Unicredit rechnet mit noch stärkerem Einbruch als die DekaBank
Russlands Bruttoinlandsprodukt wird 2022 laut einer Umfrage von FocusEconomics bei rund 30 Banken und Forschungsinstituten um 8,4 Prozent sinken. Die Spannbreite der Erwartungen ist aber noch sehr groß. Sie reicht bis zu minus 18 Prozent.
Der folgende Artikel gibt vor allem Hinweise zu den Konjunktureinschätzungen der Frankfurter DekaBank und der Unicredit. Die Mailänder Großbank rechnet derzeit mit einer deutlich stärkeren Rezession in Russland (- 11,8 Prozent) als der Durchschnitt der von FocusEconomics erfassten Prognosen. Außerdem berichten wir über die Preisentwicklung im März und die „unplanmäßige“ Senkung des Leitzinses der russischen Zentralbank von 20 auf 17 Prozent.
Wachstumsprognosen 2021 bis 2023
Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent
Die DekaBank erhöhte ihre Rezessionsprognose auf minus 8,5 Prozent
Schon Anfang März, also kurz nach dem Beginn der „militärischen Sonderoperation“ Russlands in der Ukraine, hat Daria Orlova, Russland-Expertin der DekaBank, eine erste Schätzung zum diesjährigen Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts gewagt (- 5,5 Prozent). In ihrem am Freitag in den „Emerging Markets Trends“ der DekaBank erschienenen monatlichen Bericht zur Entwicklung der russischen Wirtschaft rechnet Orlova jetzt mit einer Abnahme der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 8,5 Prozent. Um rund drei Prozentpunkte auf minus 8,4 Prozent gestiegen ist auch der Durchschnitt der im März in wöchentlichen Umfragen von FocusEconomics ermittelten Rezessionsprognosen.
Zudem warnt die DekaBank: Sie sieht bei ihrer Prognose noch „deutliche Abwärtsrisiken“. Orlova rechnet damit, dass die Sanktionen gegenüber Russland verschärft werden könnten. Sie verweist darauf, dass die USA bereits ein Öl- und Gasembargo verhängt hätten, während sich die EU im Hinblick auf ein Verbot von Energieeinfuhren aus Russland „zögerlicher“ zeige. Das gelte angesichts der wichtigen Rolle Russlands bei der Energieversorgung der EU vor allem im Hinblick auf Forderungen, die Einfuhr von Erdgas aus Russland zu stoppen.
2023 wird Russlands Produktion noch etwas weiter sinken
Eine schnelle Erholung der russischen Wirtschaft vom diesjährigen Einbruch erwartet die DekaBank nicht. Sie geht im Gegenteil davon aus, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion 2023 noch etwas weiter sinken dürfte (-1,5 Prozent). Insbesondere die breit angelegten westlichen Verbote von Technologieexporten nach Russland würden mittelfristig die Wachstumsperspektiven beeinträchtigen. Sowohl im IT-Bereich als auch im Transport-, Automobil- oder Maschinenbausektor hätten die Importe aus dem Westen für Russland eine „systemische Bedeutung“.
Rasche Erholung des Rubels
Nach dem Beginn der „militärischen Sonderoperation“ hatte der Rubel zunächst sehr stark an Wert verloren. Inzwischen hat er seine Kursverluste gegenüber US-Dollar und Euro jedoch mehr als wettgemacht (siehe TradingEconomics-Chart). Laut einem Bericht des russischen Finanzportals Finam.ru fiel der Preis für einen US- Dollar in Rubel im Verlauf des Handels am 08. April erstmals seit November 2021 wieder unter 72 Rubel. Der Preis für einen Euro sank erstmals seit Juni 2020 unter 78 Rubel.
Die folgende Abbildung der DekaBank lässt auch erkennen, wie schnell sich der Rubel von seinem Wertverlust gegenüber dem Dollar erholt hat.
DekaBank: „Emerging Markets Trends“; 08.04.2022
Zur Entwicklung des Rubels meint DekaBank-Analystin Daria Orlova:
„Der Wechselkurs wird derzeit faktisch nur von der Handelsbilanz bestimmt, die wegen eines massiven Importeinbruchs bei Fortführung eines Großteils der Rohstoffexporte deutlich im Plus ist.
Auch wenn die Aufwertung des Rubels in gewisser Weise künstlich herbeigeführt wurde, kann sie helfen, den massiven Inflationsanstieg auszubremsen (Verbraucherpreisanstieg seit Jahresanfang: 10%).“
DekaBank: Die jährliche Inflationsrate steigt 2022 auf 23,5 Prozent
Beim Vergleich mit dem Preisniveau in der Vorwoche hat sich der vom Statistikamt Rosstat berechnete Preisanstieg im März tatsächlich von Woche zu Woche verlangsamt. Während die Preise in der ersten März-Woche gegenüber der Vorwoche um 2,2 Prozent stiegen, betrug der Anstieg in der letzten März-Woche „nur noch“ 1,0 Prozent berichtet Interfax.
Im Vergleich zum Vormonat beschleunigte sich der Anstieg der Verbraucherpreise im März 2022 jedoch sehr stark auf 7,6 Prozent (Februar/Januar 2022: + 1,2 Prozent). Im Vergleich zum Vorjahresmonat März 2021 sprang die Inflationsrate auf 16,7 Prozent. Das war der stärkste jährliche Preisanstieg seit März 2015, so Interfax.
Die DekaBank schätzt, dass sich Anstieg der Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt 2022 reichlich verdreifachen wird und 23,5 Prozent erreicht (2021: + 6,7 Prozent). Zum Vergleich: Diese Inflationserwartung der DekaBank entspricht weitgehend dem in einer Interfax-Umfrage Anfang April ermittelten „Konsens“ (2022: +22,7 Prozent). in der FocusEconomics-Umfrage wird im Durchschnitt mit einer etwas geringeren Inflationsrate von 19,9 Prozent im Jahresvergleich 2022/2021 gerechnet.
Der Produktionseinbruch treibt die Arbeitslosigkeit in die Höhe
Aufgrund zahlreicher Stilllegungen von Betrieben erwartet die DekaBank 2022 einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosenquote auf 7,5 Prozent (2021: 4,8 Prozent).
Trotz der jüngsten Erholung des Rubel-Kurses rechnet die DekaBank im Jahresdurchschnitt 2022 mit einem Rückgang des realen Wechselkurses um 18,5 Prozent.
Statt des im Jahr 2021 verzeichneten kleinen Überschusses im Staatshaushalt, dürfte sich 2022 nach Einschätzung der DekaBank ein für Russland ungewohnt hohes Defizit von 6,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ergeben.
Russlands Leistungsbilanz dürfte hingegen angesichts des „massiven Importeinbruchs“ 2022 mit einem noch etwas höheren Überschuss schließen (8,5 Prozent des BIP) als 2021 (7,1 Prozent des BIP).
DekaBank: „Emerging Markets Trends“; 08.04.2022
Kurzfristiges Ziel der russischen Regierung wird nach Einschätzung der DekaBank sein, die Einkommensverluste der Bevölkerung zu kompensieren, „um keine Welle der sozialen Unzufriedenheit“ entstehen zu lassen.
Unicredit: Die Inflation steigt 2022 sogar auf 28,4 Prozent
Die Unicredit erwartet in ihrem Ende März veröffentlichten vierteljährlichen Bericht zur Entwicklung der Volkswirtschaften in Mittel- und Osteuropa allerdings in Russland in diesem Jahr einen Rückgang der Reallöhne um 5 Prozent. Dabei geht sie von einem noch stärkeren Anstieg der Verbraucherpreise als die DekaBank aus. Unicredit erwartet im Jahresdurchschnitt eine Inflationsrate von 28,4 Prozent.
Die folgende Abbildung der Unicredit zeigt, dass Mitte 2022 mit einem Anstieg der jährlichen Inflationsrate auf über 35 Prozent zu rechnen ist (obere rote Linie).
Verbraucherpreise (Anstieg gegenüber Vorjahr in Prozent)
und Entwicklung des Leitzinses (Prozent pro Jahr)
Unicredit: CEE-Quarterly 2 2022; 30.03.2022
Erkennbar ist in der Abbildung auch, dass Unicredit die am Freitag von der Zentralbank beschlossene Senkung des Leitzinses von 20 auf 17 Prozent offenbar erwartete (obwohl die jährliche Inflationsrate weiter anzieht).
Bis Ende 2023 wird der Leitzins laut Unicredit auf 10 Prozent gesenkt werden – bei einem Rückgang der Inflationsrate auf 7 Prozent. Die Inflationsrate wird auch dann noch deutlich höher sein als das von der russischen Zentralbank angestrebte Inflationsziel von 4 Prozent.
Unicredit: Das BIP sinkt 2022 um fast 12 Prozent
Während die DekaBank für 2022 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 8,5 Prozent erwartet, rechnen die Unicredit-Analysten Artem Arkhipov und Ariel Chernyy mit einer noch stärkeren Abnahme der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 11,8 Prozent (rote Linie in der folgenden Abbildung).
Die Unicredit-Analysten gehen dabei von der Annahme aus, dass Russland seine Öl- und Gasexporte in die EU fortsetzt, die EU also kein Einfuhrembargo verhängt und die russische Regierung die Lieferungen nicht von sich aus stoppt. Die Erlöse aus der Ausfuhr von Öl und Gas in die EU stellten 2021, so Unicredit, 22 Prozent der gesamten Exporterlöse Russlands.
Die Inlandsnachfrage dürfte laut Unicredit 2022 noch stärker sinken als das BIP. Erwartet wird eine Abnahme des privaten Verbrauchs um 15,2 Prozent und ein starker Rückgang der Anlageinvestitionen um 25 Prozent. Der öffentliche Verbrauch werde hingegen nur um 0,3 Prozent eingeschränkt werden.
Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts
Veränderung des Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent,
Beiträge von Verbrauch, Investitionen und Nettoexport in Prozentpunkten
Unicredit: CEE-Quarterly 2 2022; 30.03.2022
Merklich gedämpft wird der diesjährige Produktionseinbruch nach Einschätzung von Unicredit durch die außenwirtschaftliche Entwicklung. Russlands Einfuhren dürften fast doppelt so stark sinken (- 41 Prozent) wie die Ausfuhren (- 24 Prozent). Die Netto-Exporte leisten in diesem Szenario damit 2022 einen beachtlichen Wachstumsbeitrag (dunkelgrauer Säulenabschnitt).
2023 erwartet Unicredit auch bei einer Fortsetzung der Öl- und Gasexporte in die EU nur eine sehr schwache Erholung der Produktion (+ 0,4 Prozent).
Ein Energie-Embargo würde Russlands Wirtschaft sehr hart treffen
Unicredit skizziert auch ein „Negativ-Szenario“: Bei einem Stopp des Exports von russischem Öl und Gas in die EU kann der Einbruch des russischen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2022 20 Prozent überschreiten. Russlands Inflationsrate würde dann rund 50 Prozent erreichen.
Auch in einem „Positiv-Szenario“, bei dem ein baldiges Übereinkommen Russlands mit der Ukraine angenommen wird, kann nach Einschätzung von Unicredit eine Rezession im Jahre 2022 nicht vermieden werden. In diesem Fall werde die Erholung im Jahr 2023 aber kräftiger sein und der Preisanstieg niedriger.
Zentralbank senkt Leitzins von 20 auf 17 Prozent
Der Direktorenrat der Bank of Russia beschloss am 08. April überraschend, den Leitzins ab dem 11. April 2022 von 20 auf 17 Prozent pro Jahr zu senken.
In der Pressemitteilung der Zentralbank heißt es, die „externen Bedingungen für die russische Wirtschaft“ seien nach wie vor „herausfordernd“. Sie schränkten die Wirtschaftsaktivitäten erheblich ein.
Zur Inflationsentwicklung merkt die Zentralbank an, die jüngsten Wochendaten würden auf eine spürbare Verlangsamung des Preisanstiegs hindeuten. Ein Grund dafür sei die Entwicklung des Wechselkurses. Die jährliche Inflationsrate werde aufgrund des „Basiseffektes“ aber weiter steigen.
Die Zentralbank meint zu ihrer Geldpolitik, die von ihr und der Regierung aufgelegten Programme zur Erleichterung der Kreditaufnahme würden die „Verschärfung der monetären Bedingungen“ durch die Erhöhung der Zinsen teilweise ausgleichen. Ihre Geldpolitik werde die Inflationsrisiken weiterhin begrenzen.
Abschließend betont die Zentralbank ihre Offenheit für weitere Leitzinssenkungen. Die nächste Leitzinssitzung ist für den 29. April geplant.
Belenkaya: Zinssenkung soll auch exzessiven Anstieg des Rubels stoppen
Olga Belenkaya, Analystin der Finanzplattform Finam.ru, meint, die Zentralbank verfolge mit der Leitzinssenkung zum einen das Ziel, den konjunkturellen Bremseffekt der als „Notfall-Maßnahme“ Ende Februar vorgenommen Erhöhung des Leitzinses auf 20 Prozent zu schwächen. Zum anderen solle ein „exzessiver“ Anstieg des Rubel-Kurses verhindert werden.
Als Ursachen für die Erholung des Rubelkurses nennt Belenkaya u.a. die hohen Überschüsse in der Leistungsbilanz durch den Rückgang der Importe sowie die von der Zentralbank verhängten Beschränkungen des Kapitalverkehrs.
Viele Analysten rechnen laut Interfax beim nächsten Leitzinsentscheid Ende April mit einer weiteren Zinssenkung auf 15 Prozent.
Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:
- Russland stürzt 2022 in eine tiefe Rezession; 04.04.2022
- Die Prognosen für Russlands Rezession klaffen weit auseinander; 28.03.2022
- Tiefe Rezession bei hoher Inflation erwartet, 03.2022
- Zentralbank-Umfrage: BIP sinkt 2022 um 8 Prozent; Allianz-Szenarien; 14.03.2022
Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:
- Streitgespräch Hüther/Schnellenbach über Energie-Embargo; DIW-Studie zu Gas-Embargo
- Die ökonomischen Folgen der Krise analysiert Olga Belenkaya
- wiiw-Studie zu Krisenfolgen: Schäden für Ukraine und Russland enorm, Zeitenwende für Europa
- Manager Magazin Warum deutsche Konzerne ein sofortiges Energie-Embargo ablehnen