russia Statistics

Sonstige periodische Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik

Weitere Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland

Deutsch-russische Wirtschaftsbeziehungen

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