Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik
Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute mit einer Rückschau in den Alltag der DDR, einem Blick auf aktuelle Autokraten und einem Plädoyer für die Freiheit.
Es ist dieser Tage, sofern man sich nicht dem allgemeinen Trend zur Katastrophen- oder Endzeitberichterstattung anschließen will, ein wenig kompliziert über etwas zu schreiben, dessen Halbwertszeit mehr als 24 Stunden beträgt. Deshalb probiere ich es einmal mit einem ewigen Thema: Freiheit vs. Kontrolle. Es ist so erwartbar wie erschreckend wie perfide, dass die Staaten und Staatenlenker, die schon bisher nicht durch ein hohes Maß an demokratischer Teilhabe aufgefallen sind, die Zeit einer Pandemie nutzen, um die individuellen und gesellschaftlichen Freiheiten einzuschränken. Selbstredend zum Schutz und im Sinne der Bevölkerung. Diese Fürsorglichkeit hätte man sich im Vorfeld gewünscht, dann wären die Folgen jetzt vielerorts weniger dramatisch. Investitionen in ein funktionierendes Gesundheitssystem, Transparenz und Aufklärung wären beispielsweise ein Zeichen von Weitsicht und Verantwortung gewesen.
Zeit für Allmachtsphantasien
Dafür wird in einigen Ländern gerade jetzt in großem Stil aufgerüstet. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung und die Prävention sollen für die nächste Pandemie deutlich verbessert werden. Wirklich? Die chinesische Regierung will zu diesem Zweck ca. 600 Millionen Kameras beschaffen, um den öffentlichen Raum zu überwachen. Was? Das wäre in Europa fast für jeden Einwohner eine. Welchen konkreten Nutzen hat der Einzelne davon, wenn er flächendeckend überwacht wird? Hätte eine Kamera die Entstehung des Virus verhindern können? Entwickeln Kameras neuerdings Impfstoffe oder Notfall-Strategien? Wozu dient ein Notstandsgesetz in Ungarn, dessen Dauer unbegrenzt ist, das demokratische Grundrechte und die Pressefreiheit beschränkt und „Falschmeldungen“ mit hohen Strafen bewährt?
Welcher gesellschaftliche Diskurs, welches Regulativ bestimmt, was eine Falschmeldung ist, wenn die Gewaltenteilung und demokratische Prozesse faktisch außer Kraft gesetzt sind? Der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung dient dies alles wohl eher nicht? Und in Polen ist zwar das öffentliche Leben eingeschränkt, gewählt werden soll am 10. Mai aber trotzdem. Der brasilianische Präsident wiederum schüttelt weiter fleißig Hände und verharmlost das Problem als „kleine Grippe“. Zur Erinnerung, so richtig „populär“ wurde der Begriff Fake News durch Donald Trump, als er behauptete, Obama sei nicht in den USA geboren und dürfte deshalb eigentlich gar nicht Präsident sein. Es scheint hohe Zeit für Allmachts- und Autokratenphantasien zu sein.
„De Masse is bleede“
Und der Moment ist günstig für in normalen Zeiten Undenkbares. Die Menschen sind im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Überleben beschäftigt. Wer stellt sich angesichts existentieller Probleme im persönlichen Umfeld und der Familie schon die Frage, bei welchem Anlass künftig Ausgangssperren verhängt und Menschenansammlungen verboten werden mit Verweis auf den Schutz der Bevölkerung, ob das Tracking von Handydaten jemals wieder zurückgenommen wird. Und vielen, so scheint es, ist es auch einfach egal. Mein Vater, ein Philosoph gefangen im Körper eines Handwerkers, kannte für diesen Zustand den schönen Spruch: „De Masse is bleede.“ Was, für diejenigen, die des Sächsischen nicht wirklich mächtig sind, das komplette Fehlen von Schwarmintelligenz bedeutet.
Faulend, absterbend, parasitär
Er hatte als Handwerker im „entwickelten Sozialismus im Übergang zum Kommunismus“ ein sehr feines Gespür dafür entwickelt, wann die Mächtigen das Volk zum Narren halten wollten. Das half ihm, als „Privateigentümer an Produktionsmitteln“ und somit per se suspektem Individuum zu erkennen, wie wenig der reale Sozialismus mit der Propaganda zu tun hatte, und mir später die Segnungen der Demokratie nicht als gottgegeben zu verstehen. Lenin hat es in der feinen Bemerkung komprimiert: „daß der Imperialismus parasitärer oder faulender Kapitalismus ist, zeigt sich vor allem in der Tendenz zur Fäulnis, die jedes Monopol auszeichnet, wenn Privateigentum an den Produktionsmitteln besteht.“ Und so fühlte man sich denn als Parasit in einer idealen Gesellschaft, die allerdings unfähig war, die Kreativität, Selbständigkeit und Verantwortung der Menschen zu beflügeln, es sei denn, damit sollte die hohe Kunst der Improvisation gemeint sein. Denn, so ein weit verbreiteter Spruch: „Mir hamm doch nüschte.“
Die Chance, unternehmerisch frei zu sein
Die ehemalige DDR war eine Mangel- und Zwangsgesellschaft, so wie alle anderen Länder des ehemaligen „Ostblocks“ auch. Deshalb waren die Freude und das Erstaunen darüber, um wie Vieles besser das Leben im faulenden und parasitären Kapitalismus war, gar nicht in Worte zu fassen. Die Freiheit endlich entscheiden zu dürfen, wie, wo und mit wem man das eigene Leben gestaltet, war ein unfassbares Glück. Allein die Chance, unternehmerische Entscheidungen frei treffen, Pläne umsetzen und die Gesellschaft aktiv mitgestalten zu können, war unbeschreiblich. Auch auf die Gefahr hin, dass die Entscheidung falsch war. Freie Marktwirtschaft impliziert auch das Scheitern. Vor allem aber Wettbewerb im besten Sinne des Wortes. Die Idee, das Produkt, die Dienstleistung, die sich im Markt bewährt, die der Verbraucher akzeptiert, setzt sich am Ende durch. In einem solchen Umfeld entstehen Innovationen, wird zum Besten der Bevölkerung geforscht und entwickelt, fördert die Gesellschaft den Wettbewerb und kümmert sich um die Schwächeren. Und nicht ganz unwichtig, wenn man wählen geht, hat man tatsächlich auch eine Wahl.
Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft
Genau das ist mit dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft gemeint. Was sie so besonders macht, ist die Symbiose zwischen Markt und Staat, die Wettbewerb und Sozialstaat gleichermaßen garantiert. Eine Ordnungspolitik, die Außenwirtschaft, Infrastrukturpolitik, regionale Entwicklungspolitik, Bildung und Ausbildung als staatliche Aufgaben begreift, und nicht zuletzt der Zuschnitt wirtschaftlichen Produktionsprozesses, der Verbandskoordination, Mitbestimmung, duale Berufsausbildung einschließt. Dieses Konzept hat nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und bis heute garantiert, dass die Bundesrepublik Deutschland sich zu einem der stabilsten und erfolgreichsten Länder überhaupt entwickelt hat.
Europa als Vorreiter
Ein ähnlicher Gedanke führte zur Gründung der Montan-Union, in der zum allerersten Mal nationale Kompetenzen an eine internationale Organisation abgetreten wurden zum Wohle aller Mitglieder. Aus den sechs Gründungsstaaten sind heute 27 Mitglieder der EU geworden. Was sie vor allem eint, ist das Wissen um wirtschaftliche Prosperität, freien Handel und die ökonomische – und manchmal auch politische – Schlagkraft als Ganzes. Eine einheitliche Verfassung hat die EU bis heute – leider – nicht. Was im Vertrag von Lissabon aber eindeutig geregelt wird, sind Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und justizielle Rechte. Die Bundeskanzlerin betonte damals: „Der Grundgedanke der sozialen Marktwirtschaft ist der Grundgedanke des geordneten Wettbewerbs. Diesen Gedanken müssen wir auf die Europäische Union übertragen.“ Mit keinem Wort steht in diesem oder einem anderen Vertrag, dass die Mitgliedsstaaten die Freiheitsrechte der Bevölkerung beschneiden dürfen.
Freiheit statt Zwang
Und genau aus diesem Grund müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, damit Zustände wie unter den sozialistischen Regimen keine Renaissance erleben. Zwang, Unterdrückung und Verbot sind weder einer Gesellschaft noch einer Volkswirtschaft zuträglich. Wer die Bewegungsfreiheit seiner Bürger einschränkt, deren Mitbestimmung untergräbt und per Dekret regiert, der wird eher früher als später auch versuchen, Wirtschaft und Markt für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Auf diese Weise entstehen viel schneller die Monopole, die Lenin gemeint hat. Und damals wie heute gilt, der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Eine solche Entwicklung untergräbt aktiv fairen Wettbewerb, transparente Strukturen und den gleichen Zugang aller Marktteilnehmer. Im Ergebnis wäre das das Ende der europäischen Idee und Zusammenarbeit, freier demokratischer Gesellschaften und unserer Art zu leben. Freiheit – auch auf die Gefahr hin sich zu irren – ist totaler Kontrolle in jedem Fall vorzuziehen. Wirtschaft braucht Freiheit. Selten war das so wichtig wie heute.
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