Ost-Ausschuss fordert Strategiewechsel gegenüber Russland und legt sich mit Kiew an

Ost-Ausschuss will Strategiewechsel gegenüber Russland – die Ukraine kritisiert das scharf

Am Donnerstag, den 9. Juni hat sich der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft bei seiner Jahrespressekonferenz für einen Strategiewechsel gegenüber Russland ausgesprochen (hier geht es zur Pressemitteilung). Die Diskussionen der EU darüber, ob die Russland-Sanktionen verlängert werden, solle man dafür nutzen, sagte Wolgang Büchele, Linde-Chef und Vorsitzender des Ost-Ausschusses. Daraufhin reagierte nun der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, enttäuscht auf die Forderungen des Ost-Ausschusses, dass die EU ihre Sanktionen gegen Russland aufweichen solle. Büchele hatte die Ukraine zuvor aufgerufen, verschleppte Reformen endlich umzusetzen. 

„Mit Befremden und Enttäuschung hat man in der Ukraine die jüngsten Aufrufe des Ost-Ausschusses wahrgenommen“, sagte Melnyk gegenüber dem Handelsblatt. „Solche Forderungen sind absolut kontraproduktiv und nicht zielführend. Im Gegenteil: sie bestärken nur den Kreml in seiner bisherigen perfiden Strategie, im Minsker Friedensprozess gar nichts zu liefern und stattdessen auf Zeit zu spielen.“ Der Vorschlag, die Sanktionen zu lockern, sei “sehr gefährlich”, denn er werde von der russischen Staatsführung “eher als Ansporn angesehen, noch vehementer ihre aggressive Politik voranzutreiben, um weiterhin Tatsachen zu schaffen“, sagte Melnyk. Und er unterstrich: „Die Erfahrungen beweisen, dass die Sanktionen nur in dem Fall wirksam sein können, wenn alle Bedingungen erfüllt sind. Auch im Fall Russland braucht die Europäische Union noch mehr strategische Geduld und Solidarität, Geschlossenheit und Härte.“

Büchele: Einstieg in den Ausstieg aus den Sanktionen hinbekommen

Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Wolfgang Büchele hatte bei der Jahrespressekonferenz des Verbandes am 9. Juni gesagt: „Wie Bundesaußenminister Steinmeier vorgeschlagen hat, sollte Russland der Abbau von Sanktionen nicht erst am Ende des Minsk-Prozesses, sondern bereits parallel zu substanziellen Umsetzungsschritten angeboten werden.“ Man unterstütze den Außenminister “ausdrücklich”, hatte er betonte. Und weiter: „Es wäre gut, wenn dieser Vorschlag in Brüssel jetzt mehrheitsfähig wird und wir einen Einstieg in den Ausstieg aus den Sanktionen hinbekämen.“ Die russische und ukrainische Regierung rief der Ost-Ausschuss-Vorsitzende dazu auf, ihrerseits stärker auf Fortschritte im Minsk-Prozess hinzuarbeiten.

Auch an die Ukraine gewandt sagte Büchele: „Weder die Ukraine noch Russland können es sich wirtschaftlich leisten, den Minsk-Prozess weiter zu verzögern. Wir müssen hier Fortschritte erzielen“, sagte Büchele. „Die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Moskau und Kiew müssen aufhören.“ Die Empörung des Botschafters zeigt, dass der Weg dorthin aber wohl noch weit ist.

Wirtschaftlich braucht die Ukraine eine Einigung

Büchele hatte auf der Pressekonferenz anhand einiger Zahlen dargelegt, wie dringend eine Einigung sei: Die Kaufkraft der ukrainischen Bevölkerung sei in den vergangenen zwei Jahren um 30 Prozent gesunken, das Bruttoinlandsprodukt des 45-Millionen-Einwohner-Landes inzwischen auf das der Slowakei mit 5,4 Millionen Einwohnern zurückgefallen.

Der wichtigste Handelspartner der Ukraine sei trotz starker Rückgänge auch im vergangenen Jahr noch Russland gewesen. Der russisch-ukrainische Handel erreichte nach ukrainischen Angaben 2015 noch ein Volumen von 15 Milliarden Euro (2013: 33 Milliarden Euro). Zum Vergleich: Der Handel aller 28 EU-Länder mit der Ukraine lag 2015 bei 27 Milliarden Euro (2013:38 Milliarden Euro). Kiew dürfe Russland daher nicht abschreiben forderte er.

Büchele: Ukraine muss verschleppte Reformen umsetzen

Zudem gab er zu bedenken, dass ukrainische Produkte in Westeuropa „den Anforderungen nicht genügen” oder nicht gebraucht würden, da man ohnehin eine Überversorgung habe. Die deutsche Wirtschaft wolle sich zwar in der Ukraine engagieren, „braucht dafür aber lang anhaltende stabile Rahmenbedingungen“, mahnte Büchele die Umsetzung seit langem versprochener, aber verschleppter Reformen an. „Man muss sich Sorgen um die soziale Stabilität der Ukraine machen.“ Kein Wunder, dass man dort diese scharfen Worte nicht auf sich sitzen lassen wollte.

Dem Handel zwischen Deutschland und der Ukraine geht es indes wieder besser. Deutschland hatte am zwar am Ukraine-Handel 2015 nur einen Anteil von 4,6 Milliarden Euro – ein Minus von zwölf Prozent gegenüber dem schon sehr schwachen Vorjahr 2014. Doch nach Auswertung der Zahlen aus dem ersten Quartal 2016 deutet sich hier inzwischen eine Trendwende an: Deutschland importierte in den ersten drei Monaten 2016 drei Prozent mehr Güter aus der Ukraine, die deutschen Exporte kletterten sogar um 30 Prozent.

Mit einer Fortsetzung der Ende 2015 erstmals durchgeführten Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftskonferenz will der Ost-Ausschuss zudem den Reformprozess in der Ukraine unterstützen. Die Konferenz ist für Herbst 2016 geplant.

Jedoch gebe es für die deutsche Wirtschaft einige Investitionsbremsen in der Ukraine: „Bislang lassen der unklare Ausgang des Minsk-Prozesses, die bestehenden Sanktionen und die offenen Fragen im innerukrainischen Reformprozess die Investoren zögern. Deshalb wird die Wirtschaftskonferenz nur erfolgreich sein, wenn wir bis dahin zu einer besseren Gesamtsituation kommen“, betonte der Ost-Ausschuss-Vorsitzende. Man hoffe, dass bis dahin einige dieser Bremsen gelöst würden. “Die Aussicht auf Abbau der Sanktionen würde auch hier sehr helfen.“

Der ukrainische Botschafter kritisierte seinerseits, dass die Bedeutung des Russland-Handels für die deutsche Wirtschaft viel größer gemacht werde, als er tatsächlich sei: Exporte nach Russland hätten gerade einmal 1,8 Prozent aller deutschen Ausfuhren im Jahr 2015 ausgemacht. „Der Ost-Ausschuss führt die Öffentlichkeit bewusst in die Irre“, so Melnyk. Denn er erwecke „den Eindruck, ohne das Russland-Geschäft würde die deutsche Wirtschaft sofort kollabieren“.

Schaden durch gegenseitigen Sanktionen im dreistelligen Milliardenbereich

Ost-Ausschuss will Strategiewechsel gegenüber Russland
Pressekonferenz mit dem Ost-Ausschuss-Vorsitzenden Büchele (Mitte), Geschäftsführer Harms (hinten) und Pressesprecher Metz (vorne). Foto: Christian Himmighoffen.

Insgesamt schätzte der Ost-Ausschuss die wirtschaftlichen Einbußen durch die seit zwei Jahren bestehenden gegenseitigen Wirtschaftssanktionen inzwischen auf einen dreistelligen Milliardenbetrag. „Die Sanktionen belasten seit zwei Jahren die wirtschaftliche Entwicklung in ganz Osteuropa und trüben die konjunkturellen Aussichten in der ganzen Region“, so Büchele.

Jedoch gebe es weitere wichtige Einflussfaktoren wie den Ölpreis, „der natürlich einen großen Anteil am Niedergang der Konjunktur in Russland und weiteren Ländern der Region hat“, schränkte er ein. Daher sei eine Quantifizierung schwierig.

Büchele merkte zudem an, dass es “nicht hilfreich” sei, dass Russland seine Gegensanktionen im Agrarbereich bereits einseitig bis ins Jahr 2017 verlängerte habe (Ostexperte.de berichtete).

Der Handel mit Russland und die wirtschaftliche Lage dort stabilisieren sich

Der Handel zwischen EU und Russland sei zwar von 2013 bis 2015 um 120 Milliarden Euro oder 35 Prozent eingebrochen, die aktuellen Handelszahlen vom Frühjahr gäben hier aber Grund zur Hoffnung auf Verbesserung.

Nach einem massiven Einbruch des deutsch-russischen Handels im vergangenen Jahr (-24 Prozent), schwächte sich der Rückgang im ersten Quartal auf minus zehn Prozent deutlich ab, dabei lagen die Zahlen für den deutschen Export nach Russland nur noch um vier Prozent im Minus (Ostexperte.de hat die Handelszahlen hier für Sie zusammengefasst). Das geht wohl auch mit der Verbesserung der Lange der russischen Wirtschaft allgemein einher, die der Ost-Ausschuss sieht.

Handel Deutschlands mit den Ost-Ländern 1. Quartal 2016
Die Handelszahlen Deutschlands mit den Ost-Ausschuss-Länder für das erste Quartal 2016.

Nach einem BIP-Rückgang um 3,7 Prozent 2015 gebe es nun Anzeichen für eine Stabilisierung. Ab Herbst sei wieder mit leichtem Wachstum zu rechnen. „Die Importsubstitutionsstrategie der Regierung als Reaktion auf die westlichen Sanktionen hat eine Reihe von Investoren zu einem Engagement in Russland gezwungen, um den großen Markt nicht völlig zu verlieren. Zudem ist das Land durch die Schwäche des Rubels und den starken Rückgang der Lohnkosten als Produktionsstandort deutlich attraktiver geworden“, sagte Büchele.

Große Leuchtturmprojekte wie die Pipeline Nord Stream 2 und eine Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Moskau und Kasan könnten zu einer neuen Dynamik in den Wirtschaftsbeziehungen beitragen. Nord Stream 2 wird derzeit von einem europäisch-russischen Konsortium unter Beteiligung deutscher Energiekonzerne entwickelt – auch Bücheles Unternehmen Linde gehört dazu. Bei dem 20-Milliarden-Projekt einer neuen Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Moskau und Kasan ist ein deutsches Konsortium (darunter Siemens) in der engeren Wahl. China hat hier aber momentan wohl die Nase vorn.

Eine Erholung der Konjunktur in Russland hätte „positive Effekte für viele russische Nachbarländer“, darunter auch die Ukraine.

Hoffnung auf Petersburger Wirtschaftsforum

Wie auch die Association of European Businesses, sieht Büchele positiv, dass EU-Kommissionspräsident Junckers zum International Economic Forum nach St. Petersburg (SPIEF) reisen wird. Nur hofft der Ost-Ausschuss hier auf mehr als nur eine Annäherung – auf den „Beginn eines neuen Dialogs der EU-Kommission mit Russland und der Eurasischen Wirtschaftsunion über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum in Europa“. „Lissabon-Wladiwostok“ lautet hier immer wieder das Stichwort.

„In Russland stehen die Türen für einen solchen Dialog offen. Und gerade Länder wie Kasachstan, Armenien und Moldau werben offen dafür. Der Ball liegt nun bei der EU-Kommission“, erklärte Büchele.

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Foto von Christian Himmighoffen (Ost-Ausschuss)[/su_spoiler]