Stark gestiegene Öl- und Gaspreise trieben die Exporterlöse 2021 nach oben
Russlands Leistungsbilanzüberschuss stieg nach ersten Schätzungen der Zentralbank 2021 auf rund 120 Milliarden Dollar. Er war damit gut drei Mal so hoch wie im Vorjahr und übertraf sein bisheriges Rekordniveau vom Jahr 2018 knapp.
Zum Wachstum des Überschusses kräftig beigetragen hat der Anstieg der Exportpreise von Öl- und Gas. Der Urals-Ölpreis hat sich von seinem Einbruch im Frühjahr 2020 längst erholt. Im Jahresdurchschnitt 2021 stieg er gegenüber dem Vorjahr um rund 65 Prozent und lag zuletzt knapp unter 90 Dollar/Barrel. Auf den Spotmärkten für Erdgas erreichten die Preise ungeahnte Höhen.
Leistungsbilanz-Prognose der Zentralbank hat sich bestätigt
Im „Krisenjahr“ 2020, in dem der Ölpreis tief einbrach, war der Überschuss der russischen Leistungsbilanz auf 36 Milliarden US-Dollar gesunken (siehe folgende Abbildung). Angesicht der sich unerwartet schnell erholenden Ölpreise hob die russische Zentralbank ihre Prognosen für den Leistungsbilanzüberschuss im Verlauf des Jahres 2021 mehrmals kräftig an. In ihrer Prognose vom Oktober sagte sie für 2021 einen Anstieg des Leistungsbilanzüberschusses auf 121 Milliarden US-Dollar voraus.
Leistungsbilanzüberschuss Russlands in Milliarden US-Dollar
Prognosen der russischen Zentralbank
Russische Zentralbank: Investor Presentation: „Russian Financial Sector“; 28.12.2021; Russische Zentralbank: Mid-term forecast; 22.10.2021
Diese Prognose der Zentralbank hat sich offenbar fast genau bestätigt. Laut der ersten Schätzung der Zentralbank vom 18. Januar stieg der Leistungsbilanzüberschuss im letzten Jahr auf 120 Milliarden US-Dollar. Einen Überblick über die Entwicklung der gesamten Zahlungsbilanz bietet die BOFIT-Tabelle am Ende dieses Artikels.
Die Erlöse beim Gasexport stiegen noch deutlich schneller als beim Ölexport
Russlands Überschuss im Warenverkehr mit dem Ausland, der Handelsbilanzüberschuss, hat sich nach Schätzung der Zentralbank 2021 voraussichtlich von 94 auf 186 Milliarden Dollar verdoppelt. Insbesonders das starke Wachstum der Öl- und Gasexporte trug dazu bei.
Wie die folgende Tabelle zeigt, stiegen nach Schätzung der Zentralbank die Erlöse Russlands aus dem Export von Erdöl und Mineralölprodukten 2021 gegenüber 2020 um jeweils gut die Hälfte.
Die Erlöse aus dem Erdgasexport wuchsen noch deutlich stärker um insgesamt rund 91 Prozent. Besonders stark erhöhten sich die Erlöse der Gasausfuhren per Pipeline (rund + 111 Prozent). Die Erlöse aus dem Export von verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas; LNG) waren nur rund 13 Prozent höher als im Vorjahr.
Obwohl 2021 die Ausfuhrerlöse im Erdgasgeschäft deutlich schneller wuchsen als im Ölbereich war die Summe der Erlöse aus dem Export von Erdöl und Mineralölprodukten 2021 mit 179 Milliarden US-Dollar noch fast drei Mal so hoch wie die Erlöse aus dem Erdgasexport mit 62 Milliarden US-Dollar.
Russlands Erlöse beim Export von Erdöl, Mineralölprodukten und Erdgas
Russische Zentralbank: External sector statistics; mit: Estimates of Key Aggregates of the Balance of Payments of the Russian Federation in 2021 und Balance of Payments of the Russian Federation (Estimate. Analytical Presentation); 18.01.2022
Öl und Gas stellten fast die Hälfte der gesamten Warenexporterlöse
Insgesamt waren die Erlöse aus der Ausfuhr von Erdöl, Mineralölprodukten und Erdgas mit rund 241 Mrd. $ rund 60 Prozent höher als 2020 (150 Mrd. $). Der Anteil dieser Energieexporte (ohne Kohle, Strom, Sonstige Energie) an den gesamten Warenexporterlösen stieg von 45 Prozent auf 49,1 Prozent.
Die sonstigen Warenexporte stiegen 2021 aber auch kräftig (+ 36 Prozent). Nach Schätzungen des russischen Exportzentrums erhöhten sich vor allem die Ausfuhren der chemischen Industrie, des Bereichs Metallurgie, der Forstwirtschaft, des Maschinenbaus und der Nahrungsmittelindustrie.
Die gesamten Warenexporterlöse wuchsen 2021 um rund 47 Prozent auf rund 490 Milliarden US-Dollar.
Spektakuläre Gaspreisturbulenzen
Bei den russischen Energieexporten fand im letzten Jahr die Entwicklung der Gaspreise besonders viel Aufmerksamkeit. Am niederländischen virtuellen Handelspunkt TTF (Title Transfer Facility) stieg der Erdgaspreis im Dezember fast auf 2200 US-Dollar/1000 Kubikmeter. Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer veröffentlichte dazu in ihrem Morgentelegramm vom 18.01.2022 folgende Abbildung. Sie zeigt die jeweiligen Monatshöchstpreise seit Anfang 2021.
Bild-Quelle: https://mcusercontent.com/8fdd7414d9cadd57fd1dca5f7/images/afacfaea-54d1-9ab7-f236-3b682fad0a6c.png
Weitere Informationen zur Erdgaspreisentwicklung an den Spot- und Terminmärkten TTF und THE bietet eine „Wöchentliche Übersicht Energiepreisentwicklungen“ der Oldenburger EWE; siehe auch ESB Energie Südbayern: Energie: Markt aktuell; 18.01.2022
Das Fachmagazin „Energate Messenger“ schrieb im Dezember anlässlich der Veröffentlichung seines „Jahresreport Gas“ zur Gasmarktentwicklung in Europa:
„Preisentwicklungen wie in diesem Jahr gab es im Gasmarkt noch nie. Dazu kamen teilweise Volatilitäten während des Tages, die selbst bei sehr erfahrenen Händlern nur noch Erstaunen auslösten. Wer oder was ist für die Entwicklung verantwortlich? Automatische Handelssysteme (sogenannte Algotrader) oder Russland? Gasmarktexperte Dr. Heiko Lohmann hat im neuen Jahresreport Gas alle Aspekte analysiert. Sein Fazit: Gas war 2021 knapp und für die starken Schwankungen waren die Handelssysteme und vor allem die niedrigen russischen Gasflüsse zumindest mit verantwortlich.“
Im Energate-Messenger Podcast „Das verrückte Gasjahr 2021“ kommentierte Dr. Heiko Lohmann Anfang Dezember die Gaspreisturbulenzen und die Entwicklung der Gaslieferungen aus Russland nach Europa ausführlich.
Erdgasexporterlöse im vierten Quartal 2021 rasant gestiegen
Dmitry Dolgin, Chef-Volkswirt der ING Bank, stellte in der folgenden Abbildung die vierteljährliche Entwicklung der Erdgasexportmengen Russlands per Pipeline in die Staaten außerhalb der GUS dar (graue Punkte). Danach sind die russischen Erdgaslieferungen vom ersten bis zum dritten Quartal 2021 zwar gesunken. Im vierten Quartal 2021 stiegen sie jedoch deutlich und waren höher als im vierten Quartal 2020.
Die Exporterlöse Russlands aus seinen Erdgas-Lieferungen per Pipeline (rote Säulen) stiegen im vierten Quartal 2021 sprunghaft auf 20,8 Milliarden US-Dollar. Im Lockdown im zweiten Quartal 2020 waren sie auf lediglich 4,3 Milliarden US-Dollar gesunken. Im gesamten Jahr 2021 waren die Erlöse aus dem Erdgasexport per Pipeline laut Schätzung der Zentralbank mit rund 54 Milliarden US-Dollar rund 111 Prozent höher als 2020.
Erlöse aus dem Erdgasexport per Pipeline in Mrd. US-Dollar (rote Säulen);
Erdgasexportmengen in Länder außerhalb der GUS in Mrd. Kubikmetern
Dmitry Dolgin; ING Bank: Russian balance of payments is solid but not bullet-proof; 19.01.2022; Bild-Quelle: https://think.ing.com/uploads/charts/_w800/gas_exports_2021.png
Nach Dolgins Schätzungen stieg der Erdgasexport 2021 mengenmäßig aber nur um rund 3 Prozent (nach einem Rückgang um rund 10 Prozent im Jahr 2020). Der Anstieg der Erlöse aus dem Erdgasexport war 2021 also fast ausschließlich preisbedingt.
Der Urals-Ölpreis ist nach tiefem Einbruch auf fast 90 Dollar gestiegen
Beim Rohöl setzte sich nach Angaben von Dolgin der Rückgang der Exportmenge im Jahr 2021 sogar fort. Sie sanken weiter um rund 5 Prozent. Im „Krisenjahr“ 2020 waren die Ölexporte mengenmäßig bereits um rund 11 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 gesunken.
Der Preis von russischem Urals-Öl war Anfang April 2020 auf rund 14 US-Dollar/Barrel abgestürzt. Gut zu erkennen ist das in diesem Chart des finnischen Mineralölunternehmens Neste mit der Entwicklung des Urals- und des Brent-Preises (horizontale Zeitachse verstellbar).
Bis zum Jahresende 2020 erholte sich der Urals-Preis bereits auf rund 49 Dollar. 2021 hat sich der Ölpreisanstieg fortgesetzt. Im Jahresdurchschnitt 2021 war der Urals-Preis mit 69,0 Dollar/Barrel um 65,3 Prozent höher als 2020 und um 8,5 Prozent höher als im „Vorkrisenjahr“ 2019. Am 21. Januar 2022 betrug der Preis rund 89 Dollar.
Die Erlöse beim Öl- und Gas-Export stiegen seit Q2 2020 um rund 155 Prozent
Die folgende Abbildung der ING Bank zeigt den ziemlich stetigen Anstieg des Urals-Ölpreises (blaue Linie) und der Erlöse aus dem Öl- und Gasexport (fuel exports; graue Säulen) seit dem zweiten Quartal 2020.
Im vierten Quartal 2021 stieg der Erlös aus dem Export von diesen Brennstoffen auf rund 74 Milliarden US-Dollar. Im „Lockdown“ im zweiten Quartal 2020 hatte er nur rund 29 Milliarden Dollar betragen – ein Anstieg um rund 155 Prozent.
Vierteljährliche Entwicklung des Urals-Ölpreises (US-Dollar/Barrel)
und der Erlöse aus dem Export von Öl und Gas (Mrd. US-Dollar)
Dmitry Dolgin; ING Bank: Russian balance of payments is solid but not bullet-proof; 19.01.2022
Die violette Linie zeigt, wie viele Milliarden US-Dollar durch den Export von Öl und Gas je US-Dollar des Ölpreises in den jeweiligen Quartalen erlöst wurden (rechte Skala). Im dritten Quartal 2020 waren es nur rund 0,75 Milliarden US-Dollar. Der Erlös aus dem Öl- und Gasexport betrug damals bei einem Ölpreis von rund 40 Dollar (blaue Linie) nur rund 30 Milliarden Dollar (graue Säule).
Der Urals-Ölpreis hat sich seit dem zweiten Quartal 2020 verdreifacht
Der aktuelle Urals-Ölpreis (21.01.2022: rd. 89 US-Dollar) ist rund drei Mal so hoch wie im zweiten Quartal 2020. Die folgende Abbildung von VTB Capital macht aber deutlich, dass der Urals-Ölpreis (dunkelblaue Linie) in den Jahren 2011 bis 2013, als er meist zwischen rund 100 und 120 Dollar lag, noch deutlich höher war.
Urals-Ölpreis in USD/Barrel und
realer effektiver Wechselkurs des Rubels (Januar 2009=1,0)
VTB Capital: Economic Outlook: 13 Questions on 2022; Part 1: Inflation, Monetary policy, RUB; 19.01.2022
Der „reale effektive Wechselkurs“ ist schwächer gestiegen als der Ölpreis
VTB Capital vergleicht in der obigen Abbildung die Urals-Ölpreisentwicklung mit der Entwicklung des „realen effektiven Wechselkurses“ des Rubels („real effective exchange rate“; RUB REER).
Die Berechnung des „realen effektiven Wechselkurses“ des Rubels geht von den an den Devisenbörsen notierten nominalen bilateralen Wechselkursen des Rubels mit den Währungen seiner Handelspartner aus.
Für die Berechnung des REER wird zum einen berücksichtigt, wie umfangreich die Handelsbeziehungen Russlands mit den einzelnen Partnerländern sind. So wird ein „effektiver“, aber weiterhin „nominaler“ Wechselkurs des Rubels ermittelt.
Zur Berechnung des „realen effektiven“ Rubel-Kurses berücksichtigt man zusätzlich die Unterschiede der Inflationsraten in Russland und den Partnerländern.
Der „reale effektive Wechselkurs“ des Rubels wird als Indikator der „preislichen Wettbewerbsfähigkeit“ Russlands verwendet (siehe Deutsche Bundesbank zu effektiven Wechselkursen).
Wie die obige Abbildung zeigt, geht ein Anstieg des Urals-Ölpreises (dunkelblaue Linie) oft mit einem Anstieg des „realen effektiven Wechselkurses“ des Rubels (hellblaue Linie) einher. Bei steigenden Ölpreisen wird der Rubel häufig verstärkt nachgefragt und wertet sich auf. Damit verteuern sich russische Produkte für ausländische Kunden. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit russischer Anbieter verschlechtert sich.
Der Erholung des Ölpreises seit dem zweiten Quartal 2020 ist der „reale effektive Wechselkurs des Rubels“ seit Herbst 2020 gefolgt. Sein Anstieg ist aber nicht so stark wie der Anstieg des Urals-Ölpreises.
BOFIT-Tabelle zur Entwicklung der Zahlungsbilanz seit 2014
Das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank BOFIT veröffentlichte am Freitag in seinem Wochenbericht folgende Tabelle zur Entwicklung der gesamten russischen Zahlungsbilanz seit 2014 mit den vorläufigen Schätzungen der Zentralbank für 2021.
Dazu berechnete BOFIT auch die Anteile der Zahlungsbilanzpositionen am russischen Bruttoinlandsprodukt. Danach stieg der Anteil des Leistungsbilanzüberschusses am BIP von 2,4 Prozent im Jahr 2020 auf voraussichtlich 6,9 Prozent im Jahr 2021. Er war im letzten Jahr fast ebenso hoch wie im Jahr 2018 (7,0 Prozent).
Russia showed a large current account surplus
and large private sector capital outflows in 2021
BOFIT Bank of Finland: Russian export earnings and imports recovered quickly in 2021, large private capital outflows; BOFIT Weekly, 21.01.2022; Bild-Quelle: https://www.bofit.fi/globalassets/bofit/monitoring/weekly/images/2022/202203_r2.png
Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:
- Gaidar-Forum 2022: Hauptthema Inflation; 17.01.2022
- Wie stark flaut Russlands Wirtschaftswachstum 2022 und 2023 ab?01.2022
- Wirtschaft am Jahreswechsel: Auf schnelle Erholung folgt schwächeres Wachstum; 04.01.2022
- Russland: Leitzins auf 8,5 Prozent erhöht, um Inflation zu drücken; 20.12.2021
Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:
- Ost-Ausschuss: Neujahrsempfang mit Video (Staatsminister Lindner zur Russlandpolitik)
- Igor Nikolaev: Weshalb das Glück der russischen Wirtschaft bald endet
- FG FINAM: Globale Wirtschaftsprognose mit Schwerpunkt Russland
- Commerzbank: Factsheet Erdgas in der EU und t-online-Bericht dazu