Gemischtes Doppel #26: Geheimdienste sollen nicht fernsehen
Liebe Leserinnen und Leser,
Sie kennen doch bestimmt noch das Mädchen Lisa aus Berlin? Vor etwa einem Jahr hatte Deutschland wegen ihr plötzlich einen Riesenskandal. Die 13-jährige Russlanddeutsche hatte bei einem Freund übernachtet und sich als Ausrede für ihre Eltern eine Vergewaltigung durch Migranten ausgedacht. Russlands Fernsehen bauschte den Fall auf und berichtete weiter über die angebliche Vergewaltigung, als die Polizei den Fall schon klargestellt hatte. Aber auch Teile der Russlanddeutschen-Community fanden, die Polizei tue zu wenig, und versammelten sich in vielen deutschen Städten zu kleinen Demos.
Deutsch-Russisches Problem
Auf einmal war der Fall Lisa zu einem deutsch-russischen Problem geworden. Reporter schwirrten hinaus in die Republik, um die rätselhafte Seele der Millionen russischsprachigen Einwanderer zu studieren. Denn das Problem war: Einige von Ihnen schauten russisches Fernsehen. Und fanden Putin offenbar ganz dufte. Schon war in manchem Artikel gar von Putins fünfter Kolonne die Rede. Kanzlerin Merkel gab am Ende gar eine Untersuchung zur russischen Einflussnahme in deutsche Angelegenheiten in Auftrag.
Nun haben BND und Verfassungsschutz einen Bericht angefertigt, den sie jedoch nicht veröffentlichen wollen. Der Grund: Einen Beweis beziehungsweise die berühmte „smoking gun“ haben sie nicht gefunden. Weder konnte nachgewiesen werden, dass russische Geheimdienste hinter den Demonstrationen der Russlanddeutschen vor einem Jahr steckten, noch, dass es eine vom Kreml gesteuerte Desinformationskampagne gegen die Bundesregierung gibt.
Falsche Berichterstattung und Desinformation
Nun könnte man vorbringen, dass das völlig naiv ist. Schließlich stand Russland mittlerweile schon im US-Wahlkampf am Pranger. Und man muss lediglich das russische Fernsehen einschalten, um zu sehen, wie negativ dort über Merkel berichtet wird. In einer kürzlichen Sendung machte sich Chefpropagandist Dmitrij Kisseljow zuerst über die „Falten“ der Kanzlerin und ihre „immer gleichen Hosenanzüge“ lustig. Nur um sie anschließend als „politisch aus der Mode gekommen“ zu beschreiben.
Tatsächlich aber, und so steht es laut der Süddeutschen Zeitung auch in dem Bericht des BND und BfV, ist es schwer, die Grenze zwischen falscher Berichterstattung und Desinformation zu ziehen. Medien haben Einfluss auch über Grenzen hinweg. Aber es ist wohl nicht der Job von Geheimdiensten, sich russisches Fernsehen anzuschauen. Ihr Job ist es, zu verhindern, dass Russland an brisante Informationen gelangt, die im politischen Kampf missbraucht werden können, wie etwa die Emails von Hillary Clinton. Etwas Ähnliches ist in Deutschland noch nicht passiert, zumal die Geheimdienste zu Recht feststellen, dass dies noch lange „kein Freispruch“ für Russland ist und in Zukunft so etwas denkbar ist.
Geheimdienstbericht
Wer jetzt enttäuscht ist, sollte sich zwei Dinge vor Augen halten: Stellen Sie sich einen Bericht der russischen Geheimdienste vor. Darin steht in etwa: Wir haben jetzt gründlich geprüft, ob der Westen tatsächlich hinter dem Maidan in der Ukraine steckt und müssen leider feststellen: Wir haben keine Smoking Gun. Einen solchen Bericht wird es natürlich nicht geben. Denn genau das ist und sollte auch der Unterschied zwischen einem Geheimdienst in einer Autokratie und in einer Demokratie sein. Wenn die Fakten nichts hergeben, dann ist es halt so.
Die zweite Sache ist die richtige Entscheidung, den Bericht nicht zu veröffentlichen. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den US-Bericht Anfang des Jahres zur russischen Einmischung im US-Wahlkampf. Das Papier, das manche als aufgeblähte Seminararbeit bezeichneten, hatte einen mikroskopischen Nutzwert und schürte eher noch Zweifel daran, dass es sich bei den Hacker-Angriffen in den USA tatsächlich so zugetragen hat, wie es die Intelligence Community der USA beschreibt. Es ist nur richtig, dass die deutschen Dienste ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen, indem sie Abhandlungen über russische Staatsmedien veröffentlichen. Denn es ist ja durchaus möglich, dass die Dienste in Zukunft etwas über echte russische Einmischung zu berichten haben.
Im Gemischten Doppel geben Inga Pylypchuk (Ukraine) und Maxim Kireev (Russland) im wöchentlichen Wechsel persönliche (Ein)-Blicke auf ihre Heimatländer.
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