Deutschland aus Sicht der russischen Buchhalter und Steuerberater
Am 24. Februar 2014 fand im Hotel Katerina in Moskau ein interkulturelles Seminar für die russischen Buchhalter, Hauptbuchhalter und Steuerexperten der Unternehmensberatung RUFIL CONSULTING statt. Deutschland und seine Geschäftskultur standen im Mittelpunkt der Veranstaltung. Ziel des Seminars war, die kulturellen Unterschiede zwischen Russland und Deutschland aufzuzeigen, um so einen verständnisvolleren Umgang im Tagesgeschäft füreinander zu entwickeln. Seminarleiterin war die Senior-Trainerin und Change-Beraterin Dr. Heike Pfitzner. Sie erklärte ausführlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Deutschen und den Russen und beleuchtete dabei auch typische Klischees.
Das Seminar begann um 10 Uhr mit einem herzlichen Empfang der 10 Teilnehmer im Hotel Katerina durch Dr. Heike Pfitzner. Zunächst sollte jeder Teilnehmer über seine Assoziationen zu Deutschland nachdenken und sich aus einem Stapel vorbereiteter Postkarten jene heraussuchen, die am ehesten seinen Vorstellungen entsprachen. Reihum wurden diese dann präsentiert. Dabei stellte sich heraus, dass manch einer bereits in Deutschland war und von seinen Erfahrungen erzählen konnte, andere wiederrum kannten Deutschland ausschließlich durch Schilderungen anderer.
Anschließend hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, Fragen rund um Deutschland zu stellen. Diese sollten im Laufe des Seminars beantwortet werden. Es wurden dabei überaus interessante Fragen zu den verschiedensten Lebensbereichen gestellt. Beispielsweise, ob die Deutschen Humor besäßen? Und wenn ja, welchen? Oder warum das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern in Deutschland so kühl sei? Dass Deutsche durchaus humorvoll sein können bewies Dr. Heike Pfitzner im Laufe ihres Seminars. Durch die richtige Mischung aus Witz und Information schaffte sie eine lockere Atmosphäre und motivierte alle Zuhörer zur aktiven Teilnahme
Im Anschluss folgte nach einer kurzen Kaffeepause das sogenannte Laboratorium. Dessen Inhalt sollte vermitteln, was Kultur überhaupt ist und wie wir fremde Kulturen wahrnehmen. Dabei ging es darum, anhand praktischer Beispiele zu veranschaulichen, wie schnell Beobachtungen zu Bewertungen verleiten können.
Für dieses Experiment sollten ein männlicher Teilnehmer und eine weibliche Teilnehmerin ein fremdes Volk darstellen, welches eine Reihe unbekannter Rituale abhält. Die übrigen Anwesenden sollten anschließend herauszufinden, woher dieses Volk stammt. Dabei durften sie während der Darbietung mit Darstellern weder sprechen noch anderweitig kommunizieren.
Als die beiden Darsteller den Saal betraten, lief der Mann stets vor der Frau. Bei der Auswertung der Ergebnisse zeigte sich, dass in die bloßen Beobachtungen bereits direkte Werturteile einflossen. So wurde zum Beispiel allein die Tatsache, dass der Mann vor der Frau herlief, als Ausdruck von Hierarchie bewertet, obwohl es dafür keinerlei objektive Anzeichen gab. Bei der Auflösung der Situation ergab sich jedoch, dass das Vorangehen des Mannes dem Schutz der Frau diente. Auch wurde mit dem Kopftuch, welches die Frau trug, die islamische Kultur assoziiert. Dieses sollte der Frau lediglich zum Schutz vor der Sonne dienen. Insgesamt stellte sich heraus, dass aufgrund der angestellten Beobachtungen allein, die Herkunft gar nicht hätte ermittelt werden können. Dieses Experiment verdeutlichte, wie rasch eine unbekannte Kultur anhand vorliegender Stereotype bewertet wird.
In einer weiteren Übung sollten sich die Buchhalter Gedanken machen, wie in russischen Firmen Entscheidungen getroffen werden, wie Projektplanung in Russland abläuft und welche Eigenschaften als typisch für einen russischen Manager gelten. Dabei traten beim Vergleich Deutschland – Russland sowohl Gemeinsamkeiten, als auch deutliche Unterschiede hervor. Während Russen, nach Meinung der Teilnehmer, spontaner handelten und risikobereiter seien, versuchten die Deutschen Risiken eher zu vermeiden oder zu minimieren.
Darauf folgte ein Quiz, bei dem die Teilnehmer ihre Kenntnisse über Deutschland unter Beweis stellen konnten. Es wurden neben Fragen zum aktuellen Geschehen in der Bundesrepublik auch solche zum richtigen Verhalten im Umgang mit Deutschen behandelt. Insgesamt bewiesen die Mitarbeiter ein hohes Maß an Wissen und Einfühlungsvermögen. Die meisten Teilnehmer waren über aktuelle gesellschaftliche Themen in Deutschland informiert und konnten unter gut beurteilen, worüber Deutsche gerne scherzen und worüber nicht.
Gegen Ende des Seminars stellte sich Dr. Heike Pfitzner noch etwas eingehender den Fragen der Teilnehmer, die im Laufe des Seminars aufgekommen waren. Als das Seminar gegen 18 Uhr endete, erzählten die russischen Kollegen, dass sie viele nützliche Eindrücke gewonnen hätten und dass das Seminar ihr Interesse für Deutschland gesteigert habe.
Für mich als Deutschen war es ebenfalls eine sehr spannende Erfahrung, zu sehen, wie rissische Bürger Deutschland wahrnehmen. Durch mein Studium war ich es eher gewohnt, mich mit Russen über Russland und die Russische Kultur auszutauschen. Nun aber einmal auf der anderen Seite zu stehen und die eigene Kultur aus den Augen der Russen zu betrachten, war überaus aufschlussreich. Ich habe für mich die wertvolle Erkenntnis gewonnen, dass sich Russen und Deutsche zumindest in Ihrer Betrachtungsweise gar nicht so voneinander unterscheiden.
Autor: Lukas Reichenstein, RUFIL CONSULTING