IWF und Weltbank erhöhen ihre BIP-Prognosen für Russland

Korrektur nach oben: Nach dem Internationalen Währungsfonds (IWF) hat jetzt auch die Weltbank ihre Prognose für das russische Wirtschaftswachstum 2023 aktualisiert. Demgegenüber stehen verschlechterte Prognosen für 2024.

Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank aktualisierten anlässlich ihrer gemeinsamen Frühjahrstagung auch ihre Prognosen zur Weltwirtschaft. Hinsichtlich der Produktionsentwicklung in Russland sind sie sich noch nicht völlig einig. Der IWF erwartet 2023 ein schwaches Wachstum (+ 0,7), die Weltbank eine schwache Rezession (- 0,2). Damit liegen ihre Prognosen aber nur noch knapp einen Prozentpunkt auseinander.

2022 ist Russlands Bruttoinlandsprodukt unter dem Einfluss der Sanktionen um 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Das bestätigte das russische Statistikamt Rosstat am letzten Freitag in seiner „zweiten Schätzung“ der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2021.

Der IWF hebt seine Wachstumsprognose für 2023 auf 0,7 Prozent an

Der IWF hatte bereits Ende Januar prognostiziert, dass die russische Wirtschaft 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,3 Prozent erreichen dürfte. Damit revidierte der Fonds seine Russland-Prognose um 2,6 Prozentpunkte nach oben – und wurde deswegen vor allem von Wissenschaftlern der Yale-Universität heftig kritisiert. In der bei der Frühjahrstagung am 11. April veröffentlichten neuen Ausgabe seines „World Economic Outlook“ hob der IWF seine Wachstumsprognose für die russische Wirtschaft jetzt noch etwas weiter auf 0,7 Prozent an. Vor einem halben Jahr hatte er im Oktober für 2023 in Russland noch eine Rezession um 2,3 Prozent erwartet.

Die Weltbank erwartet 2023 nur noch eine sehr schwache Rezession

Die Weltbank hatte Anfang Januar den weiteren BIP-Rückgang in Russland im Jahr 2023 noch auf 3,3 Prozent veranschlagt. In ihrer kurz vor der Frühjahrstagung veröffentlichten neuen Russland-Prognose geht die Weltbank jetzt davon aus, dass die Produktion der russischen Wirtschaft im Jahresvergleich 2023/2022 nur noch um 0,2 Prozent sinkt. Damit hob die Weltbank ihre BIP-Prognose für Russland um 3,1 Prozentpunkte an.

Die Wachstumserwartungen für 2024 wurden aber gesenkt

Weitgehend einig sind sich IWF und Weltbank auch hinsichtlich der weiteren Produktionsentwicklung im Jahr 2024. Beide senkten ihre Erwartungen. Der IWF nahm seine Wachstumsprognose für 2024 von 2,1 auf 1,3 Prozent zurück, die Weltbank von 1,6 Prozent auf 1,2 Prozent.

Die 2022 verzeichnete Rezession um 2,1 Prozent wird nach Einschätzung des IWF in den Jahren 2023 und 2024 mit Wachstumsraten von 0,7 und 1,3 Prozent also knapp aufgeholt.

Nach Einschätzung der Weltbank beginnt die Erholung aber erst im Jahr 2024. Der Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 2,1 Prozent im Jahr 2022 und um 0,2 Prozent im Jahr 2023 wird laut der Weltbank mit einem Wachstum von 1,2 Prozent im Jahr 2024 nur rund zur Hälfte ausgeglichen.

Rosstat bestätigte den Rückgang des BIP um 2,1 Prozent im letzten Jahr

Weltbank und IWF erstellten ihre Prognosen für Russland auf der Basis der „ersten Schätzung“ der russischen Statistikbehörde Rosstat zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2022 vom 20. Februar. Danach ist das reale Bruttoinlandsprodukt 2022 gegenüber 2021 um 2,1 Prozent gesunken. Auch in seiner am 07. April veröffentlichten „zweiten Schätzung“ ermittelte Rosstat für 2022 einen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 2,1 Prozent (Finmarket.ru-Bericht).

BIP-Prognosen 2022 bis 2024

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

In der „zweiten Schätzung“ des Statistikamtes zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2022 ergaben sich in einigen Herstellungs- und Verwendungsbereichen des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zur ersten Schätzung aber beträchtliche Veränderungen. So veranschlagt Rosstat den Rückgang der Exporte im Jahr 2022 jetzt nicht mehr auf 9,6 Prozent, sondern auf 13,9 Prozent. Die Schätzung für den Rückgang der Importe wurde gleichzeitig ähnlich stark von 9,7 Prozent auf 15,0 Prozent erhöht.

Den Anstieg der Brutto-Anlageinvestitionen schätzt Rosstat jetzt auf nur noch 3,3 Prozent (erste Schätzung: + 5,2 Prozent). Die Schätzung für den Rückgang des Privaten Verbrauchs wurde von 1,8 Prozent auf 1,4 Prozent abgeschwächt.

Rückblick der Weltbank auf Russlands Konjunktur im Jahr 2022

In der folgenden Abbildung der Weltbank zur Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts bis 2025 zeigt die blaue Linie die Veränderungsraten des Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr.

Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts bis 2025

Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent (blaue Linie)

Beiträge der Verwendungsbereiche zur Veränderungsrate in Prozentpunkten

World Bank: Europe and Central Asia Economic Update, Spring 2023; 06.04.23; Country Profile Russian Federation; 06.04.23

Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 2,1 Prozent im Jahr 2022 wurde hauptsächlich verursacht durch den Rückgang der Exporte (roter Säulenabschnitt) und die Verringerung der Lagerbestände (grauer Säulenabschnitt). Auch der Verbrauch sank insgesamt, obwohl der Staatsverbrauch stieg (hellblauer Säulenabschnitt).

Wachstumsimpulse kamen 2022 vom Rückgang der Importe (oberster Säulenabschnitt) und dem Anstieg der Brutto-Anlageinvestitionen (Säulenabschnitt über der Null-Linie).

Laut der Weltbank leistete die russische Regierung im Jahr 2022 fiskalische Wachstumsimpulse in Höhe von 4,2 Prozent des BIP. Sozialleistungen wurden erhöht, Steuererleichterungen für Unternehmen gewährt und subventionierte Darlehen bereitgestellt. Der föderale Haushalt verzeichnete im Jahr 2022 ein Defizit von 2,2 Prozent des BIP nach einem kleinen Überschuss im Jahr 2021.

Weltbank: 2023 schwächt sich Russlands Rezession auf 0,2 Prozent ab

2023 wird die Produktion der russischen Wirtschaft nach Einschätzung der Weltbank von weiterhin rückläufigen Exporten bei gleichzeitig steigenden Importen gebremst.

Der private Verbrauch dürfte sich bei einer Ausweitung der Sozialleistungen und bei vermehrt verfügbaren Importprodukten etwas erholen. Die gesamtwirtschaftliche Produktion werde vom Verbrauch insgesamt Wachstumsimpulse erhalten, vor allem dank des anhaltend stark steigenden Staatsverbrauchs.

Bei den Brutto-Anlageinvestitionen („Gross Fixed Capital Investment“) erwartet die Weltbank einen weiteren, aber deutlich schwächeren Anstieg als 2022. Die Kapitalzuflüsse dürften sinken und einige große Investitionsprojekte gestoppt werden.

Prognosen der Weltbank bis 2025
Reale Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent

World Bank: Country Profile Russian Federation; 06.04.23

Der Anstieg der Verbraucherpreise wird sich laut der Weltbank im Jahresdurchschnitt 2023 auf 6,0 Prozent abschwächen und im Jahr 2025 allmählich auf das von der Zentralbank angestrebte Ziel von 4 Prozent fallen.

Der IWF erwartet im Jahresdurchschnitt 2023 einen etwas schwächeren Rückgang der Inflationsrate von 13,8 Prozent auf 7,0 Prozent.

Die weiteren Wachstumsaussichten Russlands sind „gedämpft“

Die mittel- bis langfristigen Wachstumsaussichten der russischen Wirtschaft bezeichnet die Weltbank als „gedämpft“. Sie verweist zum einen darauf, dass Russlands Möglichkeiten für Einfuhren und sein Zugang zu produktivitätssteigernden Technologien wegen der Sanktionen begrenzt seien. Die insgesamt erhöhte Unsicherheit und der eingeschränkte Zugang zu Technologien werden nach Einschätzung der Weltbank die privaten Investitionen dämpfen und weniger produktiv machen. Hinzu komme der Verlust qualifizierter Arbeitskräfte durch Auswanderung.

2024 erwartet die Weltbank nur eine schwache Erholung des russischen Bruttoinlandsprodukts (+ 1,2 Prozent). 2025 werde es sogar nur noch 0,8 Prozent erreichen.

Zur Entwicklung der russischen Wirtschaft bis 2025 hebt die Weltbank hervor, es sei mit einem Rückgang des Leistungsbilanzüberschusses und einem vorübergehenden Anstieg des Haushaltsdefizits zu rechnen.

Der stark gestiegene Leistungsbilanzüberschuss fällt bis 2025 weit zurück

Aufgrund neuer Sanktionen für die Ausfuhr von Rohöl und Ölprodukten wird die russische Ölförderung nach Einschätzung der Weltbank 2023 voraussichtlich um rund 7 Prozent abnehmen. Die Transportkosten für die russischen Exporteure dürften steigen.

Der 2022 stark gestiegene Leistungsbilanzüberschuss dürfte sich laut der Weltbank von 10,1 Prozent des BIP auf 4,4 Prozent des BIP im Jahr 2023 verringern. 2024 und 2025 werde er nur noch gut 2 Prozent des BIP erreichen.

Der IWF erwartet, dass Russlands Leistungsbilanzüberschuss im Jahr 2023 noch etwas stärker auf 3,6 Prozent des BIP sinkt.

Das Haushaltsdefizit wird 2023 vorübergehend auf 3,7 Prozent des BIP steigen

Russlands gesamtstaatliches Haushaltsdefizit wird sich nach Einschätzung der Weltbank in diesem Jahr fast verdreifachen und von 1,4 Prozent des BIP im Jahr 2022 auf 3,7 Prozent des BIP im Jahr 2023 steigen.

Einerseits dürften die staatlichen Einnahmen sinken (auch weil höhere Rabatte auf russisches Öl gewährt würden).

Andererseits dürften die Ausgaben für militärische Zwecke erhöht werden. Gleichzeitig dürften die staatlichen Ausgaben für Sozialleistungen gesteigert werden (auch mit dem Ziel der antizyklischen Stützung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage). Angesichts des eingeschränkten Zugangs Russlands zu den internationalen Finanzmärkten erwartet die Weltbank, dass sich durch die höhere öffentliche Kreditaufnahme die Möglichkeiten des privaten Sektors zur Kreditaufnahme verschlechtern.

Gleichzeitig betont die Weltbank, dass Russlands Haushaltsdefizit mittelfristig „überschaubar“ bleibe. Sie verweist auf die relativ niedrige Staatsverschuldung und vorsorglich angesparte „fiskalische Puffer“.  Bis zum Jahr 2025 erwartet die Weltbank einen Rückgang des Haushaltsdefizits auf 2,0 Prozent des BIP.

DekaBank rechnet 2023 mit Verdoppelung des Haushaltsdefizits

Die Frankfurter DekaBank kommentiert im Russland-Kapitel ihrer am 05. April veröffentlichten „Emerging Markets Trends“ Russlands Haushaltsentwicklung ähnlich wie die Weltbank. Die Bank rechnet damit, dass sich das Defizit im föderalen Haushalt 2023 fast verdoppelt und 4,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht.

Sie verweist darauf, dass die staatlichen Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich, deren Anteil an den gesamten Einnahmen über 35 Prozent betrage, „bröckeln“:

„Die russischen Ölexporte scheinen nach der Einführung des EU-Embargos und der G7-Preisobergrenze zwar auf einem hohen Niveau vor allem Richtung Asien weiter zu fließen. Doch der Preisabschlag gegenüber Brent scheint sehr hoch zu sein. Die Abkopplung der EU von den russischen Erdgaslieferungen geht deutlich schneller voran als die Erweiterung der entsprechenden Exportinfrastruktur Richtung Asien. …

Bereits im ersten Quartal 2023 hat das Budgetdefizit die veranschlagte Höhe für das Gesamtjahr überschritten. Zwar war das zum Teil auf eine Veränderung des saisonalen Ausgabenmusters zurückzuführen: Die Ausgaben wurden bereits am Jahresanfang und nicht wie üblich am Jahresende getätigt. Doch das Budgetdefizitziel von 2% des BIP scheint nicht mehr erreichbar. Russland kann allerdings noch auf Mittel der fiskalischen Reservefonds zurückgreifen, um den Krieg und die Sozialausgaben zu finanzieren.“

DekaBank: Auch 2023 wird Russlands BIP deutlich sinken

Anders als der IWF und die Weltbank erwartet die DekaBank wie die Mehrheit der Konjunkturbeobachter, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr merklich weiter sinken wird (- 1,3 Prozent).

2024 wird das Bruttoinlandsprodukt nach Einschätzung der DekaBank um 1,3 Prozent steigen. Damit würde lediglich der Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Jahr 2023 wettgemacht. Der Rückschlag des Jahres 2022 (- 2,1 Prozent) bliebe noch aufzuholen.

Prognosen der DekaBank

DekaBank: Emerging Markets Trends, 05.04.2023

Von einer ähnlichen BIP-Entwicklung wie die DekaBank geht u.a. die „Gemeinschaftsdiagnose“ der deutschen Forschungsinstitute aus (2023: – 1,0 Prozent, 2024: + 1,5 Prozent). Die BIP-Prognosen der DekaBank entspechen auch weitgehend dem Ergebnis einer Anfang April veröffentlichten Interfax-Umfrage (2023: – 1,0 Prozent; 2024: + 1,3 Prozent).

Die DekaBank geht davon aus, dass sich das Technologieembargo in vielen Wirtschaftsbereichen mittelfristig deutlich bemerkbar machen wird. Sie verweist außerdem auf den Mangel an Arbeitskräften:

„Die Mobilmachung reduziert die Höhe der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen Personen direkt, und über die massive Auswanderungswelle werden so die demografischen Probleme Russlands verstärkt.“

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Russlands Konjunktur: Rückblick und Ausblick, 07.04.23

Russische Konjunkturforscher sind skeptischer als die Regierung, 03.04.23

„Wirtschaftsweise“ und ACRA heben Russland-Prognosen stark an, 27.03.23

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