Telegram zieht gegen Russland vor Menschengerichtshof

Telegram klagt vor dem Menschengerichtshof

Der Messaging-Dienst Telegram will gegen Russland vor den Menschengerichtshof in Straßburg ziehen. Dem Unternehmen wurde vom Obersten Gerichtshof in Russland eine Strafzahlung auferlegt, da es sich weigerte, einen Code zur Entschlüsselung dem Geheimdienst FSB preiszugeben. Dies berichtet die Wirtschaftszeitung Wedomosti.

Genau 800.000 Rubel (umgerechnet ca. 11.341 Euro) Strafe soll Telegram zahlen, weil sich das Unternehmen geweigert hatte, seine Entschlüsselungscodes an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB weiterzuleiten. So zumindest hatte es ein Moskauer Gericht entschieden. Außerdem droht die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor, die App in Russland zu sperren. Nun wendet sich der Software-Hersteller an den Menschengerichtshof in Straßburg. Telegram-Gründer Pawel Durow sieht sich im Recht, Informationen über staatliche Grenzen hinweg und ohne behördliche Einmischung verbreiten zu dürfen.

Im Interesse des Unternehmens – und der Bürger

In seiner Klage beruft sich der Messenger auf den zehnten Artikel der Menschenrechtskonvention, der Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren garantiert. Die russischen Behörden seien nicht daran interessiert, ein Gleichgewicht zwischen der Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und den Rechten einzelner Bürger zu erhalten. So habe der russische Geheimdienst FSB uneingeschränkten Zugang zu vertraulichen Unterhaltungen von sechs Bürgern und vermeintlichen Telegram-Usern verlangt, ohne die Sicherheit der übertragenen Informationen zu garantieren.

Wie Telegram zuvor erfolgreich darlegen konnte, betrifft der Fall nicht nur die Interessen des Unternehmens selbst, sondern auch die der Öffentlichkeit. Millionen von Nutzern würden durch das Vorgehen des FSB in ihren Privatrechten eingeschränkt. Dem Umstand entsprechend ist der Menschengerichtshof nun verpflichtet, unter anderem den möglichen Einsatz eines Staatsanwalts zu überprüfen. Bei dem Prozess handelt es sich um einen der ersten Fälle vor dem Menschengerichtshof, die sich mit Fragen der elektronischen Überwachung befassen. Laut Experten könnte der Gerichtshof damit beginnen, einen Standard für die Europäische Menschenrechtskonvention zu formulieren.

Parallelen zum Sacharow-Prozess gegen Russland

Im Jahr 2015 hatte der Menschengerichtshof bereits festgestellt, dass die russische Gesetzgebung nicht in der Lage sei, die Bürger des Landes vor unbefugtem Abhören zu schützen. Der Journalist Roman Sacharow beschwerte sich damals über das Überwachungssystem SORM, das uneingeschränkten Zugriff auf alle telefonische Kommunikationen ohne gerichtliche Genehmigung ermöglichte. Eine Reform der nationalen Gesetzgebung zog die Entscheidung des Gerichts allerdings nicht nach sich. Stattdessen erließ der Kreml das sogenannte Jarowaja-Gesetz, das die Lage noch zusätzlich verschärfte.

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