Kauft Russisch!

Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik

Die russische Regierung lässt fast nichts unversucht, um die heimische Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. In Teilen gelingt das auch. Einige Maßnahmen erwecken allerdings eher den Eindruck, Geld fürs Staatssäckel einzusammeln, andere Markteingriffe vermögen selbigen nicht zu steuern. Eine Entspannung im Verhältnis zum Westen würde manches wirtschaftspolitisch und makroökonomisch deutlich leichter machen.

Dynamik und Moderne

Seit einigen Jahren sind in Russland Road Maps (дорожные карты – „doroschnye karty“) sehr en vogue. Die direkte Entlehnung aus dem Englischen soll wahrscheinlich einerseits Modernität und andererseits Dynamik suggerieren. Sicher war das auch die Intention bei der Verabschiedung des zweiten Pakets zur Unterstützung des IT-Sektors. Er verpflichtet in erster Linie staatliche Institutionen zum Kauf sogenannter vaterländischer Technik und Software. Damit soll die Digitalisierung in Russland beschleunigt werden, Innovation gefördert und so wörtlich „eine komfortable Situation“ für die russische IT-Wirtschaft geschaffen werden. Etwas unfreundlicher würde man das als Marktprotektionismus und Diskriminierung ausländischer Anbieter bezeichnen. Im Ganzen erinnert die Road Map an die Fünfjahrpläne sowjetischer Provenienz, denn die erwarteten Resultate, die erforderlichen Dokumente und wer die Vorgaben wie erfüllen soll, ist natürlich auch festgelegt. Eine der „innovativsten“ Maßnahmen ist die geplante Einführung einer Digitalsteuer ab November. Von Wettbewerb ist herzlich wenig zu lesen.

Der Staat will mitverdienen

Das fügt sich nahtlos in einen Katalog von Maßnahmen, die offensichtlich nur der Steigerung der Einnahmen dienen sollen. Seit 1. August erhebt der Staat Ausfuhrzölle auf russische Metallexporte, die vorerst bis zum Jahresende gelten sollen. Damit will der Souverän seinen Teil am derzeitigen Rohstoffpreis-Boom abschöpfen. Die russischen Produzenten, fast ausnahmslos aus der Privatwirtschaft, sehen in dieser Maßnahme einen klaren Wettbewerbsnachteil. Die sensationelle Begründung für den Zoll sind die stark gestiegenen Preise auf dem Weltmarkt, vor denen man die russischen Verbraucher schützen müsse. Die würden sich sicher besser geschützt fühlen, wenn die Lebensmittelpreise nicht weiter steigen würden. Übrigens ist auch das eine Folge eines willkürlichen staatlichen Eingriffes, denn seit Jahresbeginn gelten Ausfuhrbeschränkungen für Lebensmittel und Agrarprodukte. Damit wollte man die Binnenpreise stützen und erreichte das genaue Gegenteil. Den Verlust aus dem Export kompensierten die Hersteller mit höheren Preisen im Inland. Staatliche Regulierung und Privatwirtschaft passen halt nicht wirklich zusammen.

Verknappe das Angebot und der Preis steigt

Denn wie wenig sich internationale Märkte und Entwicklungen vorhersehen, regulieren und beeinflussen lassen, machte die Anfang August von Präsident Putin angeordnete Lebensmitteleinfuhr aus den GUS-Staaten deutlich, um die Binnenmarktpreise zu stabilisieren. Selbst innerhalb Russlands bestimmen Angebot und Nachfrage die Preisbildung, da helfen Weisungen an die Antimonopolbehörde wenig, die Preise im Land zu kontrollieren. Die exorbitanten Preissteigerungen für Container, Logistik und Rohstoffe als Folge der gestörten Lieferketten während und nach Corona haben der Welt gerade eben vor Augen geführt, wie Marktwirtschaft funktioniert. Verknappe das Angebot und der Preis steigt. Das gilt ausnahmslos in allen Ländern.

Durchschnittseinkommen auf Hartz-IV-Niveau

Das schmerzt vor allem den ärmeren Teil der russischen Bevölkerung. Denn die frei verfügbaren Einkommen sind seit 2013 rückläufig. Dabei lohnt sich ein Blick auf die Definition Armut, Mittelschicht, Existenzminimum und Konsumverhalten. Das Durchschnittseinkommen beläuft sich auf ungefähr 36.000 Rubel, beim gegenwärtigen Wechselkurs etwa 420 Euro. Zum Vergleich: Der sogenannte Hartz-IV-Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen beträgt in Deutschland augenblicklich 449 Euro. Das Existenzminimum gibt das russische Arbeitsministerium mit 11.653 Rubel, etwa 135 Euro an. Unter diesen Umständen sind viele Russen gezwungen, das Billigste zu kaufen, was es im Supermarkt oder im Internet zu bestellen gibt, oder ausgiebig den heimischen Garten zur Selbstversorgung zu nutzen. Größere Anschaffungen, so sie überhaupt getätigt werden, sind in die Zukunft verschoben. Das wiederum hat direkte Auswirkungen auf den Binnenkonsum. Der Russen liebstes Konsumgut, das Auto, wird deshalb augenblicklich eher gebraucht als neu gekauft. Magere 1,6 Millionen Neuwagen wurden in Russland 2020 verkauft.

Die Russen lieben deutsche Autos

Die meisten davon aus dem Hause Avtovaz, in Deutschland besser bekannt als Lada. Dabei lieben die Russen, wie viele andere Nationen auch, deutsche Autos. Die Straßen in den großen Städten sind voll von Luxuskarossen aus Bayern und Baden-Württemberg. Aber die Schicht, die sich dieses Vergnügen leisten kann, ist doch eher dünn. „Kauft Russisch“ ist deshalb weniger ein patriotisches Statement, als der reinen Not gehorchend. Und das gilt nicht nur beim Autokauf. Einstmals beliebte Lebensmittel aus dem „Westen“ sind einerseits durch Einfuhrverbote belegt, und wo sie erhältlich sind, aufgrund des schwachen Rubels teuer. Ähnlich stellt sich die Situation auch in der Industrie dar. Dort gesellen sich zum rein preislichen Aspekt noch Ausfuhrsanktionen, Einfuhrbeschränkungen, Finanzierungsschwierigkeiten und Lokalisierungsanforderungen. Am Ende eine toxische Melange, die trotz aller Versuche der russische Markt nicht mit adäquaten Angeboten kompensieren kann. Das führt zu teilweise interessanten Beschaffungsstrukturen und einem weiteren Verlust an Wettbewerbsfähigkeit.

Zeit für einen Wechsel

In Russland wurde bereits gewählt, in Deutschland steht uns das Vergnügen erst noch bevor. Auffällig ist, dass die Töne aus Russland seit einiger Zeit etwas versöhnlicher zumindest gegenüber Europa, wenigstens gegenüber Deutschland ausfallen. Was immer der Grund sein mag, die Europäer sollten das Momentum nutzen. Wie sehr sich die geopolitische Situation ändert und wie wenig man sich auf alte Gewissheiten verlassen kann, macht der jüngste U-Boot-Deal mit Australien deutlich. Der Blick der USA geht schon seit einiger Zeit eher in Richtung Pazifik als in Richtung Atlantik. Es wird also allerhöchste Zeit, dass sich die EU, dass wir Deutsche uns auf den Heimatkontinent konzentrieren und hier Bündnisse schmieden. Politisch ist in Russland erst einmal Ruhe eingekehrt, vielleicht geht damit ja auch ein wenig mehr Kompromissbereitschaft einher.

Der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de.

Titelbild
Russischer Wein im Angebot. Quelle: PhotoChur I Shutterstock.com