Kasachstan: Wirtschaftswachstum beschleunigt sich 2023 auf 3,5 Prozent

Kasachstan profitiert als Zwischenhändler von den Russlandsanktionen und steigert zudem seine Ölexporte: das stabile Wachstum der kasachischen Wirtschaft setzt sich fort und könnte im kommenden Jahr noch zunehmen. Die aktuellen Konjunkturprognosen im Überblick.

Zu Russlands südlichem Nachbarstaat Kasachstan liest man derzeit vor allem Stichworte wie „Re-Exporte“ oder „Grau-Importe“. Es geht dann um die Frage, welche Rolle Kasachstan als „Zwischenhändler“ bei der Lieferung von sanktionierten Waren an „Endkunden“ in Russland spielt. Dass Teile des deutschen Russland-Handels inzwischen über Kasachstan abgewickelt werden, signalisiert schon die deutsche Außenhandelsstatistik. 2022 haben sich die deutschen Ausfuhren nach Russland fast halbiert. Gleichzeitig haben sich die deutschen Ausfuhren nach Kasachstan fast verdoppelt.

Das Wachstum der Wirtschaft Kasachstans erhält vom Zwischenhandel mit Russland Impulse, wie auch von der Zuwanderung aus Russland. Als wichtiger Ölexporteur profitierte Kasachstan 2022 auch von den krisenbedingt gestiegenen Ölpreisen. Zur konjunkturellen Entwicklung Kasachstans hat nach der Weltbank jetzt auch das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) neue Prognosen veröffentlicht.

WIIW: Inlandsnachfrage beschleunigt Kasachstans Wachstum auf 3,5 Prozent

Das Wiener Institut erwartet in seiner Frühjahrsprognose für die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropa (MOESL), dass sich das Wachstum der kasachischen Wirtschaft verstärkt. 2023 werde der reale Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 3,2 Prozent auf 3,5 Prozent anziehen. 2024 und 2025 erwartet das wiiw ein weiteres Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion um jeweils 4 Prozent. Die Impulse für das Wachstum Kasachstans werden nach Einschätzung des wiiw von der Inlandsnachfrage kommen.

Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche: Country Overview Kazakhstan; 25.04.23

Die Entwicklung der Ausfuhren aus Kasachstan werde vom angenommenen Rückgang der Ölpreise beeinträchtigt werden. Es sei zu erwarten, dass der 2022 erreichte Leistungsbilanzüberschuss von fast 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von einem wachsenden Leistungsbilanzdefizit abgelöst werde.

Die In Kasachstan geplanten Investitionen in die Infrastruktur, vor allem im Transport- und Logistikbereich, werden in den nächsten Jahren laut wiiw positive Beiträge zum Wachstum leisten. Das wiiw erwartet dabei, dass sich Kasachstans Haushaltsdefizit 2023 auf 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht.

Das Institut nimmt an, dass die Erholung des Verbrauchs 2023 beginnen wird. Die Eindämmung der 2022 auf 15 Prozent gestiegenen Inflationsrate werde allerdings länger als bisher erwartet dauern. 2023 dürften die Verbraucherpreise im Jahresdurchschnitt noch um 14 Prozent steigen und 2024 um 9 Prozent.

Weltbank-Studien zu Kasachstan

Die Weltbank hat bereits in ihrem Anfang April veröffentlichten halbjährlichen Bericht zur Konjunkturentwicklung in Europa und Zentralasien (“Europe and Central Asia Economic Update, Spring 2023“) neue Prognosen zu Kasachstan veröffentlicht. Die Prognosen der Weltbank zum Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in Kasachstan decken sich fast völlig mit den Prognosen des Wiener Instituts. Am 19. April veröffentlichte die Weltbank außerdem eine ausführliche Studie zur Entwicklung der Wirtschaft in Kasachstan (“Kazakhstan Economic Update, Spring 2023: Economic Recovery During Challenging Times“, 33 S.).

Rückblick auf 2022: BIP-Wachstum trotz gesunkenen Verbrauchs

Das Wachstum des kasachischen Bruttoinlandsprodukts um 3,2 Prozent im Jahr 2022 zeigt in der folgenden Weltbank-Abbildung die schwarze Linie. Die Abbildung lässt erkennen, dass der weitaus höchste Wachstumsbeitrag von der Entwicklung der Netto-Exporte kam (violetter Säulenabschnitt). Die Ausfuhren stiegen laut Weltbank um 18,0 Prozent, die Einfuhren um 11,2 Prozent. Der Wachstumsbeitrag der Investitionen war viel geringer.

Die Weltbank merkt dazu an, das Wirtschaftswachstum sei durch gestiegene Nicht-Öl-Exporte in Nachbarländer und höhere Investitionen (hauptsächlich in den Rohstoffsektoren) angetrieben worden. Der Private Verbrauch (grüner Säulenabschnitt) habe sich hingegen abgeschwächt (- 0,9 Prozent), weil die Realeinkommen wegen der hohen Inflationsrate (15,0 Prozent) sanken.

Reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Kasachstan

Beiträge der Verwendungsbereiche in Prozentpunkten

World Bank: “Europe and Central Asia Economic Update, Spring 2023

Das Wachstum in Kasachstan ist, so die Weltbank, auch vom Zustrom russischer Einwanderer gestützt worden, vor allem nach der Ankündigung der Einberufung von Wehrpflichtigen in Russland im September 2022. Außerdem hätten einige Unternehmen nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine ihren Standort nach Kasachstan verlegt. Auch deswegen habe sich der Handel Kasachstans mit Russland verstärkt.

Der Anstieg der Verbraucherpreise beschleunigte sich nach Angaben der Weltbank bis Februar 2023 im Vorjahresvergleich auf 21,3 Prozent, den höchsten Stand seit über 20 Jahre. Ursachen dafür seien steigende Importpreise, starke Lohnerhöhungen und die Abwertung der Landeswährung (Tenge) gewesen. Die Zentralbank hob ihren Leitzins vom Februar 2022 bis Februar 2023 von 10,25 Prozent auf 16,75 Prozent an.

Zur Finanzpolitik Kasachstans berichtet die Weltbank: Die Regierung erhöhte ihre Ausgaben im Jahr 2022 zur Linderung der negativen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und der steigenden Lebenshaltungskosten. Trotz der höheren staatlichen Ausgaben konnte dank einer effektiveren Steuererhebung 2022 aber ein Haushaltsüberschuss von 0,4 Prozent des BIP erzielt werden.

In der Leistungsbilanz erreichte Kasachstan 2022 einen Überschuss von 6,2 Milliarden US-Dollar (2,7 Prozent des BIP). Er ergab sich durch den starken Anstieg der Erlöse von Ölausfuhren. 2022 hatte Kasachstan in der Leistungsbilanz noch ein Defizit von 4,0 Prozent des BIP verbucht.

Prognosen der Weltbank: Das Wachstum beschleunigt sich

Die Weltbank erwartet, dass sich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Kasachstsn 2023 auf 3,5 Prozent beschleunigt und 2024 auf 4,0 Prozent.

Weltbank-Prognosen zur Verwendung des realen Bruttoinlandsprodukts
Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent (Auszug)

World Bank: “Europe and Central Asia Economic Update, Spring 2023

Impulse für das beschleunigte Wachstum erwartet die Weltbank 2023 vom Ölbereich. Die Ölförderung werde voraussichtlich steigen.

Die Weltbank geht von einem weiteren kräftigen Anstieg der Ausfuhren um rund 8 Prozent aus. Die Einfuhren dürften erheblich schwächer um 3,5 Prozent steigen. Der deutlich größte Wachstumsbeitrag soll laut der Prognose der Weltbank auch 2023 vom Nettoexport kommen.

Gleichzeitig werde sich das Wachstum der Investitionen fortsetzen, auch wegen weiterer ausländischer Direktinvestitionen im Bereich Bergbau. Auch der private Verbrauch werde 2023 zum Wachstum der Wirtschaft beitragen. Das reale Wachstum des privaten Verbrauchs dürfte sich jedoch wegen der weiterhin hohen Inflation, steigender Kreditkosten und der zunehmenden Verschuldung der Haushalte auf rund 2 Prozent beschränken. Erst ab 2024 erwartet die Weltbank ein kräftigeres Wachstum des privaten Verbrauchs.

Die Weltbank geht davon aus, dass die Ölpreise 2023 nachgeben. Kasachstans Leistungsbilanzüberschuss werde deswegen voraussichtlich fast völlig abgebaut.

Kasachstan als „Zwischenhändler“ für deutsche Exporte nach Russland

Die gegen Russland verhängten Sanktionen haben nicht nur im deutschen Außenhandel mit Russland 2022 tiefe Spuren hinterlassen. Sie hatten auch starke Auswirkungen auf den Handel Deutschlands mit Russlands Nachbarstaaten. Ausfuhren, die früher direkt nach Russland geliefert werden konnten, werden wegen der Sanktionen jetzt zunächst in Russlands Nachbarländer exportiert, um von dort nach Russland exportiert zu werden (sog. „Re-Exporte“ der Nachbarstaaten bzw. „Parallelimporte“ oder „Grau-Importe“ Russlands).

Die Nachrichtenagentur AFP meinte zu diesem „Zwischenhandel“ in einem Bericht zum deutschen Osthandel im Jahr 2022 zum Beispiel:

„Unter anderem wegen erschwerter Zahlungsabwicklung im direkten Handel mit Russland dürfte manche Transaktion mit russischen Endkunden über Zwischenhändler abgewickelt worden sein.“

Im Jahr 2022 haben sich so die Erlöse Deutschlands beim Warenexport nach Russland und Kasachstan völlig konträr entwickelt. Die deutschen Exporterlöse in Russland halbierten sich 2022 fast (rund – 45 Prozent gegenüber 2021). Der Wert der deutschen Ausfuhren nach Kasachstan hat sich hingegen fast verdoppelt (rund + 94 Prozent).

Die Bedeutung Kasachstans als Abnehmer deutscher Ausfuhren hat sich im Vergleich mit Russland deswegen 2022 fast vervierfacht. 2021 entsprach der Wert der deutschen Ausfuhren nach Kasachstan (1,4 Mrd. Euro) nur rund 5 Prozent der deutschen Ausfuhren nach Russland (26,6 Mrd. Euro). 2022 waren es rund 19 Prozent.

Die beiden folgenden Abbildungen aus Länderberichten des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft zeigen die Verdoppelung der deutschen Exporte nach Kasachstan auf 2,8 Mrd. Euro und die annähernde Halbierung der deutschen Exporte nach Russland auf 14,6 Mrd. Euro im Jahr 2022.

Kasachstans Außenhandel mit Deutschland

Ost-Ausschuss: Kasachstan; Deutscher Osthandel  2022

Russlands Außenhandel mit Deutschland

Ost-Ausschuss: Russische FöderationDeutscher Osthandel  2022

Auf EU-Ebene ist ähnliches zu beobachten: Laut dem Wirtschaftsdienst Euromonitor fielen die EU-Exporte nach Russland vom März bis November 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 47 Prozent, während zugleich die EU-Exporte in Russlands Nachbarländer um 48 Prozent zugenommen haben. Das berichtet der MDR.

Kasachstan kontrolliert „Re-Exporte“ inzwischen laut Pressemeldungen jedoch genauer, um „Sekundärsanktionen“ zu vermeiden. Die AHK Russland berichtete dazu am 27. März unter der Überschrift „Kasachstan verstärkt Re-Export-Kontrolle“:

„Kasachstan nimmt am 1. April ein Online-Rückverfolgbarkeitssystem in Betrieb, um den Re-Export ausländischer Produkte besser zu kontrollieren. Das berichtet das Nachrichtenportal Eurasianet, das sich auf Zentralasien spezialisiert hat.

Das neue System biete die Möglichkeit, „die Produktbewegungen über die gesamte Lieferkette von Grenze bis Grenze in Echtzeit zurückzuverfolgen“, bestätigte ein nicht namentlich genannter kasachischer Beamter gegenüber der Financial Times.

Kasachstan selbst wolle keine Handelsrestriktionen gegen Russland verhängen, lasse sich aber nicht für Sanktionsumgehungen ausnutzen, sagte ein anderer Beamter zu Eurasianet. „Uns sind die Risiken bewusst, die mit Sekundärsanktionen einhergehen. Deshalb beobachten wir genau unseren Außenhandel mit allen Handelspartnern.“

Im vergangenen Jahr hatte Kasachstan seine Exporte nach Russland nach eigenen Angaben um ein Viertel gegenüber dem Vorjahr gesteigert. Der Export etwa von Waschmaschinen wuchs binnen Jahresfrist von null auf 100.000 Stück.

Financial Times (EN), Eurasianet (RU)“

Bundeswirtschaftsministerium will von deutschen Exporteuren „Endverbleibserklärungen“

Die GTAI berichtete am 24. März, die EU wolle die Umgehung der Russland-Sanktionen bestrafen. Kontrollmechanismen würden „nachgeschärft“. Das Bundeswirtschaftsministerium wolle den „Endverbleib“ von Ausfuhren strenger kontrollieren:

„Exporteure sollen künftig für alle sanktionierten Güter zusätzlich zu den Ausfuhranmeldungen transparente Erklärungen zum Endverbleib vorlegen. Daraus sollen nicht nur mögliche Zwischenhändler in Drittstaaten hervorgehen, sondern vor allem der finale Empfänger der Ware.

Firmen, die beim Umgehen der Russland-Sanktionen unterstützen, sollen auf eine schwarze Liste kommen. Sanktionsverstöße sollen künftig konsequent als Straftatbestand geahndet werden. Personen, die über sanktionsrelevante Informationen verfügen, sollen diese an die Behörden melden.“

Am 30. März berichtete die GTAI, seit die kasachische Regierung das Thema zur Chefsache gemacht habe, agierten kasachische Exporteure vorsichtiger.

Die US-Regierung scheint mit den bisherigen Erfolgen bei der Bekämpfung der Umgehung von Sanktionen aber nicht zufrieden. Elizabeth Rosenberg, „Assistant Secretary for Terrorist Financing and Financial Crimes“ im US-Finanzministerium, meinte laut einem Bericht der Berliner Zeitung bei einem Besuch in Astana am 25. April: „Wir müssen die Tatsache sehr ernst nehmen, dass Russland sich sehr bemüht, Sanktionen zu umgehen“. Sie habe bemängelt, dass die Russen dabei „ziemlich erfolgreich waren“.

Lesetipps:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Titelbild
3DMart / Shutterstock.com