Was sich Russland von Mexiko abschauen sollte

Export: Was sich Russland von Mexiko abschauen sollte

Seit März 2017 veröffentlicht der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ eine regelmäßige Kolumne auf Ostexperte.de. In der heutigen Ausgabe geht es um die vergangene Hannover-Messe und einen wirtschaftlichen Vergleich zwischen Mexiko und Russland.

Ein Hauch von Lateinamerika

Die Schlange vor dem mexikanischen Stand war die mit Abstand längste auf der Hannover Messe. Nicht die vor dem offiziellen Stand des diesjährigen Partnerlandes, obwohl der auch sehr gut besucht war. Den Besuchern und Ausstellern stand der Sinn mehr nach Burritos, Tortillas, Quesadilla und Guacamole. Ein Hauch von Lateinamerika wehte über das Messegelände.

Kulinarische Spezialitäten standen dann allerdings – leider – nicht im Mittelpunkt des mexikanischen Auftrittes. Das Land präsentierte sich als hochattraktiver und innovativer Industriestandort. Vor allem in den Bereichen Automobilwirtschaft, Luft- und Raumfahrt, Elektrotechnik/Elektronik, Öl, chemische Industrie und Medizintechnik ist das Land stark aufgestellt.

Auf dem Sprung in die Top Ten

Über ein Drittel der Wirtschaftsleistung entfällt auf die Industrie. Sie steuert 35 Prozent zum Export bei. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Automobilwirtschaft zu. Mexiko ist der viertgrößte Automobilexporteur weltweit. Darüber hinaus gehen Telefone, Computer, elektrische Ausrüstungen, Heimelektronik, Medizintechnik, Komponenten für Luft- und Raumfahrt und natürlich auch landwirtschaftliche Erzeugnisse in andere Teile der Welt.

Allerdings ist die Abhängigkeit vom nördlichen Nachbarn exorbitant. Über 80 Prozent aller Exporte entfallen auf die USA, auf Gesamteuropa nur etwas mehr als fünf Prozent. Gerade deshalb ist Mexiko einer der interessantesten Märkte weltweit für deutsche Unternehmen. Kaufkraftbereinigt belegt Mexiko den 11. Platz bezogen auf die Höhe des Bruttoinlandsproduktes. Im “Digital Transformation Index” liegt das Land auf dem dritten, im “Renewable Energies Investment Index” auf dem achten und im “Ease of Doing Business Index” auf Rang 49″, eingerahmt von Ungarn und Bulgarien.

Privatisierung, Deregulierung, Liberalisierung

Bleibt es bei diesem Entwicklungstempo, wird Mexiko in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den Top-Ten-Volkswirtschaften der Welt angelangt sein. Noch vor dreißig Jahren war eine solch rasante Dynamik undenkbar. Mexiko galt als eines der Länder, die im Hinterhof der USA auf Dauer eine Existenz in Armut, Rückständigkeit, Perspektivlosigkeit und abhängig von den Vereinigten Staaten führen würden. Bis zu Beginn der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts die Weichen für eine nachhaltige Veränderung in der Wirtschaft gestellt wurden.

Seit dieser Zeit wurde die Infrastruktur konsequent privatisiert: Eisenbahnen, Flughäfen, Seehäfen. Aus staatlichen Banken wurden private. Große Teile des Energie-, Petrochemie- und Telekommunikationsmarktes wurden dereguliert und liberalisiert. Die weiter stark zunehmende Industrialisierung in Verbindung mit einer günstigen Demografie, steigendem Binnenkonsum und die Nähe zum US-Markt ermöglichen auch in Zukunft beträchtliches Wachstum.

Neue wirtschaftliche Strategie?

Es mag Zufall sein oder auch nicht: In unmittelbarer Nähe zum mexikanischen Pavillon fanden sich gleich mehrere Stände der Russischen Föderation. Ein Vergleich beider Volkswirtschaften ist da naheliegend. Denn die Ausgangspositionen sind durchaus vergleichbar. Nach dem Zerfall der Sowjetunion, also auch vor ungefähr 30 Jahren, stand Russland vor der gigantischen Aufgabe, die sozialistische Planwirtschaft in ein anderes Wirtschaftsmodell umzuwandeln.

Wissenschaftler streiten immer noch darüber, wie genau man die erste Dekade dieser Metamorphose bezeichnen soll. Im Volksmund wird sie gern als Turbokapitalismus bezeichnet. Jedenfalls hatte diese Phase der Konversion nichts mit der besonders in Deutschland gern als demokratischer Aufbruch verklärten Bezeichnung gemein. Russen empfinden diese Zeit bis heute als chaotisch, gefährlich und mit dem Verlust der staatlichen und internationalen Autorität verbunden. Unter Präsident Putin stabilisierte sich das Land zwar, aber eine Marktwirtschaft ist Russland in weiten Teilen nicht.

Gigantische Präsenz

In großen Buchstaben prangt es am Stand: „Russian Export Center“ – REZ. Direkt daneben der Stand der Stadt Moskau, die, wie ich erfahre, auch ein Exportzentrum hat – „MEZ“. Noch ein paar Meter weiter stellt sich die Republik Tatarstan vor. Nein, sie hat kein Exportzentrum, dafür aber eine Exportdatenbank, in der sich Einkäufer und Lieferanten finden sollen. Über die Messe verteilt finden sich insgesamt sechs Stände des Exportzentrums. Es ist also unverkennbar, dass sich zu den bereits bekannten wirtschaftlichen Leitlinien der Russischen Föderation Lokalisierung und Importsubstitution eine dritte gesellt hat, der Export. Schon auf der Grünen Woche und auf der Bautec war Russland über das Exportzentrum mit zum Teil riesigen Gemeinschaftsständen russischer Firmen präsent.

Besonders Mittelstand soll auf Auslandsmärkte

Mit dieser Maßnahme soll vor allem der russische Mittelstand animiert werden, sich Auslandsmärkten zuzuwenden. Die Aktivitätenliste des staatlich finanzierten Zentrums umfasst so ziemlich jeden Markt, der auch nur ansatzweise interessant sein könnte: Vietnam, Iran, Ägypten, Kuba, Südkorea, Japan, natürlich China, aber eben auch und in besonderem Maße Europa. Wer sich hier als Lieferant bewährt, so hofft man, der ist fit für alle Länder der Welt.

Das langfristige strategische Ziel heißt, die russischen Exporte zu diversifizieren, konkurrenzfähig zu werden und die Abhängigkeit von Öl- und Gasausfuhren deutlich zu verringern. Deshalb umfasst das staatliche Förderprogramm auch so ziemlich jede Branche, nur eben keine Kohlenwasserstoffe. Zwar steigt der Exportanteil an Nicht-Rohstoffen tatsächlich, aber noch immer bestimmen Öl, Gas, Metalle und andere Rohstoffe die Bilanz. 80 Prozent beträgt ihr Anteil. Zudem begünstigt der niedrige Rubelkurs Exporte. Genauer gesagt: Er macht sie überhaupt erst möglich.

Mittelständler müssen mehr exportieren

Die größte Herausforderung beim Verlassen des Binnenmarktes ist, die Scheu vor dem Fremden abzubauen; vor Unsicherheit, sprachlichen Barrieren, anderen Gesetzen und dem, was man gemeinhin kulturelle Unterschiede nennt. Russland macht da keine Ausnahme. Selbst im Exportweltmeisterland Deutschland ist der Mittelstand nur mit 30 Prozent am Export beteiligt. Noch wichtiger ist allerdings über ein am Weltmarkt nachgefragtes und konkurrenzfähiges Produkt zu verfügen.

Hier helfen die Exportzentren kräftig nach. Sie wickeln die Finanzierung des Exports ab, stehen mit Exportkreditgarantien zur Seite, kompensieren fast alle mit der Ausfuhr verbundenen Kosten und managen die sprachliche Abwicklung. So weit, so gut. Die Frage ist nur, sollte dieses staatliche Programm jemals auslaufen oder modifiziert werden, haben solche Exporteure und ihre Produkte auch dann noch eine Chance am Weltmarkt? Zweifel scheinen zumindest angebracht.

Mexiko als Vorbild

Von den Mexikanern könnten sich die Russen abschauen, wie man ein Land erfolgreich modernisiert, ohne dass der Staat Milliarden an Subventionen ausgibt. Eigentlich wäre das in Russland ganz einfach: Liberalisierung des Marktes, Förderung des Mittelstandes, mehr Wettbewerb und Privatisierung. Vor einigen Wochen habe ich hier die Frage gestellt, ob Präsident Putin seine vierte Amtszeit nutzen wird, seinem Vermächtnis auch die wirtschaftliche Wiederauferstehung des Landes hinzuzufügen. Spätestens am 7. Mai, wenn die neue Regierung vorgestellt wird, werden wir wissen, wohin die Reise geht.


Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand für Russland beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Foto: zVg
Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand
im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.

Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu

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