Experten zweifeln an Putins Plan für die Wirtschaft
In den letzten drei Monaten gab es in Russlands Wirtschaft zahlreiche Ereignisse: Erhöhung der Staatsausgaben auf über 100 Milliarden Euro, Erhöhung des Rentenalters, Erhöhung der Mehrwertsteuer von 18 auf 20% und neue US-Sanktionen wegen der Skripal-Affäre. Dennoch verändern sich die Wachstumsprognosen für die nächsten Jahre nur geringfügig, berichten Wirtschaftsexperten der Moskauer Higher School of Economics (HSE).
Nach Angaben des Zentrums für Entwicklung an der HSE bleibt Russlands BIP-Wachstum bis 2024 unter dem Niveau von 2% pro Jahr. Im Vergleich zum Frühjahr 2018 wurden die Konjunkturprognosen sogar leicht abgeschwächt. Auch der russische Rubel könnte schneller an Wert verlieren. Die Ereignisse der letzten Monate seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, berichtet HSE-Experte Sergej Smirnow.
Eigentlich sollte Russland bis 2024 zu den fünf größten Volkswirtschaften der Welt zählen. Kurz nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten unterzeichnete Putin die sogenannten „Mai-Verordnungen“, in denen diverse wirtschaftspolitische Ziele festgelegt wurden. Laut Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin könnte das BIP-Wachstum ab 2021 auf über 3% pro Jahr angehoben werden. Maßnahmen wie die Erhöhung des Rentenalters sollen die Entwicklung beschleunigen, doch viele Experten kritisieren die Reformen scharf.
Kritik an Putins „Mai-Verordnungen“
HSE-Expertin Natalia Akindinowa äußert Zweifel an den Plänen der russischen Regierung. In der Vergangenheit habe der Kreml mehrere Wirtschaftsprogramme ins Leben gerufen, die Wachstumsraten seien jedoch unverändert geblieben. Laut Chef-Ökonomin der Alfa-Bank, Natalia Orlowa, sei eine zuverlässige BIP-Prognose aufgrund von westlichen Sanktionen unmöglich. Auch ein aufkeimender Handelskrieg gegen Washington und eine mögliche Rezession in den USA dürften die langfristigen Entwicklungspläne Russlands unter Druck setzen.
Derzeit profitiere Russland von höheren Ölpreisen, doch die US-Sanktionen und die ab 2019 geplante Mehrwertsteuererhöhung seien dämpfende Faktoren, sagte Akindinowa. Die Erhöhung des Rentenalters dagegen dürfte keinen gravierenden Einfluss auf die Wachstumsraten haben. Ein weiterer Hemmfaktor sei die „Überstrapazierung“ des föderalen Budgets in den Bereichen Verteidigung, Infrastruktur, Renten, Sozialhilfe sowie Weltraumforschung, erklärten Experten des Zentrums für Strategische Forschung. Die aktuellen Wachstumsraten von 1,5 bis 2% seien nicht ausreichend, um wichtige Probleme wie Armut zu bekämpfen.
Laut Orlowa könnten auch die Währungskrise in der Türkei sowie neue US-Sanktionen schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft mit sich bringen. Vor allem der Vorschlag von Putin-Berater Andrej Beloussow, russische Metallurgie-, Chemie- und Petrochemiekonzerne mit Sonderabgaben in Milliardenhöhe zu belegen, werde sich negativ auf das Geschäftsklima auswirken. Offenbar hat die russische Regierung letztere Idee wieder über Bord geworfen, berichtet die Zeitung Wedomosti. Doch sie hat die Unsicherheit in Russland weiter verstärkt.