Die Welt zu Gast in Taschkent: Internationale Zentralasien-Südasien-Konferenz

Die Ergebnisse der Konferenz zu interregionaler Zusammenarbeit und Interkonnektivität

Mehr Regionale Interkonnektivität, Handel und Kooperationen zwischen Zentralasien und Südasien – und die neue, offene außenpolitische Strategie des Landes präsentieren: darum ging es bei der Zentralasien-Südasien-Konferenz vom 15. – 16. Juli in Taschkent. Usbekistans Präsident Schawkat Mirsijojew lud dazu Vertreter aus Politik und Wirtschaft ein, an der Vertiefung von regionaler zentral- und südasiatischer Konnektivität mitzuarbeiten. Und auch Vertreter der Internationalen Gemeinschaft folgten der Einladung in die usbekische Hauptstadt. Highlights, Ergebnisse und ein Fazit aus deutscher Sicht.

Von der Pandemie in die Knie gezwungen und lange Zeit nur virtuell: der persönliche und vertraute Austausch bei diplomatischen Verhandlungsprozessen. Dabei ist er für die internationale Verständigung unabdingbar. Die usbekische Regierung setzte nun alles daran, neben dem Thema Pandemie ihre außenpolitischen Pläne zu präsentieren – und Regionalpolitik im Präsensformat zu machen. „Zentral- und Südasien: Regionale Konnektivität. Herausforderungen und Chancen“ – der Titel der internationalen Konferenz machte deutlich, worum es den Gastgebern ging. Im Rahmen der Ankündigung einer neuen offenen außenpolitischen Strategie des Landes machte Präsident Mirsijojew deutlich: Usbekistan strebt eine Stärkung der regionalen Konnektivität an.

Der Veranstaltung wurde auch höchste internationale Aufmerksamkeit zuteil. In der Ankündigung wurde hervorgehoben, es werde die weitere Vertiefung der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit zwischen Zentralasien und Südasien fokussiert – zwei Regionen, die historisch wie auch in wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und zivilisatorischer Hinsicht eng miteinander verbunden sind.

Abwesenheit Deutschlands

Die Konferenz sollte den Grundstein legen für die Etablierung einer politischen und fachlichen Plattform für die multilaterale Diskussion des für beide Seiten vorteilhaften strategischen Modells der interregionalen Zusammenarbeit: in den Bereichen Transport und Logistik, Energie, Handel, Industrie, Investitionen, Technologie, Kultur und humanitäre Angelegenheiten. An der Eröffnungszeremonie nahmen neben dem Gastgeber und Initiator Schawkat Mirsijojew auch der Präsident Afghanistans, Ashraf Ghani sowie der Premierminister Pakistans, Imran Khan, teil. Außerdem vertreten: die Volksrepublik China, die Russische Föderation, die Republik Indien, die Republik Türkei, die Volksrepublik Bangladesch, das Königreich Saudi-Arabien, der Staat Kuwait und die zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan jeweils auf der Ebene der Außenminister.

Auch weitere europäische Staaten wie Italien, Lettland und Belarus entsandten Regierungsvertreter zu dem hochrangig besetzten Forum, dem insgesamt über 250 Teilnehmer aus mehr als 40 Ländern und internationalen Organisationen beiwohnten. Während die EU mit dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, Präsenz zeigte, blieb die Abwesenheit eines Staatssekretärs, Zentralasienkoordinators oder Ministers von deutscher Seite von vielen Konferenzteilnehmern nicht unbemerkt. Wenn Deutschland seine strategische Rolle, die ihm in der Region immer noch potentiell zukommt, zukünftig nicht anderen Gestaltungsmächten überlassen möchte, wird es unumgänglich sein, hier stärker aufzutreten.

Entwicklung der regionalen Zusammenarbeit

Ein Zeichen für die Entwicklung der regionalen Zusammenarbeit soll auch die Neugründung des Internationalen Instituts für Zentralasien sein (International Institute for Central Asia – IICA). Die Eröffnungsfeier des Instituts  fand am Nachmittag des 15. Juli vor der Haupttagung der Konferenz auf Einladung der Regierung Usbekistans statt. Die Vorsitzende des usbekischen Senats Tansila Narbajewa eröffnete die feierliche Zeremonie mit der Verlesung der Grußbotschaft von Präsident Mirsijojew. Das Staatsoberhaupt stellte fest: die Gründung des Instituts werde vom Leben selbst, von den Realitäten der regionalen Entwicklung und dem historischen Moment gefordert. Dies ist eine weitere Bestätigung der festen Absicht Usbekistans, den Kurs der Vertiefung der regionalen Zusammenarbeit in der Außenpolitik fortzusetzen. Anschließend folgte die Rede von Usbekistans Außenminister Abdulaziz Kamilow. Darin betonte er, dass die Gründung des Internationalen Instituts für Zentralasien einen wichtigen Trend in den internationalen Beziehungen widerspiegelt – die wachsende Verflechtung regionaler politischer und wirtschaftlicher Prozesse. Dieser Trend ist besonders in Zentralasien zu beobachten. Historisch gesehen war diese Region ein entscheidendes Glied der Großen Seidenstraße und ein gemeinsamer kultureller und zivilisatorischer Raum von prägender Bedeutung für den globalen Wirtschafts-, Wissens- und Kulturtransfer. Der Schwerpunkt der akademischen und praktischen Aktivitäten dieses Forschungszentrums wird das Studium der regionalen Prozesse und der internationalen Beziehungen in Bezug auf Zentralasien sein, der wichtigsten außenpolitischen Priorität Usbekistans. Erklärtes Ziel des Instituts ist es auch, eine enge internationale Zusammenarbeit, insbesondere zwischen den zentralasiatischen Forschungszentren, zu fördern und zu stärken.

Neben zahlreichen internationalen Experten waren der stellvertretende Premierminister und Außenminister der Republik Kasachstan, Mukhtar Tleuberdi, der stellvertretende Premierminister und Minister für Wirtschaft und Finanzen der Kirgisischen Republik, Akylbek Japarow, der Außenminister der Republik Tadschikistan, Sirojiddin Mukhriddin und der stellvertretende Vorsitzende des Ministerkabinetts und Außenminister von Turkmenistan, Raschid Meredow, teil. Zu den Ehrengästen gehörten der Vorsitzende des Exekutivausschusses der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, Sergej Lebedew, der Generalsekretär der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, Wladimir Norow, der Generalsekretär des Kooperationsrates der turksprachigen Staaten, Baghdad Amreyrw und der Exekutivdirektor der Konferenz für Interaktion und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien, Kairat Sarybay. Die hochrangigen Gäste besichtigten das neue Gebäude des Instituts, machten sich mit den für die Mitarbeiter geschaffenen Arbeitsbedingungen vertraut und äußerten ihre Zuversicht, dass das IICAS als Plattform für die fachliche Erörterung regionaler Kooperationsperspektiven, die Ausarbeitung konkreter und wissenschaftlich fundierter Vorschläge zu multilateralen Projekten dienen wird.

Impuls zur Wiederbelebung der internationalen Zusammenarbeit und Stärkung des Multilateralismus

Die Plenartagung am 16. Juli widmete sich dem Stand und den Perspektiven der interregionalen Zusammenarbeit in Zentral- und Südasien, erfolgreichen Beispielen derselben sowie vielversprechenden, miteinander verbundenen Infrastrukturprojekten. Im Kontext der Konferenz fanden außerdem zahlreiche bilaterale Gespräche zwischen den Delegationen statt. Hervorzuheben ist hierbei der Austausch zwischen dem Präsidenten Afghanistans und dem Premierminister Pakistans, die sich dank der Vermittlungsleistung der usbekischen Seite über aktuelle wie grundlegende Fragen der regionalen Sicherheitsarchitektur austauschen konnten.

Die erste Arbeitsgruppe unter dem Titel „Handel und Transport: Konnektivität für nachhaltiges Wachstum“ widmete sich den Perspektiven für die Modernisierung der Volkswirtschaften Zentral- und Südasiens im Zusammenhang mit der Stärkung der interregionalen Konnektivität. Daneben wurden neue Möglichkeiten erörtert für die Entwicklung der Verkehrs- und Kommunikationskonnektivität in Zentral- und Südasien, einschließlich Projekten zum Ausbau bestehender und zum Bau neuer Verkehrskorridore. Ein wichtiger Bestandteil der Debatten umfasste die Zusammenarbeit mit ausländischen und internationalen Finanz- und Investitionsinstitutionen zur Realisierung solcher Vorhaben.

In der zweiten Arbeitsgruppensitzung „Wiederbelebung kultureller und humanitärer Beziehungen als Weg zur Stärkung der Freundschaft und des gegenseitigen Vertrauens“ wurde ein nicht weniger breites Themenspektrum diskutiert. So ging es beispielsweise um die Zusammenarbeit bei der Erforschung, Bewahrung und Förderung des historischen und kulturellen Erbes Zentral- und Südasiens. Ebenso wurden gemeinsame Projekte in den Bereichen Bildung, soziale Unterstützung und Schutz der Interessen der Jugend, Gesundheitswesen, Wissenschaft und Technologie, Ökologie und Tourismus besprochen.

Die dritte Arbeitsgruppe “Regionale Sicherheit: Herausforderungen und Bedrohungen” befasste sich mit den Perspektiven der regionalen Koordination bei der Bekämpfung neuer Bedrohungen und Herausforderungen sowie der Gewährleistung der Sicherheit der grenzüberschreitenden Infrastrukturen. Eine zentrale Rolle nahmen dabei ein: die neue Verantwortung der regionalen Akteure für die Stabilisierung Afghanistans nach dem Abzug der Truppen des westlichen Bündnisses. Hierbei wurde deutlich, dass es auf absehbare Zeit realpolitisch nicht durchsetzbar sein wird, ein fremdartiges System in der afghanischen Gesellschaft zu implementieren. Vielmehr müssen nun koordinierte Schritte zur innergesellschaftlichen Befriedung, zu Verhandlungen zwischen den verschiedenen Fraktionen und insbesondere zur Sicherung der humanitären und sozialen Grundsituation der Bevölkerung in Afghanistan geschaffen werden. Die ambitionierte Politik Usbekistans, die neben den Reformen im Inneren auch auf eine neue Außenpolitik mit regionalem Gestaltungsanspruch orientiert, verspricht hierbei auch für die nahe Zukunft weiterhin konstruktive Impulse und damit in der Konsequenz einen wichtigen Beitrag zur globalen Sicherheit zu leisten.

Wie geht es weiter?

Im Abschlussplenum der Konferenz resümierte Außenminister Abdulasis Kamilow die zentralen Ergebnisse der Tagung. Neben den zahlreichen konkreten Absprachen, Begegnungen und informellem Austausch am Rande der offiziellen Veranstaltungen darf diese Konferenz zurecht als ein Meilenstein bei der Wiederbelebung der internationalen Beziehungen nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie bezeichnet werden. Diese hochrangige Konferenz von Weltrang und die Schaffung des Internationalen Instituts für Zentralasien verdeutlichen die Bereitschaft Usbekistans, enge regionale und interregionale Beziehungen in jeder Hinsicht zu fördern, den multilateralen Dialog zu verstärken und die zentralen Fragen der Gegenwart konstruktiv und zukunftsorientiert zu gestalten. Es wird ein zentrales Verdienst von Präsident Schawkat Mirsijojew im Jahr 2021 bleiben, die politischen Entscheidungsträger nicht nur Zentral- und Südasiens, sondern auch von weiteren Global- und Regionalmächten gemeinsam an den Tisch gebracht zu haben, um die zahlreichen weiteren drängenden politischen Fragen jenseits der Pandemiebekämpfung wieder anzugehen.

Dass diese Konferenz nicht in Washington oder Brüssel, sondern im Herzen Zentralasiens stattfand, eröffnet auch einen klaren Blick auf die Realität der polyzentrischen Weltordnung und die Präferenzsetzungen der sie gestaltenden Akteure. China, Russland, Indien, die Staaten Zentralasiens und der arabischen Welt repräsentieren gemeinsam eine solide Mehrheit der Weltbevölkerung sowohl in demografischer, als auch ökonomischer Hinsicht. Deutschland bleibt gefordert, bei solchen Initiativen auf der Ebene der politischen Entscheider zukünftig stärker aufzutreten, wenn es sein noch stark vorhandenes kulturelles wie wirtschaftliches Kapital in der Region nicht verspielen möchte.

Titelbild
Screenshot YouTube-Video, Kanal Ruptly