Osteuropa-Experte: „Wir brauchen eine Politik der kleinen Schritte“

Deutsch-russische Beziehungen – Ende der Ostpolitik?

Bundesaußenminister Heiko Maas hat in wenigen Monaten für viel Aufsehen gesorgt. Kritiker werfen ihm vor, zu hart mit Russland ins Gericht zu gehen. Im Ostexperte.de-Interview spricht der Politologe Dr. Dmitri Stratievski über ein neues Kapitel in Deutschland: Das Ende der Ostpolitik.

Zur Person
Dr. Dmitri Stratievski ist Politologe und Historiker. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Osteuropa-Zentrums Berlin e.V. und befasst sich mit der Politik und Geschichte Osteuropas. Stratievski ist Autor einer Reihe von wissenschaftlichen und journalistischen Arbeiten, Ausstellungen und Projekten zur Geschichte und zum Geschehen der postsowjetischen Staaten sowie der Innenpolitik Deutschlands.

Die Rhetorik von Heiko Maas gegenüber Russland scheint sehr hart zu sein. Seine Position ist deutlich radikaler als die von Gabriel und gar von Steinmeier. Welchen Auftrag hat er von der Bundeskanzlerin bzw. von der Bundesregierung bekommen, was die bilateralen Beziehungen mit Russland angeht?

Ich würde die Maas-Rhetorik nicht als “sehr hart” einstufen. Sie klingt im Vergleich zu seinen Vorgänger zwar schärfer, allerdings werden “härtere” Passagen durch die Versöhnungstöne immer ins Gleichgewicht gebracht. In der deutschen Regierungspraxis wird die Außenpolitik vom Außenminister und von der Bundesregierung im besonderen Maße geprägt. Daran ist auch das Kanzleramt und die Legislative beteiligt. Angesichts der deutschen Vergangenheit spielen mehrere Machtzentren eine wichtige Rolle, sodass kein politischer Akteur die Außenpolitik im Alleingang gestalten kann.

Das betrifft auch die Russlandpolitik der Bundesregierung. Gewiss hat Heiko Maas seine eigenen Spielräume und kann eigene Gedanken zur Sprache bringen, wie es Sigmar Gabriel in anderen Zusammenhängen ebenfalls gemacht hat. Doch im Allgemeinen handelt er in Absprache mit Deutschlands Exekutive und Legislative.

Mir ist keine Äußerung von Maas bekannt, die im Widerspruch zum Koalitionsvertrag steht, den Ostexperte.de in Bezug auf Russland im Februar 2018 analysiert hat. Ich gehe davon aus, dass Maas keinen festen politischen Auftrag von der Bundesregierung erhalten hat. Es geht eher darum, neue Akzente zu setzen.

Eine wichtige Bemerkung an dieser Stelle. Wir können nur beschränkt von deutsch-russischen bilateralen Beziehungen sprechen, da Berlin im Sinne des vereinten Europas viele Hoheitsrechte auf die EU überträgt. Vielmehr geht es um die Beziehungen zwischen Moskau und Brüssel – mit einem gewissen deutschen Sondergeschmack auf bilateraler Ebene.

Kürzlich haben Sie einen Artikel unter dem Titel “Deutsch-Russische Beziehungen. Ende der Ostpolitik?” veröffentlicht. Worum geht es darin? 

Ich habe den Titel “Ende der Ostpolitik?” bewusst mit einem Fragezeichen versehen, um keine Schnellschüsse zu ziehen. Vieles deutet darauf hin, dass eine Trendwende im deutschen politischen Handeln gegenüber dem Kreml vor der Tür steht. Das kann man nicht nur dem Duktus des Außenministers entnehmen. Wir befinden uns in einer Sackgasse. Die alten Rezepte funktionieren offenbar nicht mehr. Die bewährte Formel “Wandel durch Annäherung” bringt uns heute kaum weiter. Annäherung – ja, das ist möglich, wenn alle Parteien die Prinzipien des Völkerrechts teilen. Wandel? Russland hat vor 25 Jahren die Marktwirtschaft eingeführt und agiert gegenwärtig noch “kapitalistischer” als die “alten” Kapitalisten.

Der Kreml setzt wissentlich auf bestimmte Praktiken, die für die EU nicht akzeptabel sind. Wir können das russische Vorgehen in der Ukraine nicht dulden und nicht tatenlos zuschauen, was momentan im Osten Europas vor sich geht. Ich finde es übrigens fair gegenüber unseren russischen Gesprächspartnern, wenn Maas unmissverständlich sagt: Das geht nicht, damit werden wir uns nicht abfinden. Diese Offenheit gehört zur ehrlichen Politik.

Sie sagen, dass eine hohe Anzahl an deutschen Politikern jung und frei von Lasten der Vergangenheit ist. Doch wie äußert sich das in Bezug auf Russland?

Was ist mit der “Vergangenheit” gemeint? Der Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik und des gesamten deutschen Staatswesens nach dem Krieg soll weiterbestehen und ist unabhängig vom Generationenwechsel. Es betrifft nämlich die Anerkennung der deutschen Schuld für die Verbrechen der Nationalsozialisten, nicht zuletzt gegen die Völker der damaligen Sowjetunion. Diese Maxime bleibt unantastbar. Moskau ist dies bekannt. Zur jüngeren “Vergangenheit” aus den letzten 30-40 Jahren gehören einige Verfahren, die vielleicht etwas in die Jahre gekommen sind. Ich habe einige davon genannt. Das Wort “Erneuerung” ist in der SPD in aller Munde. Maas, seine Staatssekretäre im Auswärtigen Amt und der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Dirk Wiese, sind Mitglieder dieser Partei. Erneuerung aus der außenpolitischen Perspektive heißt unter anderem, neue Wege in den Beziehungen mit Russland einzuschlagen und Tacheles zu reden.

Merkel geht davon aus, dass es innerhalb der EU unterschiedliche Kooperationen geben wird. Sie nannte es ein “Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten”. Ist es auch ein Teil vom “Ende der Ostpolitik”?

Nein, das steht definitiv auf einem anderen Blatt Papier. Russland ist kein EU-Mitglied und somit nicht Teil der innenpolitischen Debatte in dieser Gemeinschaft.

Was muss geschehen, um die deutsch-russischen Beziehungen auf ein partnerschaftliches Niveau zu bringen?

Wir müssen akzeptieren, dass dies in absehbarer Zeit nicht passieren wird. Es sei denn, es kommt zu einer gravierenden Änderung in der Strategie Russlands. Das halte ich persönlich für unrealistisch. Ich würde eine Politik der kleinen Schritte bevorzugen. Wir können kooperieren, wo es nützlich ist. Die kulturellen Kontakte werden oftmals bagatellisiert, obwohl sie einen wesentlichen Beitrag zur Annäherung und Völkerverständigung leisten. 100 deutsch-russische Städte- und Gemeindepartnerschaften sprechen für sich selbst. Hier sehe ich sogar weitere Ausbaumöglichkeiten.

Wer besitzt heute den Schlüssel zu einem Neuanfang zwischen Deutschland und Russland bzw. zwischen Europa und Russland?

In wenigen Tagen beginnt in Russland die Fußball-WM, deshalb sind jetzt die Sportvergleiche zulässig. Der Ball liegt in der russischen Hälfte. Wir haben in der Ukraine eine wichtige, von allen Konfliktparteien signierte Agenda. Ich spreche vom Minsker Abkommen. Wenn Russland seine Verpflichtungen erfüllt, dann kommen wir voran. Jetzt beobachten wir leider das Gegenteil. Neulich wurden im Separatistengebiet im Donbass zwei neue großkalibrige Raketenwerfer-Systeme präsentiert.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Stratievski.

Dieses Gespräch führte Ostexperte.de-Autor Alexander Sorkin.

Titelbild
Quelle: Bruce Rolff | Shutterstock.de [/su_spoiler]