Die Münchener Sicherheitskonferenz am Wochenende hat nur in einem Punkt Klarheit gebracht: Der Westen steckt weiter in der Krise. Und er ist tief gespalten. In München versammelt war die konservative Fraktion der Bewahrer. Festhalten am Bewährten und Bewährtes aufwerten, das ist ihre Devise: die NATO stärken, die EU einigen. Rettung durch Eigenblutinfusion. Oder auch: im Wald laut pfeifen.
Weitgehend außen vor in München blieben jene, die nach Alternativen suchen, weil sie spüren: Mehr weiter so geht nicht. Der Versuch, Europa politisch zu einigen, ist gescheitert. Der Kontinent bewegt sich auseinander. Erneut wirken historische Triebkräfte, kulturell, national und religiös, und überlagern den geschichtlichen Augenblick nach dem Krieg, als die Völker vernunftbewegt auf Einheit drangen.
Hinzu kommt die Erkenntnis, dass das „Projekt Westen“ außerhalb der europäisch geprägten Welt allenfalls äußerlich angenommen wird: Mode, Technologie, Lebensstil. Gerade die großen nichteuropäischen Länder wie China, Indien oder Russland fördern bewusst ein jeweils eigenes, auf der eigenen Geschichte basierendes Selbstverständnis.
Im Demokratieexportland USA hat diese Erkenntnis zu verbreitetem Isolationismus geführt. Die Auseinandersetzung von Isolationisten und Internationalisten lähmt die amerikanische Politik.
Aber auch die Freiheit und die daraus abgeleiteten „europäischen Werte“ als wesentliche Klammer westlicher Identität taugen nicht mehr angesichts einer überbordenden kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Beliebigkeit. Binnen weniger Jahrzehnte hat der Westen einen Großteil seiner geistigen Substanz verspielt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte völlig recht, in München von einem „postwestlichen“ Zeitalter zu sprechen. Es ist längst angebrochen.