Bedeutung Osteuropas für den deutschen Außenhandel exorbitant

Ost-Ausschuss-Kolumne: Bedeutung Osteuropas für den deutschen Außenhandel exorbitant

Aus zwei mach eins

Es gibt Berufsgruppen, die muss man schon allein deshalb mögen, weil sie über ganz besondere Fähigkeiten verfügen: z.B. Ärzte, Raumfahrer, Juristen. Letztere, weil sie in der Lage sind, hochkomplexe Sachverhalte in einfache, gut verständliche Formulierungen zu kleiden, wie diese:

„Danach ist eine Verschmelzung durch die Zusammenführung zweier oder mehrerer Rechtsträger auf einen übernehmenden Rechtsträger gekennzeichnet, wobei das ganze Gesellschaftsvermögen des/der übertragenden Rechtsträger(s) durch Gesamtrechtsnachfolge kraft Gesetzes übergeht und dieser übertragende Rechtsträger dadurch ohne Liquidation … erlischt.“

Goldene Worte. Sie haben noch nicht ganz verstanden worum es geht? Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft und der Osteuropaverein der deutschen Wirtschaft e.V. gehen zusammen. Aus zwei mach eins.

Besonders interessant für den Mittelstand

Mit dieser Verschmelzung wächst die Zahl der betreuten Länder auf 29 und der Zuständigkeitsbereich beginnt direkt an der östlichen Grenze Deutschlands und erstreckt sich bis zum Pazifik. Er schließt Mittelosteuropa, Osteuropa, Südosteuropa, das Baltikum, Eurasien und Zentralasien ein, Länder, die Mitglied der EU oder der EAWU sind. Eines haben alle diese Staaten gemeinsam; sie sind hochinteressant für die deutsche Wirtschaft und in besonderem Maß für den Mittelstand.

Auf Dauer ist es gerade für Mittelständler unabdingbar, über eine Expansion ins Ausland nachzudenken. Und eigentlich reicht das Nachdenken allein nicht, die Unternehmen müssen dieses Vorhaben eher früher als später in die Tat umsetzen, um weiter konkurrenzfähig zu bleiben. Wirtschaftsminister Peter Altmaier bringt es mit dem Satz: „Das Wachstum in Deutschland hängt in ganz hohem Maße davon ab, dass es dem Mittelstand gut geht (…)“ auf den Punkt.

Wer in Deutschland besteht, besteht auch am Weltmarkt

Um diese überragende Bedeutung besser zu verstehen, werfen wir einen Blick in die Historie. Viele der mittelständischen Unternehmen sind schon seit vielen Jahrzehnten oder Jahrhunderten am Markt aktiv. Sie haben Ihre Wurzeln und geschäftlichen Verbindungen zum Teil in den mittelalterlichen Zünften, Gilden oder der Hanse. Diese Tradition hat sich auch im 20. Jahrhundert weitgehend ungebrochen fortgesetzt. Wer sich als Mittelständler in Deutschland als wettbewerbsfähig erweist, der wird in aller Regel auch am Weltmarkt bestehen können. Der Konkurrenzkampf hierzulande ist sehr kompetitiv.

Das ist einer der wesentlichen Unterschiede im Vergleich mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Ein Dreivierteljahrhundert sozialistische Planwirtschaft hat gereicht, um Handwerk, Unternehmergeist und Familienunternehmen in die Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen. Etwas anders stellt sich die Situation in den Staaten dar, die erst seit 1945 zum „sozialistischen Lager“ zählten und deren wirtschaftliche Basis nicht an Rohstoffen hängt.

Und in den letzten 25 Jahren hat sich teilweise Erstaunliches getan. Die stärksten öffentlichen WIFI-Netze weltweit gibt es in Litauen, Kroatien und Estland. Rumänien hat das schnellste Internet in Europa, gefolgt von Bulgarien und Litauen. E-Estonia, die staatliche Internetplattform Estlands ist das Vorzeigeprojekt weltweit für E-Government. I-Voting, e-Tax Board, e-Business, e-Banking, e-Ticket, e-School, University via internet, the e-Governance Academy sind Begriffe, die in Estland jeder Bürger kennt. Rumäniens Wirtschaft wächst mit ca. sieben Prozent mit geradezu chinesischen Dimensionen.

Über zwei Drittel aller Exporte und Importe entfallen auf Europa

Und die Bedeutung Osteuropas für den deutschen Außenhandel und den deutschen Mittelstand ist exorbitant. Das Statistische Bundesamt betrachtete 2017 die Außenhandelsstatistik auch nach Erdteilen. Auf alle Länder Europas entfallen 68,2 Prozent aller Exporte und 68,5 Prozent aller Importe. Mit den Ländern Ost-Europas wurden im letzten Jahr Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 426 Milliarden Euro gehandelt, knapp 20 Prozent des gesamten deutschen Außenhandels. Davon entfielen knapp 214 Milliarden auf den Export. Das ist mehr als mit der Volksrepublik China und den USA zusammen.

Mittelstand mit Nachholbedarf

An dieser beeindruckenden Bilanz sind mittelständische Unternehmen allerdings noch eher unterdurchschnittlich beteiligt. Eine gemeinsame Studie fünf europäischer Förderbanken, unter ihnen die deutsche KfW, kommt zu dem Schluss: „International aktive Unternehmen sind produktiver, innovativer und wachstumsstärker. Eine stärkere regionale Diversifizierung macht Unternehmen bestandsfester. In den fünf größten Volkswirtschaften Europas exportieren im Durchschnitt jedoch weniger als 30% aller KMU.

Ziel ihrer Exporte sind meist andere EU-Länder. Nur drei Prozent der Mittelständler tätigen grenzüberschreitende Investitionen.“ Die Gründe für diese Zurückhaltung sind vielfältig. Sie reichen von einem gefühlten Mangel an Informationen über den Zielmarkt, Schwierigkeiten Geschäftspartner zu finden über administrative Behinderungen bis hin zu Personalmangel. Die größte Herausforderung stellt jedoch für die meisten KMU die Finanzierung ihrer Auslandaktivitäten dar.

80 Prozent der Garantien gehen an KMU

Mittelständische Unternehmen, die in aller Regel die Expansion des Unternehmens mit dem eigenen oder dem Kapital der Familie finanzieren, können über die Exportkreditgarantien des Bundes (Hermesdeckungen) bis zu 95 Prozent des Risikos absichern. Eine solche Deckung ist auch schon bei kleinen sechsstelligen Summen und im Einzelfall bei noch niedrigeren Beträgen möglich.

2016 wurden mehr als 80 Prozent aller beantragten Hermesdeckungen an „mittelständisch geprägte Unternehmen“ vergeben, Tendenz steigend. Auf europäische Länder außerhalb der EU entfielen rund 5,7 Milliarden Euro, wobei die Russische Föderation mit knapp 3,8 Milliarden – weltweit – einsam an der Spitze der beantragten und genehmigten Deckungen liegt, gefolgt von der Ukraine, Belarus und Serbien.

Besondere Förderung für EU-Mitglieder

Litauen, Polen, Rumänien und Ungarn kommen als Mitglieder der EU in den Genuss des European Recovery Program (ERP), das mit zinsgünstigen Krediten und Beteiligungen zu den wichtigsten Instrumenten der europäischen Wirtschaftsförderung zählt. Über Gründungs-, Innovations- und Beteiligungsfinanzierung soll so der Nachteil gegenüber etablierten Firmen ausgeglichen werden. Additiv stehen Mittel zur Eigenkapitalerhöhung, zur Exportfinanzierung und für wirtschaftliche unterentwickelte Regionen zur Verfügung.

„Made in Germany“ Wettbewerbsvorteil

Osteuropa und Zentralasien sind Regionen, die in den strategischen Überlegungen mittelständischer Unternehmen unbedingt eine Rolle spielen sollten. Auch unter dem Eindruck der tektonischen Erschütterungen im transatlantischen Verhältnis. Die Wachstumschancen in nahezu allen 29 Ländern sind gut bis sehr gut. Die Datenlage ist gesichert.

Wer trotz objektiver Datenlage und subjektiv positiven Einschätzung weiter Zweifel an einem Markteintritt in den Ländern Osteuropas und Zentralasiens haben sollten, dem hilft vielleicht, dass außerhalb Deutschlands das Label „Made in Germany” ein Wettbewerbsvorteil per se ist. Damit werden automatisch Qualität, Know-how, Zuverlässigkeit, Genauigkeit und Nachhaltigkeit verbunden. Es ist also allerhöchste Zeit, die Chancen die sich durch die Verschmelzung von AO und OEV bieten zu nutzen und sich auf den Weg in Richtung Osten zu machen.


Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand für Russland beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Foto: zVg
Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand
im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.

Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu

Titelbild
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