Moskau. 10 – 18 Millionen Menschen leben in dieser Weltmetropole. Als das Flugzeug in Moskau-Domodedovo landet, kribbelt es bereits in meinem Inneren. Ich bin nun zum dritten Mal in dieser gigantischen Stadt. Diesmal wird der Aufenthalt jedoch nicht nur einen Monat dauern, sondern ein ganzes Jahr. Wie hat sich Moskau verändert, frage ich mich? Wird es genauso interessant und abwechslungsreich wie bei den letzten Besuchen? Ein wenig Nervosität breitet sich in mir aus. Aber es hilft ja doch nichts, denke ich mir. Ein Zurück gibt es nicht.
Ich stieg also aus dem Flugzeug und begab mich zur Passkontrolle. Hier angekommen musste ich bereits schmunzeln. „Nein, Moskau, zumindest in dieser Hinsicht hast du dich nicht verändert.“ Menschenmassen aus verschiedenen Ländern drängten sich an den spärlich besetzten Schalter. Die Passkontrolle lief schleppend und glich einem ziemlichen Durcheinander. Wer nach Russland reist, der sollte Geduld mitbringen. Ungeduldige Hitzköpfe werden hier nicht glücklich.
Ich, der Diplomat
Nachdem eine halbe Stunde vergangen war, ohne dass die Menschenflut abebbte, merkte auch das Personal allmählich, dass es eventuell eine bessere Idee wäre, mehr als nur zwei von fünf Schaltern besetzt zu halten. Denn jetzt kamen auch russische Staatsangehörige an die Kontrollschalter für ausländische Bürger und forderten lautstark mit russischem Temperament Sonderrechte. Schließlich seien sie Bürger dieses Landes. Nach einem Streit mit dem Personal, in dem mitunter gedroht wurde, sämtliche Schalter zu schließen, wurde dann zur Erleichterung aller, ein weiterer Schalter geöffnet. Ich staunte nicht schlecht, als statt einem der unbesetzten benachbarten Schalter, der Diplomatenschalter geöffnet wurde. Mit einer Gruppe anderer Passagiere wechselte ich gleich dorthin. „Nun bin ich also Diplomat,“ dachte ich mir. Als ich nach einer knappen Stunde durch die Passkontrolle war, glaubte ich zunächst das Schlimmste hinter mir zu haben. Doch dies sollte sich als Irrtum erweisen…
Wo ist mein Gepäck? Oder: Wie geht Ordnung auf Russisch?
Als ich zur Gepäckausgabe kam, die Überraschung! Mein Flug war auf keiner Anzeigetafel der Gepäckausgabe zu finden. Offenbar hatte man das Ausgabeband bereits von den Koffern meines Fluges geleert, um Platz für das Gepäck anderer Flüge zu schaffen. Verglichen mit der Passkontrolle ähnelte dieses Szenario mit einer großen Zahl lauter, hektisch suchender Passagiere, einem Schlachtfeld. Nun waren meine beiden Koffer also irgendwo im Getümmel in dieser großen Halle. Auch wollten die Verantwortlichen einem anscheinend den Spaß am Suchen nicht verderben, denn anstatt sämtliches Gepäck meines Fluges an einem Ort zu sammeln, wurde dieses auf viele kleine „Kofferhäufchen“ im Saal verteilt, die ich nun einzeln absuchen durfte. Für Unterhaltung war somit jedenfalls gesorgt.
Als ich auch nach einer halben Stunde nur einen der beiden Koffer wiedergefunden hatte, beschloss ich, mich an einen der Diensthabenden zu wenden die im Chaos‘ hektisch über ihre Funkgeräte Anweisungen gaben. Dieser verwies mich fast kommentarlos zur Lost & Found-Stelle. Als ich dort ankam, sah ich bereits zahlreiche Touristen Formulare ausfüllen und mich beschlich das mulmige Gefühl, dass mein Koffer den Flughafen womöglich mit einem neuen Besitzer verlassen haben könnte. Vom Lost & Found-Büro ging es zurück zur Gepäckausgabe, mit der Begründung, dort könne mir besser weitergeholfen werden. Ich beschloss, eine weitere Runde durch die Halle zu drehen. Und als ich schon fast nicht mehr daran glaubte, sah ich ihn: mein Koffer stand versteckt in der hintersten Ecke. Glück gehabt! Nichts wie raus aus dem Flughafen und endlich frische Moskauer Luft atmen.
Mit zwei Koffern gegen den Rest von Moskau
Bevor ich mich ins turbulente Moskauer Leben stürzen konnte, galt es noch eine letzte Frage zu klären: „Wie komme ich am besten vom Süden in den Norden der Stadt?“ Denn mein Wohnheim befand sich nicht im Zentrum, sondern nördlich von Moskau, genauer gesagt in Mytischtschi, einem Ort im Moskauer Umland. Nun hätte man den Flughafenzubringer Aeroexpress von Domodedovo ins Zentrum nehmen können. Dieser benötigt jedoch mindestens 45 Minuten. Weshalb nicht gleich ein Taxi? Von meinen letzten Moskauaufenthalten wusste ich jedoch: Die Taxis an den Moskauer Flughäfen sind stark überteuert und man braucht sich nicht zu wundern, wenn man am Ende das Doppelte des vereinbarten Preises zahlt und trotzdem nicht dort ankommt, wo man hin wollte.
Deshalb entschied ich mich für eine andere Art von Transportmittel: für eine Marshrutka. Marshrutkas sind eine Mischung aus Taxi und Bus. Genauer gesagt sind es Kleinbusse, die eine vorgegebene Route abfahren, aus denen man jedoch jederzeit auf der Strecke aussteigen kann. Ein in Russland weit verbreitetes, überaus beliebtes und deshalb vielleicht typisch russisches Transportmittel. Die Fahrt ist außerdem nicht besonders teuer, mit gerade einmal 120 Rubel (circa 2,70 €) ist sie die günstigste Variante, und sie dauert auch nur etwa 30 Minuten. Also auf ins Zentrum!
Um aus der Innenstadt endlich zu meinem Wohnheim zu kommen, musste ich noch auf die berühmte Moskauer Metro umsteigen. Viele der Metrostationen sind von innen prunkvoll ausgestattet und sehr schön anzusehen. Gerade im Zentrum wirken viele Stationen wie unterirdische Paläste. Sie sind definitiv einen oder auch mehrere Blicke wert!
Aufgrund meiner früheren Aufenthalte und der einprägsamen farbigen Kennzeichnung der einzelnen Metrolinien fiel mir die Orientierung nicht schwer. Schwerer hingegen waren meine beiden Koffer, die ich hinter mir her schleifen musste. Fahrstühle gibt es dort nicht. Viele Stationen haben Rolltreppen, doch gerade beim Übergang auf eine andere Linie, dominieren klassische Treppen. Mit je 20 Kilo zu meiner Rechten und Linken ging es die Stufen hinab.
Als die anderen Leute bemerkten, wie sehr ich mich mit meinen Koffern abmühte, dauert es nicht lange und jemand bot mir Hilfe beim Tragen an. Ich akzeptierte dankend. Dabei fiel mir sogleich das Klischee von den „unfreundlichen Russen“ ein. Ein Vorurteil, das im Ausland weit verbreitet scheint. Nachdem ich mich erfolgreich durch die Metro gekämpft hatte, konnte ich erst einmal etwas durchatmen.
Doch meine Reise zu meinem Unterbringungsort war noch nicht vorbei. Eine Fahrt stand mir noch bevor. Da sich mein Wohnheim, wie bereits erwähnt, im Moskauer Umland befand, bedeutete dies: eine Fahrt mit der Elektrichka. Elektrichki ähneln einer Kombination aus Berliner S- und Regionalbahnen. Nur spartanischer und weniger komfortabel. Also noch einmal die Koffer aus der Metro und ab zum Bahnhof. Dieser befand sich glücklicherweise in unmittelbarer Nähe zur Metro. Etwa eine Stunde später war ich endlich im Wohnheim angekommen.
Moskau, eine Weltstadt
Schon als ich meine erste Reise nach Russland plante, wurde mir häufiger von Freunden die Frage gestellt: Wieso eigentlich Russland? Ist es dort nicht gefährlich? Auch meine Eltern sorgten sich über meine Entscheidung nach Russland zu gehen. So wurden mir jene Fragen auch nun wieder gestellt: „Wieso möchtest du denn wieder nach Russland, und diesmal für ein ganzes Jahr? Willst du nicht lieber in ein anderes Land?“ Und auch hier kamen wieder einmal die berühmten Vorurteile zum Vorschein: „die trinken doch nur, da wird nur betrogen, dort ist es gefährlich,“ etc…
Zugegeben, ich war zunächst selbst etwas skeptisch. Mir waren die vielen Negativschlagzeilen aus Russland nicht unbekannt. Doch bereits während meiner Schulzeit in Berlin war ich mit der russischen Sprache und Kultur in Kontakt gekommen und wusste, dass ich Russland einmal hautnah erleben wollte. Zuvor hatte ich schon als kleiner Junge im Fernsehen „diese schöne bunte Kathedrale“ (die Basiliuskathedrale auf dem roten Platz) gesehen und träumte davon, einmal selbst dort zu sein, auch wenn ich damals noch nicht wusste, wo sie sich befand.
Im Rahmen meines Studiums und meiner Aufenthalte in Moskau, Perm und Irkutsk stellte ich fest, wie übertrieben die Vorurteile gegenüber Russland und seinen Menschen sind. Natürlich ist in Russland bei weitem nicht alles perfekt und gibt es eine Menge Nachholbedarf bei fast allem. Aber Moskau zum Beispiel, hat sich inzwischen weitgehend zu einer modernen Metropole gewandelt. Es erscheint mir hier nicht gefährlicher, als in anderen Millionenstädten wie Berlin, London oder Paris.
Vielleicht hat die Stadt über die letzten Jahre wegen der unzähligen Neu- und Umbauten etwas an ihrem russischem Charme eingebüßt und ist sicher auch keine typische russische Stadt wie Perm oder Irkutsk. Viele Niederlassungen ausländischer Firmen und Ketten prägen nun das Moskauer Bild. Es gibt hier wahrscheinlich mehr McDonald’s Restaurants auf einem Fleck als anderso auf der Welt. Aber Moskau bewegt sich als wirtschaftliches Zentrum des Landes mit der Ausrichtung von renommierten Messen, Sport- und Kulturveranstaltungen erfolgreich auf internationalem Parkett und kann zweifelsohne als „Weltstadt“ bezeichnet werden.
Wer sich von der harten Schale der Russen nicht abschrecken lässt, der wird ziemlich schnell die Vorzüge ihrer Kultur kennenlernen: Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit, um nur einige zu nennen. Das habe ich bei meinen russischen Kommilitonen selbst erlebt. Ich verbringe gerne Zeit mit Ihnen und ob ein Besuch in einer Bar, im Kino oder ein geselliger Abend in netter Runde – jedes Treffen ist für mich ein positives und interkulturelles Erlebnis! Außerdem lernt man auf diese Weise wunderbar russisch.
Somit kann ich jedem nur raten, die Vorurteile zu beiseite zu legen und selbst einmal nach Russland zu gehen: Das Leben in Moskau und in Russland ist abwechslungsreich und spannend. Man findet immer neue Möglichkeiten, seine Zeit sinnvoll zu verbringen und sammelt unvergessliche und einzigartige Erfahrungen und Eindrücke. Ich jedenfalls habe meine Entscheidung für das Russlandstudium nicht bereut und bin sehr froh, dass ich mich nicht von anderen habe umstimmen lassen! Also, überzeugt Euch selbst und kommt nach Russland!
Autor: Lukas Reichenstein, RUFIL CONSULTING
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