Aserbaidschan und Deutschland: 30 Jahre Diplomatie

Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands mit Aserbaidschan wurden letztes Jahr 30 Jahre alt. Über die Anfänge und das wirtschaftliche Verhältnis zum wichtigsten Handelspartner der Bundesrepublik im südlichen Kaukasus. 

Von Urs Unkauf 

2022 markierte das 30-jährige Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Aserbaidschan und der Bundesrepublik Deutschland. Beide Länder pflegen heute intensive Beziehungen, die weit über die traditionelle Dimension der Energiekooperation hinausreichen. Die Vielfalt der deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen wird von den zwischenmenschlichen Kontakten getragen und umfasst gegenwärtig alle relevanten Bereiche der zwischenstaatlichen Beziehungen. 2021 erschien mit dem von Matthias Dornfeldt und Enrico Seewald verfassten Werk „Deutschland und Aserbaidschan: Die Geschichte der amtlichen Beziehungen“ die erste wissenschaftliche Gesamtdarstellung über die Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten.  

Das deutsche Erbe in Aserbaidschan reicht bis in das zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zurück. Damals gelangten schwäbische Siedler, die aus konfessionellen Gründen infolge der napoleonischen Befreiungskriege gezwungen waren, ihre ursprüngliche Heimat zu verlassen, nach Aserbaidschan. In den damals gegründeten Orten Helenendorf (Göygöl) und Annenfeld (Şəmkir) bestehen die architektonischen Bauten aus jener Zeit bis heute. Die aserbaidschanische Regierung fördert die Pflege des deutschen kulturellen Erbes und nicht zuletzt die Erinnerung an das friedliche Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen auf dem Gebiet der heutigen Republik Aserbaidschan. Multikulturalismus und Toleranz haben in Aserbaidschan nicht nur historische Tradition aufgrund der Prägung Kaukasiens als Interaktionsraum verschiedener Ethnien und Religionen. Diese Werte bilden eine Grundhaltung, die einer gesellschaftlichen Realität entspricht, die sich jedem Besucher des Landes am besten durch das persönliche Erleben erschließt. 

1992: Notenwechsel in Moskau 

Die bilateralen Beziehungen begannen offiziell am 20. Februar 1992: mit dem Notenwechsel zwischen dem Außenministerium der Republik Aserbaidschan und der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Moskau. Seitdem hat sich die Zusammenarbeit kontinuierlich entwickelt und verstärkt. Die Beziehungen Deutschlands zur bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Nation des Südkaukasus entwickelten sich in den ersten Jahren vorwiegend auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Die deutsche Bundesregierung vertrat stets die völkerrechtliche Position der territorialen Integrität Aserbaidschans und lehnte die armenische Besetzung von Karabach und den umliegenden aserbaidschanischen Provinzen entschieden ab. Als erster Bundesminister besuchte Klaus Kinkel die aserbaidschanische Hauptstadt Baku im Dezember 1995 und traf sich mit Präsident Heydar Aliyev sowie Premierminister Fuad Gulyev.  

Kinkel wurde von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet, die sich für die Entwicklungsperspektiven des rohstoffreichen Landes interessierte. Bereits im Juli des Folgejahres 1996 kam es zum ersten aserbaidschanischen Staatsbesuch in Deutschland. Bei den Gesprächen von Staatspräsident Heydar Aliyev mit Bundespräsident Roman Herzog und Bundeskanzler Helmut Kohl spielte auch die Vertiefung der kulturellen, wissenschaftlich-technischen sowie regionalen Beziehungen eine verstärkte Rolle. Daran orientierten sich auch Amts-Nachfolger Gerhard Schröder, der sich unmissverständlich zu Karabach als integralem Bestandteil der souveränen Republik Aserbaidschan positionierte, und später Bundeskanzlerin Angela Merkel. 

Wirtschaftliche Entwicklung 

Aserbaidschan ist seit Jahren der wichtigste Handelspartner Deutschlands im Südkaukasus. Der Gesamtwarenverkehr betrug im Jahr 2021 nach Angaben von Germany Trade & Invest (GTAI) etwa eine Milliarde Euro. Zudem rangiert Aserbaidschan auf Platz 10 der wichtigsten Rohöllieferanten Deutschlands. Infolge der Erdgaslieferungen über den Südlichen Gaskorridor zur Ersetzung des Pipelinegases aus der Russischen Föderation wird die Bedeutung Aserbaidschans für die europäische Energieversorgungssicherheit insgesamt zunehmen. In den letzten Jahren hat Aserbaidschan konkrete Schritte unternommen, um die Diversifizierung seiner Volkswirtschaft aktiv zu fördern und die Potenziale jenseits der Erdöl- und Erdgasindustrie zu entwickeln. Die Bereiche Landwirtschaft, Logistik, Tourismus, erneuerbare Energien sowie die Produktion und Distribution hochwertiger Exportgüter stehen hierbei besonders im Fokus. Mit der Alat Free Economic Zone (AFEZ) wurde ein Modellprojekt mit sehr attraktiven Standortbedingungen von regionaler Bedeutung geschaffen. Weitere Sonderwirtschaftszonen in Karabach und den angrenzenden Gebieten sowie in der Hauptstadt Baku befinden sich in der Entwicklung. 

Bis heute wurden 77 bilaterale Abkommen zwischen Aserbaidschan und Deutschland in verschiedenen Bereichen unterzeichnet. Aserbaidschan unterstützt die Östliche Partnerschaftsinitiative der Europäischen Union und hat die Orientierung auf den euro-atlantischen Raum als eine der Prioritäten seiner Außenpolitik definiert. Zugleich befindet sich Aserbaidschan mit seiner geostrategischen Lage zwischen Russland, dem Iran und der als Brudernation empfundenen Türkei in einem geopolitischen Umfeld, das ein diplomatisch besonnenes Agieren voraussetzt. Mit den Staaten Zentralasiens besteht ebenfalls eine intensive Zusammenarbeit und die Teilnahme von Präsident Ilham Aliyev als Ehrengast auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit im September 2022 in Samarkand verdeutlicht Aserbaidschans Bestreben zum Engagement in überregionalen Dialogformaten. Des Weiteren hat Aserbaidschan seit 2019 bis 2023 den Vorsitz der Bewegung der Blockfreien Staaten inne, der insgesamt 120 Nationen angehören. 

Aserbaidschan und Deutschland verfügen auf der Basis der gemeinsamen Erfahrungen aus den letzten 30 Jahren über hervorragende Perspektiven, die Zusammenarbeit in allen Bereichen zum beiderseitigen Wohlergehen umfassend zu intensivieren. Die strategische Bedeutung Aserbaidschans hat vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges eine schlagartig neue Dimension erreicht. Schlussendlich leisten die deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen wichtige Impulse für die verstärkte Zusammenarbeit der Europäischen Union mit dem Südkaukasus und der Kaspischen Region. Hieraus könnten zudem verstärkt gemeinsame Initiativen im globalen Maßstab entstehen, beispielsweise bei der Bekämpfung des Klimawandels und der weltweiten Armut. Die weiteren Perspektiven zum Ausbau der deutsch-aserbaidschanischen Zusammenarbeit für die nächsten 30 Jahre sind nicht minder beachtenswert als die gemeinsamen Erfolge der letzten 30 Jahre. 

Über den Autor: Urs Unkauf war 2021 Gastwissenschaftler an der Diplomatischen Akademie Aserbaidschans (ADA University).

Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder. Ostexperte.de bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Debattenbeiträge und Kommentare müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

 

Titelbild
Alexandros Michailidis / Shutterstock.com