Kolumne: Das Verbindende in den Vordergrund rücken!

Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik

Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute mit einem Blick auf mitunter skurrile Prognosen fürs neue Jahrzehnt und auf die Gemeinsamkeiten der deutschen und russischen Wirtschaft.

Die neuen Goldenen Zwanziger

Da sind wir also im Jahr 2020. Oder in den Goldenen Zwanzigern, wie der ein oder andere in nostalgischer Verklärung das angebrochene Jahrzehnt nennt. Aus persönlicher Anschauung werden die Wenigsten noch über Erfahrungen des Originals verfügen. Dafür gibt es jede Menge seriöse und andere Experten, die unaufgefordert ihre Projektionen feilbieten. Zu den eher humoristischen zählt die Vorhersage, dass wir alle in einen neuen Bewusstseinszustand eintreten werden. Wenn ich die Gerüche bei meinen Nachbarn richtig deute, gelingt das dort schon lange. Eher kurios wird’s, wenn die Phantasie mit den Autoren durchgeht. Die einen sehen die „fetten Jahre“ erst noch kommen, für den deutschen Finanzminister sind sie perdu. Zu diesem Urteil kommt er angesichts von Steuermehreinnahmen von 19 (!) Milliarden Euro im abgelaufenen Jahr. Halbleerer kann ein Glas gar nicht sein.

Vorhersagen und Wunder

Es geht aber auch esoterisch. Ein nicht näher bezeichneter Autor sagt für 2024 die endgültige Ankunft der Außerirdischen voraus, andere glauben sie sind schon lange da. Und wieder andere, der Chef der Außerirdischen sei Donald Trump – interessante Vorstellung, würde vielleicht auch einiges erklären. Selbst der olle Nostradamus hält noch ein bisschen Gruseliges für dieses Jahr bereit: „Höllenlärm, Monster und nächtliche Himmelserscheinungen“. Mann, das ist in Berlin Alltag! Entschuldigend muss man sagen, das konnte er nicht wissen. Nostradamus ist schon ein halbes Jahrtausend tot. Allerdings: Niemand, aber auch wirklich niemand hat vorhergesagt, dass die russische Regierung hinschmeißt und den Weg frei macht für einen Neuanfang, der russische Präsident die Macht des eigenen Amtes schwächen will und der Duma mehr Befugnisse zuerkannt werden sollen.

Russische Präsenz auf der Grünen Woche

Gute Gründe, dass die Gerüchteküche infernalisch brodelt. Was man mit Sicherheit sagen kann ist, dass die wirtschaftlichen Grundtendenzen der letzten Jahre fortgeführt werden. Eine ist der verstärkte Export von Industriegütern und Waren jenseits von Öl und Gas. Die noch laufende Internationale Grüne Woche ist ein gutes Beispiel für diese Bemühungen. Der Pavillon mit der Aufschrift „Made in Russia“ ist – nun sagen wir – ziemlich groß. Daneben liefern sich ein russischer Chor und ein usbekisches Gesangsensemble, dessen hauptsächliche Instrumentierung Percussions sind, einen Wettstreit im laut sein. „Höllenlärm“, Sie erinnern sich. Wirklich auffällig aber ist die enorme Präsenz der russischen Regionen. Moskau sowieso, aber auch Samara, Orenburg, Krasnodar, der Altai, Woronesh, Uljanowsk u.a. stellen aus und drängen mit Macht auf den deutschen Markt. Etliche der angebotenen Produkte haben durchaus das Potential ihre Käufer auch in Europa zu finden. Angetrieben wird dieser Trend sicher auch von enorm hohen staatlichen Förderungen.

Frischer Wind in den Beziehungen

Was man allerorten spürt ist die Erschöpfung, über Sanktionen und andere Handelshemmnisse zu diskutieren. Vielmehr sind die Gespräche von dem Wunsch getragen, einen Neuanfang zu wagen und das Verbindende wieder in den Vordergrund zu rücken. Sicher, politisch wird ein solcher Schritt noch einer längeren Vertrauensbildung bedürfen, aber es wäre ja nicht das erste Mal, dass die Wirtschaft den Anfang macht. Jedenfalls ist es außerordentlich erfreulich, so etwas wie frischen Wind in den bilateralen Beziehungen zu spüren. Die so umworbenen Deutschen reagieren erstaunlich aufgeschlossen auf derartige Offerten. Das mag auch daran liegen, dass die Handelsbeziehungen mit traditionellen Partnern ein wenig in Stocken geraten sind und der heimische Markt zunehmend überreguliert erscheint.

Deutschland ganz oben bei Bloomberg

Ähnlich wie in Russland suchen die Unternehmen ihr Heil zunehmend im Export. Das funktioniert, weil Deutschland anders als in der Wahrnehmung der Deutschen selbst, eine der innovativsten Volkswirtschaften überhaupt ist. Bei Bloomberg nimmt es zum ersten Mal sogar die Spitzenposition ein, die in den letzten sechs Jahren die Südkoreaner innehatten. Der Index misst Faktoren wie Investitionen in Forschung und Entwicklung, die Konzentration von Wissenschaftlern und Hightech-Firmen, die Leistungsfähigkeit produzierender Unternehmen und die Zahl der Patentanmeldungen. Wenn wir jetzt noch schnelles Internet bekommen, muss einem um den Innovations- und Produktionsstandort Deutschland nicht bange sein. Die Autoren geben Deutschland aber auch eine klare Empfehlung mit auf den Weg: „The German government would be well advised to use the ongoing fiscal surplus to invest and safeguard Germany’s role as innovator.” 19 Milliarden sind da ein schönes Sümmchen, um den Standort zu stärken und zu sichern.

Produktivität und Forschung sind die Sorgenkinder

Russland liegt im Ranking auf Position 26, hinter Polen und vor Malaysia. Besonders großer Nachholbedarf besteht bei der Produktivität und in der Forschung. Die Lösung liegt in diesem Fall nicht in der Kooperation mit China. Die Volksrepublik rangiert aktuell auf Platz 15, aber auch dort mangelt es besonders an der Produktivität und der Wissenskonzentration. Daran wird auch das aktuelle Jahr der Metallratte im chinesischen Kalender wenig ändern. Und das, obwohl der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und seit 2013 Staatspräsident, Xi Jinping die internationale Industrie- und Wissenschaftsführerschaft für das Reich der Mitte ausgerufen hat. Grund genug für Deutschland, das aktuelle deutsch-russische Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft mit ein wenig mehr Leben zu füllen.

Große Mehrheit für Lissabon-Wladiwostok

Denn fragt man die deutschen Unternehmen, dann spricht sich eine sehr große Mehrheit für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum vom Atlantik bis zum Pazifik und für eine stärkere Kooperation zwischen EU und EAWU aus. Der aktuelle Geschäftsklima-Bericht zeigt darüber hinaus, dass 85 Prozent die Zunahme der chinesischen Wettbewerber auf dem russischen Markt als Herausforderung für das eigene Geschäft ansehen. Eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Russen könnte da durchaus gemeinsame Interessen bedienen. Glaubt man den Auguren der Kremlpolitik, dann soll es neben den offiziellen Gründen für den Rücktritt der Regierung auch eine gewisse Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung und dem schleppenden Vorankommen der nationalen Projekt gegeben haben. Die aber lesen sich wie das ideale Betätigungsfeld für deutsche Unternehmen.

Titelbild
Titelbild: Michael Parulava / Unsplash
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