Elektromobilität: Spätes Aufwachen in Russland

Wie steht es um die russische E-Mobilität?

Elektrofahrzeuge gehören außer bei Oberleitungs-Stadtbussen absolut nicht zur russischen Gegenwart. Das soll sich schon in den nächsten Jahren ändern – doch der Aufwachprozess der russischen Regierung bei E-Autos und regenerativer Energie kommt spät und wird erst allmählich spürbare Folgen haben.

Elektromobilität wird Thema in Russland – aus dem Ausland

Elektromobilität spielt in Russlands Gegenwart noch keine wirklich große Rolle. Bei einem internationalen Vergleich stellte die Beratungsfirma KPMG gerade einmal gut 10.000 Elektrofahrzeuge auf den russischen Straßen fest – das Land landete damit von 25 untersuchten Staaten auf Platz 23.

Doch im Land bleibt es nicht unbemerkt, dass das gleich bei zwei großen Nachbarn anders ist – in Europa und in China. Schlagzeilen macht hierbei vor allem Norwegen, das ebenso wie Russland auf dem Markt der Erdölförderung aktiv ist, aber dennoch das Elektroauto inzwischen vom Ausnahme- zum Regelfall bei den Neuzulassungen geworden ist.

Bestrebungen, auch im eigenen Land die Elektromobilität voranzutreiben gibt es deswegen inzwischen – nach einer langen Periode der Stagnation – auch in Russland und viele Experten vor Ort stehen diesem Trend aufgeschlossen gegenüber. Die Moskauer Zeitung Kommersant bezeichnet Elektrofahrzeuge als umweltfreundlichstes Verkehrsmittel. Sie sieht den Wunsch, in das Zeitalter des Elektroautos einzusteigen als natürlichen Trend, der eine Balance zwischen persönlicher Mobilität und einem umweltfreundlichen Lebensstil herstellen kann.

Dass dieser Trend zwischen Kaliningrad und Kamtschatka zeitverzögert erfolgt, ist dabei nachvollziehbar. Den Kraftstoff für herkömmliche Verbrennungsmotoren produziert man immerhin selbst aus im Land verfügbaren Rohstoffen und er ist damit trotz Preissteigerungen vergleichsweise billig.

Billig ist auch der Strom – jedoch wird er zum allergrößten Teil noch aus fossilen Energiequellen erzeugt, so dass aktuell der Betrieb eines Elektroautos häufig noch kein echter Entlastungseffekt für die Umwelt eintreten würde. So ist parallel zur Steigerung der Elektromobilität wie in anderen Staaten ein Umbau der Energieerzeugung auf erneuerbare Energieträger erforderlich.

Dass beides jetzt gewollt ist, liegt daran, dass die Schäden an der Umwelt durch den Verkehr mit konventionellem Antrieb auch in Russland deutlich sichtbar sind. Dabei ist der Klimawandel noch nicht ein so beherrschendes Thema wie in westlichen Staaten, wird inzwischen als wichtiges Problem bis hin zum Kreml erkannt. Hinzu kommt wesentlich deutlich in der Bevölkerung spürbar die direkte Umweltzerstörung etwa durch Abgase, unter deren Last und Gesundheitsgefährdung auch viele Großstadtbewohner in Russland ächzen.

Die Regierung beginnt, den Umstieg auf Elektroautos zu fördern

Der Umstieg auf Elektromobilität genießt aktuell die Unterstützung der Regierung. Ruslan Edelgerjew, Berater von Präsident Putin bei Klimafragen glaubt, dass auch Russland in den kommenden 20-30 Jahren auf elektrische Autos umsteigen wird. Nach 2030 rechnet er in der russischen Automobilindustrie nicht mehr mit der Herstellung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.

Dennoch tut sich die Regierung aktuell noch schwer mit weit reichenden Maßnahmen, um den Umstieg auf Elektrofahrzeuge zu beschleunigen. Vorübergehend geschaffene Zollbefreiungen für solche Autos in der von Russland dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion laufen Ende 2021 aus und sollen 2022 nach aktuellem Stand nicht verlängert werden, obwohl die inländische Automobilindustrie noch vor dem Produktionsstart steht, wenn man von den traditionell in Russland weit verbreiteten Elektro-Oberleitungsbussen absieht.

Allgemein hofft man im Öffentlichen Personennahverkehr auf ein schnelleres Wachstum der Elektrofahrzeuge. Das Moskauer Netz von elektrisch betriebenen Oberleitungsbussen ist das größte in Europa, die neueren Modelle seien im Gegensatz zur früheren Sowjetproduktion fortschrittlich und effizient, meint ein Experte des russischen Mobilitätsdienstleisters SberAuto zu Kommersant. Hier müsse man – anders als in den meisten anderen Bereich – nicht bei Null anfangen, sondern habe eine stabile Basis für neue Innovationen.

Im privaten Bereich wird der Zuwachs an E-Fahrzeugen monetär gebremst: Der Anschaffungspreis von Elektroautos ist hoch und nur etwas für vermögendere Russen, die sich ein Umweltbewusstsein leisten können. Einzelne staatliche Maßnahmen, die höheren Kosten zu ändern, gibt es aktuell nur in einem kleineren Umfang. So sind in Moskau E-Fahrzeuge von der sonst inzwischen allgegenwärtigen Parkgebühr und der Transportsteuer befreit, die wenigen Aufladesäulen sind teilweise kostenlos.

Was man dadurch spart, amortisiert jedoch in keinem Fall die höheren Anschaffungskosten. So ist es nicht verwunderlich, dass es einen Trend zu real mehr E-Autos bisher praktisch nur im Russischen Fernen Osten gibt – weil man dort in großem Umfang fernöstliche Gebrauchtfahrzeuge aus China und Japan importiert, wo der Anteil solcher Fahrzeuge bereits hoch ist und der Import solcher Autos quasi unvermeidbar.

Ladestationen und eigene E-Autos kommen in Kürze

Bereits aktiv ist man in Moskau beim Aufbau von Ladestationen. 20.000 von ihnen sollen bis Ende des kommenden Jahres entstehen. Der Strom dort soll aus Wasserstoff und Erdgas erzeugt werden und 30 % günstiger sein, als die Energie für das heimische Netz. Nicht nur für diese Maßnahme will das Russische Wirtschaftsministerium umgerechnet fünf Milliarden Euro in die Hand nehmen.

Danach soll die heimische Produktion von Elektrofahrzeugen beginnen. 2023 plant die Kaliningrader Holding Awtotor die Produktion von zwei Modellen von E-Autos, die jedoch eine im internationalen Vergleich noch nicht allzu hohe Reichweite von knapp 200 Kilometern haben. Die erste Auslieferung 2023 wird vom Umfang auch nicht über eine Kleinserie hinauskommen. Der Staat plant aktuell, den Kauf inländischer Elektrofahrzeuge durch einen Zuschuss zu verbilligen, der 25 % des Fahrzeugpreises ausmacht, schreibt das Medienportal RBK. Ausländische E-Autos werden nicht so bezuschusst.

Die beiden Modelle sollen in den folgenden Jahren durch andere ergänzt werden erläutert der stellvertretende Industrieminister Morosow der Nachrichtenagentur RIA Nowosti. So will der vor allem im LKW-Bau bekannte Produzent Kamaz 2024-2025 mit einem PKW namens „Kama-1“ auf den Markt gehen. Die Traditionsmarke Lada ist weniger weit und hat die Produktion eines E-Modells namens „Ellada“ nach wenigen Hundert Einheiten eingestellt. Der Minister verbreitet im Interview dennoch Hoffnung, dass sich weitere Anbieter finden und dann mit mehreren auf dem Markt auch die Geschwindigkeit des Anwachsens von Elektrofahrzeugen auf Russlands Straßen beschleunigen wird.

Nachholbedarf auch bei regenerativen Energien

Natürlich weiß man auch in Russland, dass Elektroautos nur dann umweltfreundlicher sind als Verbrenner, wenn der Strom aus der Steckdose regenerativ hergestellt wird. Hier findet die umweltfreundliche Energiegewinnung in Russland bisher auch in einem nur geringen Umfang statt. Das soll sich ebenfalls ändern Der Sonderbeauftragte Putins gab gegenüber RIA Nowosti an, ein Offshore-Windpark an der russischen Meeresküste wäre sein inniger Traum. Das ist erfreulich, zeigt aber auch, wie weit ein solches Vorhaben in Russland noch von seiner Realisierung entfernt ist.

Wind- und Solarkraftwerke sind in Russland noch recht selten, aber es soll nicht behauptet werden, dass keine existieren. Im Mai dieses Jahrs eröffnete der eher für Ölforderung bekannte Konzern Lukoil bei Wolgograd ein großes Solarkraftwerk und betreibt auch bereits einen Windpark in Rumänien und vier russische Wasserkraftwerke. Eine Verlagerung des Kerngeschäftes bedeutet das für den Ölriesen nicht – man will sich aber mit dem Einstieg in neue Technologien ein zweites Standbein verschaffen. Denn irgendwann wird zumindest aus dem Ausland die Ölnachfrage sinken, wenn das Öl als Rohstoff für Energiegewinnung und Straßenverkehr verschwindet.

Beim Ausbau der schon bestehenden Ressourcen besteht hier ebenfalls noch ein großer Nachholbedarf. Nur die Wasserkraft spielt laut den Daten des Russischen Energieministeriums von den Regenerativen bei der Stromerzeugung bereits eine nennenswerte Rolle, Wind und Wasser haben noch die Stellung von Nischen- und Versuchsquellen. Putin selbst holt sich aktuell innovative Köpfe in sein Führungsteam, um das zu ändern. Aber auch bei ihm ist diese Tendenz noch nicht lange spürbar – er fiel selbst vor wenigen Jahren nicht wegen einer zukunftsgewandten Einstellung in diesem Bereich auf. Noch 2019 äußerte er sich auf der Jekaterinburger Messe Innoprom recht negativ über die Energiegewinnung aus Wind und Strom. Der Aufwachprozess ist auch im Kreml noch nicht lange im Gange.

Durch Vorlaufzeiten bis zur Produktionsreife wird er auch keine sofortigen Ergebnisse nach sich ziehen, aber ein Anfang ist gemacht. Es bewegt sich bereits etwas im russischen Umweltbereich und im Bezug zu Elektromobilität, auch hier bleibt die Zeit weder stehen noch gehen die Uhren rückwärts. Im Zuge der internationalen Technologiezusammenarbeit könnten sich hierdurch auch Chancen für deutsche Firmen ergeben, denn bei der wirtschaftlichen Innovation zugunsten umweltfreundlicher Technologien gibt es ausnahmsweise einmal keinen Gegenwind aus der beiderseitigen Politik gegen eine enge deutsch-russische Kooperation.

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