Russland führt eine „Schlacht“ gegen die Telegram App
Russland führt eine „Schlacht“ gegen den Telegram Messenger. Dies erklärte Alexander Scharow, Chef der russischen Medienaufsicht Roskomnadsor. Am 14. April beschloss ein Moskauer Gericht die Sperrung des beliebten Nachrichtendienstes. Im Kampf gegen die App ließ Russland inzwischen mehr als 15 Millionen IP-Adressen sperren.
Weltweit nutzen rund 200 Millionen Menschen monatlich den kostenlosen Nachrichtendienst Telegram. Alleine in Russland wird die Smartphone-App von etwa 15 Millionen Nutzern verwendet. Besonders beliebt ist die Funktion, „geheime Chats“ zu führen. Sie ermöglicht eine sichere Kommunikation per Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Nachrichten, Fotos, Videos und Dokumente werden somit nur auf den Endgeräten der jeweiligen Nutzer gespeichert.
Genau diese Funktion ist Russlands Behörden ein Dorn im Auge.
Die russische Medienaufsicht Roskomnadsor argumentiert, dass die App von Terroristen und Kriminellen verwendet wird, um Straftaten zu planen und illegale Informationen auszutauschen. Angeblich soll der Terroranschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3. April 2017 per Telegram organisiert worden sein. Ein Selbstmordattentäter aus Kirgisistan tötete damals 14 Menschen.
Die russische Medienaufsicht forderte Telegram dazu auf, den russischen Behörden einen Code zur Entschlüsselung von Nachrichten bereitzustellen. Doch Telegram-Gründer Pawel Durow, der auch das russische soziale Netzwerk VKontakte ins Leben rief, stellt sich quer.
Weder er noch sein Team seien im Besitz der Codes, erklärte Durow. Deshalb entschied ein Gericht am 14. April, die App in Russland zu blockieren. Auch andere Kommunikationsdienste, darunter das Business-Netzwerk LinkedIn, sind in Russland gesperrt. Am 16. April begann Roskomnadsor, das Gerichtsurteil umzusetzen und Telegram zu sperren.
Russland blockiert über 15 Millionen IP-Adressen
Am Montagvormittag erzielte die russische Medienaufsicht ihr erwünschtes Ergebnis – bei zahlreichen Telegram-Nutzern blieb der Chatverlauf stumm. Doch spätestens am Nachmittag funktionierte die App wieder problemlos, auch ohne zusätzliche Software wie VPN-Dienste.
Um der russischen Sperre zu entgehen, griffen die Telegram-Entwickler auf Ressourcen der größten Hosting-Unternehmen der Welt zurück: Amazon und Google. Roskomnadsor reagierte umgehend und blockierte Millionen von IP-Adressen, die zu den US-Unternehmen gehören.
Wie die russischsprachige Wirtschaftszeitung Wedomosti berichtet, blockierte Russland innerhalb von zwei Tagen mehr als 15,8 Millionen IP-Adressen. Vermutlich werden in den nächsten Stunden und Tagen weitere IP-Adressen folgen.
Trotz der scharfen Maßnahmen gelang es der Behörde nicht, Telegram in die Knie zu zwingen. Dafür wurden zahlreiche andere Dienste Opfer der Zensurkampagne. Da Russland nicht nur einzelne IP-Adressen, sondern ganze Subnetze sperren ließ, hatten zahlreiche Websites und Online-Dienste mit massiven Verbindungsproblemen zu kämpfen.
Russische Unternehmen äußern Sorge vor Konsequenzen
Aufgrund der millionenfachen Sperrung von IP-Adressen kam es bei zahlreichen russischen Unternehmen zu erheblichen Schwierigkeiten:
- Mindestens neun Online-Shops waren zeitweise nicht erreichbar. Dies berichtet die Wirtschaftszeitung Wedomosti. Kleine Unternehmen aus dem E-Commerce-Bereich befürchten negative Konsequenzen. Alexander Iwanow, Direktor der Nationalen Assoziation des Fernhandels, kritisiert Roskomnadsor scharf.
- Die beliebte Messenger-App Viber, die eigentlich nicht von Sperrmaßnahmen betroffen ist, funktionierte zeitweise nur eingeschränkt. Mehrere Benutzer berichteten über Probleme mit der Telefon-Funktion.
- Der Online-Blumenhändler GiveMe.ru, die Online-Sprachschule SkyEng und der Kurierservice „Ptichka“ beklagen Verbindungsprobleme und Umsatzverluste.
- Auch im Einzelhandel kam es vereinzelt offenbar zu Problemen bei der Kartenzahlung. Betroffen waren u. a. die Lebensmittelgeschäfte Dixy und Pjatjorotschka, aber auch das Fast-Food-Restaurant Burger King.
- Einige Funktionen des sozialen Netzwerks Odnoklassniki (Mail.Ru Group) konnten vorübergehend nicht genutzt werden.
- Die russische Gaming-Community berichtet über Verbindungsausfälle bei einer Vielzahl von Online-Videospielen.
Nach Angaben des russischen Blogs iGuides.ru gibt es erhebliche Zweifel am Sinn der Maßnahmen. So könnte Telegram trotz Sperrung weiterhin Push-Mitteilungen an seine Nutzer versenden, um Informationen zur Umgehung der Sperre bereitzustellen.
Demonstranten in Moskau wurden verhaftet
Laut der NGO Roskomswoboda ist die Sperrkampagne beispiellos in der russischen Geschichte. Ende März 2018 waren rund 100.000 IP-Adressen auf der „schwarzen Liste“. Während der „Schlacht“ gegen Telegram wurde die Liste um Millionen IP-Adressen erweitert. Internet-Aktivisten verurteilen die massive Zensurkampagne. Roskomnadsor-Chef Alexander Scharow will laut Eigenangaben erst aufhören, wenn Telegram die Entschlüsselungscodes bereitstellt.
Am Montag versammelten sich an der Moskauer Metro-Station „Lubjanka“ zahlreiche Demonstranten vor dem Gebäude des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Sie ließen als Zeichen des Protests blaue Papierflugzeuge – ein Symbol der Telegram-App – durch offene Fenster gleiten. Mindestens 13 Demonstranten wurden laut Meduza vor Ort verhaftet.
Pawel Durow sagt Russland den Kampf an
Um die Telegram-Sperre zu umgehen, können Nutzer VPN-Dienste oder Proxy-Server verwenden. Der russischstämmige Telegram-Gründer Pawel Durow kündigte an, entsprechende Dienste mit „Millionen von Dollar“ zu unterstützen. Die letzten Tage hätten bewiesen, dass Russland bereit sei, IP-Adressen ohne Rücksicht auf externe Dienste zu blockieren, erklärte der Unternehmer. Er bezeichnete die russischen Maßnahmen als „Krieg“ und „Zensur“.
Zudem bedankte er sich bei Google, Microsoft und Amazon, dass die Unternehmen ihre Zusammenarbeit mit Telegram nicht einfrieren ließen. Die Konfrontation seines Messenger-Dienstes mit der russischen Medienaufsicht nannte er „digitaler Widerstand“.
Durow kündigte an, die Telegram-App mit einem eingebauten VPN-Dienst bereitzustellen. Damit könnten die russischen Sperrmaßnahmen ohne Wirkung bleiben. Doch selbst nach Sperrung von Millionen IP-Adressen funktioniert die App in Russland bisher ohne große Probleme. Roskomnadsor wiederum erklärte, massiv gegen VPN- und Proxy-Anbieter vorzugehen.
So reagieren Twitter-Nutzer auf die Maßnahmen
Im Internet sorgen Russlands Maßnahmen für wütende Reaktionen, vor allem auf Twitter. Wir haben für Sie eine kleine Auswahl zusammengestellt:
Telegram started using Amazon’s AWS to bypass Russian censorship. Now, if you were @roscomnadzor (highly unlikely because nobody’s as dumb as these doorknobs), what would you do? Certainly not block 655352 IP addresses belonging to Amazon, right? That would be so stupid… oh pic.twitter.com/AxEHfRUGnU
— Manual (@CatVsHumanity) 16. April 2018
And these addresses include a lot of Amazon and Google services that sustain work of thousands of sites and other services that have nothing to do with the @telegram. How far our dumb-ass idiots in @roskomnadzor_rf can go?
— Ilya Lobanov (@vismarcheg) 16. April 2018
Apparently Russian communication governing body is run by retards because in a bid to block Telegram they’ve just fucking blocked half a million Amazon IP addresses and fucking crippled two major cellular carriers in the process.
— Rive (@EpicRive) 16. April 2018