Ost-Ausschuss-Kolumne: Der lange Weg vom Export- zum Digitalisierungsweltmeister
Die deutsche Wirtschaft ist bestens aufgestellt. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind gut gefüllt. Der Einkaufsmanagerindex steigt seit Monaten. Es wird geradezu rauschhaft konsumiert. Der Export brummt. So sehr, dass uns unsere Nachbarn in Europa und in Amerika unlauteren Wettbewerb vorwerfen und vehement den Abbau des Exportüberschusses fordern.
Die Politik und ein Teil der deutschen Wirtschaft kontern diesen Vorwurf mit der einmaligen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und dem Mangel derselben in anderen Ländern. Nach dem Motto: Was können wir dafür, dass wir so erfolgreich sind und alle Welt deutsche Produkte kaufen will.
Die Zukunft gehört nicht der Kohle
In der Tat kommen die Rufe nach weniger Ex- und mehr Import vermehrt aus Ländern wie Frankreich, den Vereinigten Staaten, die in den vergangenen Jahrzehnten ihre Industrie aus Kostengründen zu großen Teilen ins Ausland verlagert haben und jetzt feststellen, dass dadurch nicht nur qualifizierte Arbeitsplätze verloren gegangen, sondern auch Expertise, Know-how und Wettbewerbsfähigkeit abgewandert sind.
Der Versuch diese Entwicklung wie in den USA rückgängig zu machen, mag punktuell und temporär Erfolg zeitigen. Wer allerdings glaubt, dass die amerikanische Wirtschaft durch die Eröffnung neuer Kohlegruppen und Stahlwerke wieder erblühen wird und sich der Rust Belt in den Nukleus einer neuen amerikanischen Montanindustrie verwandelt, der irrt. Kohle und Stahl sind schlicht nicht zukunftsfähig.
Innovative Unternehmen wollen keine Abschottung
Und das weiß man auch in den USA. Nicht zufällig fordern gerade die innovativen, in höchstem Maße konkurrenzfähigen, den weltweiten Standard bestimmenden Unternehmen aus der IT-Branche, den alternativen Energien, der Biotechnologie, der Pharma- und Medizintechnik das genaue Gegenteil der Trumpschen Politik.
Sie wollen offene Märkte, liberale Einwanderungsgesetze, den Wettbewerb der besten Ideen, Investitionen in den Ausbau der digitalen Infrastruktur, das Internet der Dinge und in Industrie 4.0, wie die Vernetzung der realen mit der digitalen Welt in Deutschland genannt wird.
In ländlichen Gegenden kein Empfang
Und hier führt der Link direkt zurück nach Deutschland. In den letzten Monaten wählte ich als Verkehrsmittel das ein oder andere Mal die Deutsche Bahn. Nein, keine Sorge, ich hebe jetzt nicht zur großen Klage über den Zustand dieses Verkehrsträgers an, obwohl es auch damit nicht zum Besten bestellt ist. Aber immerhin gibt es seit einiger Zeit auch in der 2. Klasse der ICE-Züge kostenfreien WLAN-Zugang.
Soweit so gut, allerdings bringt dieser Service wenig, wenn in großen Teilen der Republik, vorwiegend in den ländlichen Gegenden, schlicht kein Empfang garantiert werden kann oder die Datenübertragungsrate so niedrig ist, dass man dem Internet beim Arbeiten zuschauen kann. An kontinuierliche Arbeit mit Internet gestützten Programmen ist nicht zu denken.
Für Mittelständler existenzbedrohend
Für mich ist dieser Zustand ärgerlich, aber nicht wirklich bedrohlich. Ich kann auch damit leben, dass es in den meisten anderen Verkehrsmitteln kein freies WLAN gibt und man in Deutschland für Mobilfunk und Internet weit mehr zahlt in als in anderen Ländern bei schlechterer Qualität.
Für einen mittelständischen Betrieb allerdings ist dieser Mangel an Breitband-Internet, Datenübertragungsraten und stabilen Verbindungen existenzbedrohend. Die Diversifizierung des deutschen Mittelstandes hat auch eine geographische Komponente.
Nicht wenige der Weltmarktführer, der Hidden Champions oder weltweiten Zulieferer produzieren an Standorten fernab der großen Metropolen, eben dort, wo ihre historischen Wurzeln liegen. Was den Mittelstand sonst so stark macht, ist hier ein deutlicher Wettbewerbsnachteil. Mit ein bisschen Glück werden zwar mittlerweile Kupferkabel auch in ländlichen Gegenden verlegt, aber der Prozess ist langwierig- und Kupferkabel?
In Moskau wird Glasfaserkabel verlegt
In Moskau werden derzeit aus breiten Gehwegen sehr breite Gehwege. Für die Einwohner der Stadt und die zahlreichen Touristen ist dieser Umstand komfortabel, die Stadt wird attraktiver, der Volksmund kennt zahlreiche Anekdoten warum diese Umbaumaßnahme so konsequent vorangetrieben wird.
Entscheidender aber ist, dass unter diesen Platten PVC-Rohre verlegt werden. Dicke Rohre, durch die in allernächster Zukunft Glasfaserkabel gezogen werden, die eine noch schnellere Übertragungsrate ermöglichen, als die ohnehin schon hohe in der russischen Hauptstadt. Mein Handy zeigt mir 5G als Standard.
Yandex findet einen Parkplatz
Wer eine der Linien der Moskauer Metro benutzt, dem steht kostenloses WLAN zur Verfügung, so wie auf fast allen öffentlichen Plätzen, in Restaurants und Einkaufszentren. Die Parkuhr bezahlt man mit dem Handy, die Strafzettel im Übrigen auch, Kontoführung funktioniert seit Jahren digital und mobil und Videokonferenzen muss man nicht in eine Tageszeit verlagern, in der möglichst wenig Traffic abgerufen wird.
„Wenn Du willst, dann kannst Du über Yandex auch freie Parkplätze finden und das Navi lotst Dich dorthin“, erklärt mir der Taxifahrer. Der russische Browser bietet, natürlich kostenlos, auch eine Funktion ähnlich Google Maps an, die in Echtzeit die Verkehrssituation abbildet. In einer ewig verstauten Stadt ein unentbehrliches Hilfsmittel. Wirklich außergewöhnlich ist allerdings die Reaktionszeit.
Im Sekundentakt bildet das System die aktuelle Verkehrslage nach. Keine Suche nach GPS-Daten, kein Warten auf die Internetverbindung, keine Darstellungsprobleme. So stelle ich mir modernste Informations- und Kommunikationstechnologie vor. Dass es in Russland hervorragende Programmierer und IT-Experten gibt, ist kein Geheimnis, und ich meine damit nicht die finsteren Gestalten, denen man Namen aus der nordischen Mythologie gibt.
Europa digitalisiert sich schneller als Deutschland
Aber nicht nur in Russland ist man sehr viel weiter in der Nutzung digitaler Technologien als in Deutschland. Im gesamten Baltikum funktioniert E-Government ganz hervorragend. Übertragungsraten von 50 Mbit/s sind die Regel nicht die Ausnahme. Kinder werden in der Schule konsequent im Umgang mit digitalen Medien geschult, die dafür notwendige Hardware ist selbstredend vorhanden.
Ein Blick auf die russische Digitalisierung lohnt sich
Wenn der am Anfang beschriebene Zustand keine Momentaufnahmen bleiben soll, und die deutsche Wirtschaft auch in Zukunft Weltspitze sein will, muss hier dringend umgesteuert werden. Bis 2018 sollen nun alle deutschen Lande über Breitbandinternet verfügen und möglichst auch mit Glasfaserkabeln versorgt werden.
Noch ist das Zukunftsmusik. Bis es soweit ist, kann eine intensive Kooperation mit den russischen IT-Experten und dem gesamten Sektor nur von Vorteil sein. Der Ost-Ausschuss macht es mit seiner Digitalisierungsoffensive gemeinsam mit dem russischen Unternehmerverband RSPP vor. In diesem Fall können die deutschen Unternehmen in der Tat einiges von ihren russischen Kollegen lernen.
Es besteht nämlich keinerlei Grund zur Überheblichkeit sondern dringender Handlungsbedarf, wenn wir nicht nur Export- sondern auch Digitalisierungsweltmeister sein wollen. Ein Blick darauf, wie Digitalisierung in Russland funktioniert, kann da nur hilfreich sein.
Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.
Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu