Ost-Ausschuss-Kolumne: Wenn du kein Geld hast, kannst du nix kaufen!

Warum der Staat nicht der bessere Unternehmer ist

Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um Geld, Schulden und Handlungsempfehlungen für die russische Regierung.

Können Sie sich noch an den wunderbaren Begriff “Subprime Mortgage Backed Securities” erinnern? Ich möchte schon lange wissen, wer sich solche Begriffe ausdenkt. In einfachen Worten war das die größte Mogelpackung, die ebenso gierige wie skrupellose Finanzinstitute je ersonnen haben. Eigentlich nicht solventen amerikanischen Kunden wurden Kredite für Immobilien angeboten, die sie sich nie hätten leisten können.

Daraufhin stiegen die Preise für Immobilien sprunghaft an. Die Kredite, die die Gläubiger nicht mehr bedienen konnten, wurden einfach durch neue abgelöst. Den Erfindern dieses Schneeballsystems war von Anfang an klar, dass es irgendwann kollabieren würde. Deshalb bündelten sie die faulen Kredite zu – man möchte es nicht glauben – „Zertifikaten“ und verkauften sie als neues Finanzprodukt, waren damit unanständig erfolgreich und hatten das Risiko „vergesellschaftet“. Ein prima Geschäft, an dem sich immer mehr Player – auch internationale – in großem Stil beteiligten. Irgendwann jedoch fielen immer mehr Kredite aus. Die Blase platzte, Lehman Brothers ging pleite, die bis dato größte Finanzkrise hatte die Welt im Griff. Mit den Nachwirkungen kämpfen einige Kreditinstitute und Länder noch heute. Russland ist übrigens damals relativ schnell wieder aus der Krise gekommen.

Wenn du kein Geld hast, kannst du nix kaufen!

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Weil meine Großmutter immer sagte: „Jungchen, wenn du kein Geld hast, kannst du auch nix kaufen. In unserer Familie machen wir keine Schulden!“ Ja, auch ein bisschen deswegen, aber hauptsächlich, weil sich in Russland gerade etwas Ähnliches abspielt. Die Verschuldung der Bevölkerung wächst rasant und damit steigt das Kreditausfallrisiko ebenso rasant. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Summe aufgenommener Verbraucherkredite mehr als vervierfacht. Die Russen stehen nach Angaben der Zentralbank derzeit mit 15,2 Billionen Rubel in der Kreide, ca. 210 Milliarden Euro. Etwa die Hälfte dieses Geldes sind Kredite mit einer Laufzeit von 30 Tagen bis zu drei Jahren. 4,2 Billionen Rubel sind innerhalb der nächsten 180 Tage fällig. Nun ist Kreditgeschäft das Schmiermittel jeder gut funktionierenden Wirtschaft und insofern vollkommen normal, notwendig und legitim.

Das Ausfallrisiko steigt

Bedenklich ist die Höhe der Kredite – für die sich die Finanzwelt den schönen Namen “non performing loans” ausgedacht hat – die von den Verbrauchern nicht mehr bedient werden können. Im Februar lag ihr Wert bei 18,1 Prozent. Diese Rate war auch schon höher, 2010 zum Beispiel lag sie bei 21 Prozent. Wie groß das Problem für die Kreditinstitute und das Finanzsystem insgesamt werden kann, hängt wesentlich von den Rahmenbedingungen ab. Mit 7,75 Prozent ist der Leitzins für russische Verhältnisse moderat. Einen Kredit bekommt man ab etwa zehn Prozent, im Zweifelsfall können die Zinsen jedoch auch deutlich höher ausfallen.

Schwerer wiegt, dass die russische Bevölkerung seit Jahren unter Reallohnrückgängen leidet und deshalb weniger Geld zur Verfügung hat. Das liegt einerseits an offenen und versteckten Preissteigerungen, an der Erhöhung der Mehrwertsteuer und an der Inflation. Aber auch an kaum steigenden oder sogar sinkenden Löhnen, denn die meisten russischen Firmen kämpfen noch immer mit den Folgen der Rezession der letzten Jahre. Der Binnenkonsum, einstmals Garant eines kontinuierlichen Wachstums im Inneren, ist schwach. Die Rücklagen der Bevölkerung – die meisten Russen haben keine – sind in den vergangen Jahren stark zurückgegangen. Und trotzdem wollen sich viele hart arbeitende Russen endlich den Traum von einem besseren Leben erfüllen und kaufen auf Kredit, unter anderem Immobilien. Wer wollte es ihnen verdenken.

Der Privatwirtschaft fehlt das Geld

Nicht viel besser sieht es in der Privatwirtschaft aus. Vor allem Kredite in Fremdwährung belasten die Unternehmen. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Kreditaufnahme in Valuta fast verdreifacht. Die Achterbahnfahrt des Rubels trägt das ihrige dazu bei, dass der Schuldendienst an erster Stelle steht. Was für das Überleben der Firmen essentiell ist, führt dazu, dass kaum noch investiert wird. Die dringend notwendige Erneuerung der Maschinenparks wird so lange wie möglich hinausgezögert, die Modernisierung der Produktion und vor allem die Digitalisierung nicht in Angriff genommen.

Kurz gesagt: Viele private Unternehmen fahren auf Verschleiß, in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Folgerichtig verharren die notwendigen Bruttoanlageinvestitionen der privaten Wirtschaft auf niedrigem Niveau. Diese Kaufzurückhaltung spüren nicht zuletzt deutsche Unternehmen. Der wieder stark wachsende bilaterale Handel ist im Wesentlichen dem Ölpreisanstieg geschuldet. Die deutschen Exporte sind 2018 nur um 0,8 Prozent gestiegen, im 1. Quartal dieses Jahres sind sie sogar um 1,7 Prozent rückläufig.

Direktinvestitionen rückläufig

Die dritte Möglichkeit, signifikante Effekte auf das Wirtschaftswachstum zu erzeugen, sind ausländische Direktinvestitionen. Deren Zufluss hat sich 2018 jedoch gegenüber dem Vorjahr deutlich abgeschwächt und ist weit entfernt vom Peak 2013. Damals flossen mehr als 50 Milliarden Euro nach Russland. Im dritten Quartal des letzten Jahres sanken die Zuflüsse stark, Merger and Acquisitions sind sogar um über 80 Prozent zurückgegangen. Interessant der Blick, aus welchen Ländern Investitionen nach Russland fließen: Zypern, Luxemburg, Niederlande, Bahamas, Bermuda, Irland und Großbritannien. Deutschland folgt an Position acht, China ist in den Top Ten nicht vertreten. Nachhaltige Investitionen in die industrielle Basis sind so kaum zu realisieren. Die Banco Santander kommt in ihrer Einschätzung des Wirtschaftsstandortes Russland zu dem Schluss: „In recent years, Russia has undertaken economic reforms, but administrative problems, corruption and uncertainties about regional stability have remained major challenges.“

Der Staat investiert

Bleibt als Investor die öffentliche Hand. Geld ist durch die Exporteinnahmen vorhanden. In der Tat geben der russische Staat und die russischen Staatsunternehmen große Summen aus, um die Infrastruktur, den Wohnungsbau, Bildung, Gesundheit, die Landwirtschaft, den Mittelstand, den digitalen Fortschritt etc. zu fördern. Insgesamt wurden für 2019 zwölf so genannte prioritäre nationale Projekte definiert, die im Ergebnis die Lebensqualität der Bevölkerung verbessern, Russland zu einem lebenswerteren Land machen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen steigern sollen. Derartige Programme gibt es in vielen Ländern der Welt, aber kein Staat kann Innovation erzwingen. Dazu braucht es hungrige und kreative Unternehmer, die ohne staatliche Bevormundung ihren Traum realisieren.

Was tun?

Die beiden wohl beliebtesten Fragen der Russen sind: Что делать? und Кто виноват? Was tun, und wer hat Schuld? Die Antwort auf die zweite Frage wird sehr davon abhängen, wen man fragt. Die Frage, was zu tun ist, ließe sich allerdings sehr wohl beantworten. Wer wüsste es besser als wir Berliner: Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Unternehmer sind die besseren Unternehmer!

Bezogen auf Russland bedeutet das, die staatlichen Beteiligungen müssen deutlich zurückgefahren werden. Das stärkt die Privatwirtschaft und setzt ökonomische Triebkräfte frei. Groß angelegten Kampagnen zur Verbesserung des Investitionsklimas müssen wirkliche Anstrengungen folgen. Es genügt nicht mehr, nur Industrieparks, Infrastruktur und Medien zur Verfügung zu stellen. Es geht wesentlich darum, russische industrielle Lieferanten zu stärken. Die Investitionen in die Entwicklung des Mittelstandes sind wichtig und richtig, aber noch immer gibt es viel weniger Mittelständler als in anderen Ländern. Was Unternehmen wirklich brauchen ist ein level playing field, das ihnen die Möglichkeiten zur Entwicklung gibt und für organisches Wachstum sorgt.

Denn je mehr leistungsfähige mittelständische Unternehmen es gibt, umso mehr sorgen sie für Beschäftigung, Innovation, Ausbildung, leistungsfähige Produkte. Und, sie sorgen wesentlich für ein gesundes volkswirtschaftliches Wachstum und Investitionen.

Titelbild
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