Interview mit Stephan Weiss vom German Centre Moscow über den deutschen Mittelstand in Russland
Stephan Weiss ist seit 2009 Geschäftsführer des German Centre in Moskau. Vorher leitete er mehr als neun Jahre das German Centre in Singapur. Im Interview mit Ostexperte.de spricht er über die dramatische Situation zur Krisenzeit, den russischen Immobilienmarkt und die Perspektiven für den deutschen Mittelstand in Russland.
Das Projekt wird unter anderem von der Landesbank Baden-Württemberg, der Staatsbank für Baden-Württemberg und der BayernLB unterstützt. Neben dem Standort in Moskau betreibt das German Centre Filialen in Singapur, Delhi, Jakarta, Mexiko-Stadt, Peking, Shanghai und Taicang.
Weitere Informationen über das Netzwerk finden Sie hier:
http://www.germancentre.de/
Der Bau der Metrostation „Technopark“ war mit erheblichen Schwierigkeiten und Korruptionsvorwürfen verbunden. Die oberirdische Station sollte bereits in den Nullerjahren eröffnet werden. Doch die Fertigstellung verzögerte sich bis zum 28. Dezember 2015. Die Mitarbeiter des German Centre reisten bis dahin in Shuttlebussen zu ihren Arbeitsplätzen.
Was kann das German Centre den deutschen Unternehmen bieten?
Die meisten denken, dass wir nur eine Immobilie sind. Das stimmt nicht. Als Deutscher kann man es am ehesten mit einem Gründerzentrum vergleichen. Wir bieten eine Infrastruktur an, die auf deutsche Mittelständler zugeschnitten ist. Zu unserem Konzept gehört unter anderem Beratung. Welche Gesellschaftsform ist die richtige? Welche Anwälte helfen mir bei der Gründung? Wo kann ich mich niederlassen? Muss ich einen Expat oder einen Lokalen einstellen? Bei all diesen Fragen können wir helfen. Außerdem bieten wir einen großen Anteil an kleinen Büros. 30 qm, 70 qm, 150 qm. Je nach Erfolg kann sich das Unternehmen im Haus vergrößern. Und was ganz wichtig für uns ist: Alle Unternehmen sollen sich kennenlernen. Wir wollen nicht, dass sie durch den Gang gehen, rauffahren und dann verschwinden. Viele Informationen sind informeller Natur.
Wie funktioniert die Vernetzung zwischen den Unternehmen?
Die Unternehmen sollen hier direkt in Kontakt kommen, voneinander lernen und profitieren. So können sie hier einfach nebenan fragen: „Du, Hans, bei uns ist eine Steuerprüfung, wie habt ihr das gemacht?“ Der informelle Austausch sowie der unkomplizierte direkte Zugang zu vielen Netzwerken ist uns hierbei wichtig. Nach diesem Prinzip orientiert sich auch das Design des German Centre. Wir haben Sitzecken und Teeküchen eingerichtet. Die Mitarbeiter sollen ihre Büros verlassen, damit sich Nachbareinheiten kennenlernen und Freundschaften etablieren.
Warum konzentriert sich das Netzwerk des German Centre auf Schwellenländer?
Weil der deutsche Mittelstand gerade in Schwellenländern zusätzliche Unterstützung braucht und auch nachfragt. Nehmen sie zum Beispiel Frankreich. Die Kultur ist nah an der Deutschen. Jeder Geschäftsführer kann von Deutschland aus schnell hinreisen und Probleme managen. Wenn die Unternehmen wissen, wie der Hase läuft, brauchen sie kein German Centre. Interessant ist ein German Centre aber auf einem „emerging market“. Dort, wo der Markt für deutsche Unternehmen schwer zu erschließen ist..
Das German Centre in Moskau existiert seit 2011. Wie bewerten sie den bisherigen Erfolg des Standorts?
Positiv, natürlich. Aber auch uns tut die Krise weh. Nach der Gründung 2011 sind wir rasch gewachsen. Doch ab Beginn der Krise bis Ende 2015 ist die Nachfrage eingebrochen. Es gab keine Unternehmen aus Deutschland, die sich in Russland niedergelassen haben. Jetzt hat es sich wieder normalisiert. Die Investitionsneigung hat deutlich zugenommen. Die Entwicklung ist positiv. Aber wir haben zweieinhalb Jahre hinter uns, die unsicher und schwer waren.
Wann haben die Probleme in Russland begonnen?
Ende 2013 hat sich die Wirtschaft eingedrückt. Das hat noch nicht zu einer Rezession geführt. Im Februar 2014 kam der Ukraine-Konflikt dazu. Selbst das war nicht so dramatisch. Dann kam der Juli 2014, als die Malaysian Airlines abgeschossen wurde. Da wurde es das erste Mal ein bisschen unangenehmer. Aber noch nicht kritisch. Was den Ausschlag gegeben hat, war der Währungskurs ab November 2014, als der Rubel abgeschmiert ist. Unter deutschen Unternehmen hat das eine Panik ausgelöst. Die Unternehmen haben sich überschlagen mit Doomsday-Plänen. Ab Mitte 2015 wurde es wieder ruhig. Syrienkonflikt, Flüchtlingspolitik und Griechenland-Krise waren auf einmal wichtiger. Heute hat es sich spürbar verbessert. Die Sicherheit ist zurückgekehrt.
Wie haben Sie auf die Wirtschaftskrise reagiert?
Die Krise hat natürlich vor allem unsere Mieter getroffen – etwa durch Umsatzeinbußen oder deutlich gestiegene Kosten für Immobilien. Hier waren wir in ständigem Austausch mit den Unternehmen, um sie auch in dieser schwierigen Zeit bestmöglich zu unterstützen. Wo nur die Kosten das Problem waren, konnten wir helfen. So haben wir beispielsweise bei den Mieten durch eine kurzfristige Einführung einer US-Dollar-Rubel-Fixierung für eine Kostenstabilität gesorgt.
Was waren die größten Sorgen der deutschen Unternehmen zur Krisenzeit?
Die Unsicherheit. Die großen Unternehmen haben maximal 40 Mitarbeiter, andere wiederum nur zwei. Und diese werden nicht von großen internationalen Beratungsfirmen beraten. Damit haben diese kleineren Unternehmen jedoch einen schwierigeren Zugang zu Informationen. Als German Center haben wir damals die Unternehmen durch eine Vielzahl zusätzlicher Veranstaltungen mit realistischen Informationen versorgt. Zum Beispiel: Ist die Marktlage wirklich so schlecht und gefährlich, wie er in der Presse dargestellt wird?
Vertrauen war also einer der wichtigsten Grundpfeiler während der Krisenphase.
Genau. Das geht ja bis heute. Leute rufen mich an und fragen: „Wie ist es denn in Moskau?“ Ich antworte: „Wenn Sie nicht wissen, dass es eine Krise gibt, dann merken sie es nicht.“ Da fahren immer noch große Autos, die Restaurants sind immer noch voll. Das Bild vom leergekauften Supermarkt, das damals durch die Presse ging, ist Unsinn. Die Regale hier sind voll. Sie kriegen weiterhin Kartoffelchips, Kaugummis, Käse, was auch immer. Und die Leute sehen, dass auch wir selbst Unternehmer sind. Denn wir als German Centre stehen vor den selben Herausforderungen. Mit diesen Themen müssen auch wir umgehen. Ist es schwieriger als in China oder Mexiko? Nein, ist es nicht.
Wie hat sich die Mieterstruktur des German Centre während der Krise entwickelt?
Ein paar Unternehmer haben sich natürlich zurückgezogen und leider kamen in dieser Zeit keine neuen nach, denn kaum ein Unternehmen wollte den russischen Markt betreten, während Wechselkurs und Inflation auf Rekordhoch sind. Die etablierten Unternehmen sind aber geblieben. Sie haben uns ihre Probleme geschildert, und wir haben darüber gesprochen, wie wir die Krise gemeinsam überwinden können. Diese Unternehmen gibt es alle noch. Die Wachstumsraten sind nicht mehr so sportlich wie 2006, aber sie verdienen gutes Geld.
Wie ist derzeit die Auslastung des German Centre Moscow?
Derzeit sind wir rund zur Hälfte belegt, Tendenz steigend. Wir haben gute Gespräche. Ich denke, nächstes Jahr werden wir wieder bei 70 Prozent sein. Unser Ziel ist es, in zwei Jahren bei über 90 Prozent zu sein. Da sind wir sehr optimistisch.
Wie haben sich bei Ihnen die Rubelmieten entwickelt?
Der Immobilienmarkt ist mit Sicherheit einer der Bereiche, die in Russland am stärksten leiden. Die Immobilienpreise sind in den letzten zwei Jahren allein durch die Rubelabwertung über 50 Prozent gefallen. Wir können uns davon nicht abkoppeln. Wir haben Marktpreise, wir müssen im Wettbewerb stehen. Ansonsten würden die Unternehmen im Haus zu den Nachbareinheiten abwandern.
Welches sind die größten Herausforderungen für deutsche Unternehmen beim Eintritt in den russischen Markt?
Es hört sich vielleicht nicht sehr clever an: Es gibt keinen Grund, nicht in Russland zu sein. Das sage ich nicht, weil ich Manager des German Centre in Moskau bin. Sondern das sage ich aus Überzeugung. Der einzige Grund, den es bis 2014 gab, waren die hohen Kosten. Es war eines der teuersten Standorte für Immobilien. Die Lohnkosten waren vergleichsweise hoch. Aber die Rechtssicherheit ist hier besser als in China oder Brasilien. Sie haben einen guten Zugang zu Mitarbeitern am Markt. Der Markt ist riesig. Und der Wechelkurs wird sich stabilisieren.
Das German Centre Moscow ist ein Unternehmen der Landesbank Baden-Württemberg. Wie hat es sich ergeben, dass ausgerechnet eine Landesbank das Projekt finanziert?
Das Projekt der German Centres ist nicht auf Landesbanken begrenzt. Doch ein Großteil der Klientel der Landesbanken ist der deutsche Mittelstand. Der deutsche Mittelstand ist natürlich im Ausland aktiv. Und wie begleitet man als Finanzinstitut die Unternehmen im Ausland am besten? Zum einen durch normale Finanzierungsinstrumente, zum anderen gibt es das German Centre.
Wieso haben Sie sich für den Standort Nagatino i-Land entschieden? Bis 2015 gab es noch nicht mal eine unmittelbare Metro-Anbindung.
Das war Weitsicht. Wir haben vorausgesehen, das wird sich so entwickeln, wie es sich entwickelt hat. Sie sehen es, heute haben wir eine Metrostation in 100 Meter Entfernung. Der Prospekt Andropowa wird erweitert. In 35 Minuten sind sie am Flughafen Domodedowo, wo Lufthansa landet. Die Region werden sie in fünf Jahren nicht wiedererkennen. Leider hat das mit der Metro etwas länger gedauert. Dass es nicht kam, obwohl es versprochen wurde, das ist halt Russland. Damit muss man leben. Als wir damals hier waren, gab es nichts. Nicht mal eine Baustelle, nur alte Werke und Berge von Schotter. Das war schon abenteuerlich. Da musste man Visionen haben.
Die Gebäude der German Centres finden sich eigentlich nie direkt im Stadtzentrum, sondern in gut erreichbaren Randlagen. Der deutsche Mittelstand agiert sehr kostenoptimiert. In zentraler Moskauer Citylage kostet die Miete bis zu 1500 US-Dollar pro Quadratmeter. Das kann sich ein internationaler Großkonzern leisten, aber der deutsche Mittelstand spart lieber. Nice to have, but I don’t need it.
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